Kritik

I changed my mind

Hamburg

„Ich wünsche mir, dass du als Nächstes einen Film über Hannah Arendt machst“, sagte der Produzent Martin Wiebel schon 2002 zu der Regisseurin Margarethe von Trotta. Nach kurzem Zögern willigte sie ein, darüber nachzudenken, wie man „eine Person beim Denken“ zeigen kann.

Fast zehn Jahre dauerte es, bis aus der Idee ein Film wurde und wieder ist es Martin Wiebel, der als Herausgeber diesen Prozess in dem vorliegenden Buch dokumentiert. Durch Beiträge der Macher des Films kann der Leser dessen mühsame Entstehung und das nicht nachlassende Engagement vor allem von Margarethe von Trotta gut nachvollziehen.

Doch in den zahlreichen sehr unterschiedlichen Artikeln geht es nicht nur um das „Backstage“, sondern Hannah Arendt wird gleichzeitig durch Zeitgenossen und Wissenschaftler in ihrer Person und in ihrem Wirken porträtiert.

„I changed my mind und spreche nicht mehr vom radikal Bösen“, sagte Hannah Arendt im Zusammenhang mit ihrem Buch „Eichmann in Jerusalem“. Stand in ihrer politischen Analyse „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ noch das „radikal Böse“ im Fokus, wählte sie zur Charakterisierung Eichmanns den berühmten Ausdruck von der „Banalität des Bösen.“ Dieser Begriff, der immerhin als Untertitel ihres Buches fungiert, in der Abhandlung selbst aber außer im Vorwort nur noch einmal vorkommt, löste bekanntermaßen einen Sturm der Entrüstung in der jüdischen Welt aus. Man unterstellte ihr, sie verharmlose Eichmanns Rolle und seinen Antisemitismus. Dabei ging es Hannah Arendt unter anderem darum, die moralische Indifferenz Eichmanns darzustellen, die ihrer Meinung nach auch ohne ausgeprägten Antisemitismus funktionierte, weil Eichmann außer seiner Karriere keine weiterreichenden Motive gehabt habe.

Noch härter traf die jüdische Öffentlichkeit ihr Urteil über die Judenräte, denen sie vorwarf durch ihre Kollaboration mit den Nazis zur Vernichtung ihres eigenen Volkes beigetragen zu haben. Dieser Tabubruch kostete sie die Freundschaft langjähriger Freunde und Begleiter, obwohl sie in einem im Buch wiedergegebenen Gespräch mit Joachim Fest klarstellte: „die Judenräte sind natürlich Opfer. Sie sind deshalb noch nicht hundertprozentig entschuldigt, aber selbstverständlich stehen sie auf der anderen Seite.“

Das Gespräch mit Joachim Fest führte sie 1964, in dem Jahr als Hannah Arendts Buch in der Bundesrepublik erschienen ist und in dem in Frankfurt der erste Auschwitzprozess stattgefunden hat.


Sonderbriefmarke von 2006 zu Arendts 100. Geburtstag Quelle: Wikipedia

Die meisten der historischen und wissenschaftlichen Beiträge des Buches beschäftigen sich mit den Hintergründen und Interpretationen von den beiden als Provokation empfundenen Aussagen. Dadurch kommt es naturgemäß zu vereinzelten Wiederholungen, werden öfter die gleichen Textbelege zitiert, aber insgesamt hat der Leser die Chance, sich vertiefend in den Komplex einzuarbeiten. Einige Artikel sind inhaltlich sehr anspruchsvoll und der Leser muss bereit sein, sich darauf einzulassen. Dies gilt beispielsweise für den Aufsatz von Jerome Kohn, der während Hannah Arendts letzten Jahren (1968 – 1975) ihr wissenschaftlicher Assistent war. Unter anderem arbeitete er heraus, dass Hannah Arendt keineswegs der Meinung war, „in jedem stecke ein Eichmann“, sie ihn also nicht im Sinn von Heinar Kipphardt als „Bruder Eichmann“ sah.

Es wäre wünschenswert, dass der Leser bei den unterschiedlichen Ansätzen den jeweiligen Zusammenhang und den entsprechenden Subtext mitberücksichtigte. So ist es natürlich ein Unterschied, ob Hannah Arendts langjährige Weggefährtin, die Schriftstellerin Mary McCarthy, ihre Freundin heftig gegen Vorwürfe in Schutz nimmt und dabei deren Aussagen unkritisch übernimmt oder ob aus heutiger wissenschaftlicher Sicht argumentiert wird.

Die beiden für das Verständnis des eigentlichen Films interessantesten Texte sind die der beiden Drehbuchschreiberinnen Margarethe von Trotta und Pam Katz.

In ihrem vierzig Seiten starken Tagebuch „das H. A.-Projekt betreffend“  – der längste Text des Buches – beschreibt von Trotta, wie sie sich allmählich ihrer Figur annäherte, die ihr zu Beginn längst nicht so vertraut war, wie eine ihrer anderen Protagonistinnen, nämlich Rosa Luxemburg. Es ist wirklich unglaublich, wie viele Bücher sie las, wie viele Dokumentationen sie anschaute, Personen traf, an Orte reiste, Anträge stellte, Frustrationen einsteckte und Zweifel überwand. Das Tagebuch beginnt 2002 nach Beendigung ihres Films „Rosenstraße“ und endete 2011 mit Beginn der Drehtage.

Lange überlegten Pam Katz und Margarethe von Trotta, was sie überhaupt über Hannah Arendt erzählen wollten, denn der Eichmann-Prozess war längst nicht die einzige Möglichkeit. Die Jahre im Exil in Paris standen zur Diskussion und vor allem Hannah Arendts amour fou zu Martin Heidegger.

Pam Katz erläutert in ihrem Beitrag schließlich, dass sie sich für die kurze Phase des Eichmann-Prozesses entschieden hätten, weil „nur ganz wenige Erfahrungen das Potential haben, den Wesenskern einer Persönlichkeit zu erhellen.“

Neben der Möglichkeit Hannah Arendt während der „Eichmann-Jahre“ als Denkerin zu zeigen, konnte man in dieser Zeit der heftigen Angriffe auch ihre Stellung als Exilantin betonen sowie die Bedeutung von Freundschaften für sie. Ein wichtiges Motiv, diese Zeit auszuwählen scheint das gewesen zu sein, was Pam Katz ein „Geschenk“ für einen Film nennt: die Tatsache, dass der gesamte Eichmann-Prozess gefilmt worden ist. Längst sind die Bilder von Eichmann in dem Glaskasten zu einem Sinnbild geworden und geben dem Film eine Authentizität, die kein Schauspieler vermitteln könnte.

Margarethe von Trotta hatte sich gefragt, ob man Denken zeigen könnte. Dank Barbara Sukowa begegnet Hannah Arendt dem Zuschauer als starke Persönlichkeit, deren Gedanken und Gefühle deutlich werden. Die Schauspielerin hat übrigens, wie sie in ihrem Beitrag schreibt, Margarethe von Trotta gebeten, der Protagonistin starke Gegner gegenüberzustellen. Dieser Aspekt ist meiner Meinung nach nicht ganz gelungen, obwohl er wichtig gewesen wäre, um die zeitgeschichtliche Situation ihrer Kritiker einordnen zu können. Letztlich dominiert immer Hannah Arendts Verletztsein.

Der Historiker Hans Mommsen, der im Vorwort zur neuesten Auflage von „Eichmann in Jerusalem“ Hannah Arendt in Vielem zustimmt und ihr attestiert, das Phänomen, das man heute „Zivilisationsbruch“ nennt, vorweggenommen zu haben, stellt gleichzeitig fest, dass die im Eichmann-Buch enthaltenen Einsichten und Herausforderungen für die breite Öffentlichkeit zu früh kamen.

Noch eine Kleinigkeit am Rande: Ein Werkstattbuch muss den vorgestellten Film in den Mittelpunkt stellen. Folgerichtig werden auch einzelne Szenen abgedruckt und Fotos aus dem Film gezeigt. Es ist aber sehr schade, dass in dem informativen Buch, das doch dazu beitragen soll, Hannah Arendt einem breiteren Publikum näherzubringen, kein einziges Foto von ihr selbst zu finden ist. Ein Jugendlicher sagte einmal, als er eine Aufnahme von Hitler hörte: „der spricht ja wie Bruno Ganz.“ Hoffentlich bleibt Hannah Arendt nicht nur als Barbara Sukowa im Gedächtnis.

Hannah Arendt · Martin Wiebel (Hg.)
Hannah Arendt. Ihr Denken veränderte die Welt
Das Buch zum Film
Vorwort: Franziska Augstein
Piper
2012 · 256 Seiten · 9,99 Euro
ISBN:
978-3-492301756

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