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Kritik

Sprachüberrumplung mit Tiefgang

Hamburg

Es gibt Gedichtbände, die machen einen glücklich, andere, die den Leser ratlos zurücklassen und solche, die herausfordern, weil sie längst nicht so einfach sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen, oder nicht so schwer. Mund fauler staub von Arne Rautenberg gehört zu dieser Sorte Gedichtbände, der außerdem durch seine Vielfalt besticht. Hier gibt es Lautgedichte und visuelle Gedichte, witziges, einfach gereimtes und Tiefgründiges.

Mathias Jeschke, der Herausgeber der Lyrikpapyri- Reihe, in der auch mund fauler staub erschienen ist, sagt über Arne Rautenberg: „Völlig respektlos überrumpelt er nicht nur die Sprache selbst, sondern damit auch unsere eingefahrenen und eingefrorenen Denkweisen und Blickwinkel.“

Und es stimmt, Rautenberg wechselt andauernd die Richtung, wie geradezu exemplarisch im Gedicht „Straßenbahnlinie 3“, in dem aus „Schieflaberei“ „Liebhaberei“ wird, einfach indem die Linie in die entgegengesetzte Richtung fährt.

„straßenbahnlinie 3

        straßenbahnlinie 3 der künstler
        ist anwesend fährt vom friedhof
        zur nervenklinik die dunklen wege
        der männer führen direkt in den warmen
        mund ach das ist alles
        nur schieflaberei
        straßenbahnlinie 3 der künstler
        ist abwesend fährt von den toten
        zu den verrückten die strahlenden wege
        der männer führen direkt in den warmen
        schlund ach das ist alles
        nur liebhaberei“

Worum geht es in den Gedichten?

Zur Beantwortung dieser Frage könnte man den Titel heranziehen:

Mund: es geht um das, was ausgesprochen werden kann, also auch um Lautgedichte, um Gespräche zwischen den Generationen, Nachrichten und das, was man stammelt, wenn man betrunken durch die Nacht wankt.

Fauler: es geht um das, was nicht ausgesprochen sondern nur abgebildet wird, die visuellen Gedichte, oder darum wie beim „haikukränzchen im cafe kranzler“ die Haikus immer mehr in den Hintergrund treten, zugunsten von „Moet und Schuttkuchen“.

Staub: immer wieder geht es in diesen Gedichten um die Vergänglichkeit, in allen Nuancen, von den sieben Sternen, die der Taghimmel versiebt, über Sterbeszenen, große Geister und haltbare Stricke.

Aber im Grunde genommen geht es um alles, um Väter und Affen, Krieg und Frieden, Nachrichten und Liebe. Arne Rautenberg beobachtet sich selbst beim Schreiben und die Menschheit bei ihrem Untergang (jahrtausend-konjugation). Immer bringt er die dabei angeschnittenen Themen in einfachster Form auf den Punkt.

So verbirgt sich hinter der einfachen Form des Gedichtes: „vater komm erzähl nicht“, ein komplexes Generationengespräch. Eine Gegenüberstellung der Lebensbedingungen derjenigen, die den Krieg mitgemacht haben und derjenigen, die im Nachkriegs-, Wohlstandsdeutschland aufgewachsen sind.

Wer Gedichte auf ein Podest stellt, dürfte Schwierigkeiten haben mit den Versen Arne Rautenbergs, der anlässlich seiner Schullesungen sagt: „Kindern den oft zu großen Respekt vor Gedichten zu nehmen, zu zeigen, dass Sprache ein Medium ist, mit dem man spielen und Spaß haben kann, ist mir ein besonderes Anliegen. Mir geht es darum, mit Kindergedichten und Reimen dem Unsinn, dem freien Spiel mit Laut und Sinn ein Forum zu bieten und damit für Unterhaltung, Überraschung und Staunen zu sorgen.“

Wer sich jedoch einlässt auf dieses Spiel mit der Sprache, entdeckt nach einer Weile selbst die Freude am Reim. Doch bevor ich selbst zu reimen beginne, überlasse ich dem Dichter  den „abspann'“ meiner Besprechung:

        „der mann: mein großvater
        die frau: meine großmutter
        das kind: meine mutter
        der krieg
        der mann: mein vater
        die frau: meine mutter
        das kind: ich
        der aufbau
        der mann: ich
        die frau: meine frau
        das kind: meine tochter
        das glück

Arne Rautenberg · Mathias Jeschke (Hg.)
mundfauler staub
Horlemann
2012 · 92 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-3-895023415

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