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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Kritik

Außergewöhnliche Gentlemen

Hamburg

Gilbert Keith Chesterton (1874 – 1936) war einer der produktivsten englischen Schriftsteller des beginnenden 20. Jahrhunderts. Zwischen 1900 und 1936 veröffentlichte er hunderte Gedichte und Kurzgeschichten, tausende Essays, diverse Theaterstücke, Romane und Biografien, vorzugsweise von berühmten Autoren wie Dickens, Tolstoi, Shaw oder Stevenson. Dennoch dürfte er in Deutschland wohl nur einer relativ kleinen Leserschaft bekannt sein und das vor allem wegen der Verfilmungen zweier Kurzgeschichten um Father Brown (dt. fälschlich Pater Brown) mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle.

Die Andere Bibliothek gibt nun mit Die Paradoxe des Mr. Pond und andere Überspanntheiten ein echtes Spätwerk Chestertons heraus. Es ist nach den Essaysammlungen Ketzer. Eine Verteidigung der Orthodoxie gegen ihre Verächter(1998) und Orthodoxie. Eine Handreichung für die Ungläubigen (2000) bereits der dritte Band des Autors in der hierzulande wohl bekanntesten Reihe bibliophiler Literatur. Die acht Erzählungen um den anachronistischen Mr. Pond erschienen in Chestertons letztem Lebensjahr monatlich im „The Story-Teller“, einem Krimimagazin, in dem auch Agatha Christie, Edgar Wallace und Rudyard Kipling regelmäßig veröffentlichten.

Father Brown, Source Wikipedia

Was aber hat es mit diesem Mr. Pond auf sich? Der Regierungsbeamte Mr. Pond ist in seinem Freundeskreis dafür bekannt Geschichten zu erzählen, für dessen Authentizität er ohne Einschränkungen bürgt. Und das muss er auch, denn die Ausgangspunkte für seine Erzählungen sind paradoxe Thesen und Zuspitzungen. In der Geschichte Die drei Reiter der Apokalypse heißt es etwa: „Grocks Soldaten gehorchten ihm zu sehr, deshalb konnte er nichts von dem, was er wollte, in die Tat umsetzen.“ Was folgt, ist im Wortsinne ein wilder Ritt durch eine Geschichte, die vom ständigen Für und Wider den militärischen Gehorsam geprägt ist, letztendlich aber um sich selbst kreist und in einer Pointe mündet, die auch in eine Kalendergeschichte passen würde. Ein Reiter wird losgeschickt einen Dichter zu töten. Ein zweiter Reiter soll den ersten einholen und den Dichter begnadigen. Ein dritter Reiter soll den zweiten töten, damit es nicht zur Begnadigung kommt. Das Ende soll nicht verraten werden; es scheint Chesterton aber auch nicht allzu wichtig zu sein. Denn die als Kriminalgeschichten deklarierten Erzählungen um Mr. Pond funktionieren nicht nach dem klassischen Whodunit-Prinzip, wohl aber nach einem Schema.

Quelle: Die Andere Bibliothek

Stets leitet eine kleine Rahmenhandlung Ponds Erzählungen ein, die meist an seine Freunde Major Wotton und den Dandy Captain Gahagan gerichtet sind. Das aufzuklärende Paradox könnte dabei meist schnell abgehandelt werden. Der häufig als fischig charakterisierte Pond liebt aber den abschweifenden, querdenkenden, mitunter auch gestelzten Monolog viel zu sehr, als dass er mit seinen Ausführungen schnell zum Punkt käme. Chesterton selbst ist das bewusst, wenn er seine Figuren sagen lässt, sie verstünden überhaupt nicht, worum es eigentlich geht. Der Weg ist hier ganz eindeutig das Ziel und damit ist in den Paradoxen des Mr. Pond eindeutig die sprachliche Reflexion gemeint. Die Stories werden dadurch eher in die Nähe des Essays als in die der klassischen Erzählung gerückt. Diese narrative Besonderheit gilt es natürlich hervorzuheben, leider wird sie in den Texten aber viel zu oft implizit thematisiert. Was hier ironisch gemeint ist, wirkt seltsam bemüht, wie die paradoxen Verstrickungen der Plots selbst. Dadurch wirken die Geschichten um Mr. Pond durch die Bank weg eher pomadig als innovativ.

Überhaupt kann man nach der Lektüre des ersten Teils leicht den Eindruck bekommen, das von Cornelia Feyll und Friedrich Forssmann liebevoll gestaltete und in goldschimmerndes Leinen eingebundene Buch sei in erster Linie als Liebhabertheater für das Regal gedacht. Eine falsche Vermutung, wenn man bedenkt, welche Stories der zweite Teil des Bandes bereit hält.

Die Geschichten vom überspannten Bogen, die etwa zehn Jahre vor den Paradoxen des Mr. Pond erschienen, warten mit all dem Esprit, all der Leichtigkeit und all dem cleveren und teilweise wirklich entlarvendem Witz auf, den man im ersten Teil vermisst. In acht miteinander verwobenen Fortsetzungsgeschichten, die allerdings auch unabhängig voneinander sehr gut funktionieren, lernt der Leser eine wahrhaft außergewöhnliche Liga von Gentlemen kennen. Äußerlich wirken sie bisweilen wie Dandys, die aus der Zeit Oscar Wildes übriggeblieben sind. In Wahrheit aber geht von ihnen eine ungeheure subversive Kraft der Unkonventionalität und Erneuerung aus.

Im Grunde erzählen die Geschichten vom überspannten Bogen nur, was geschieht, wenn man Sprichwörter allzu wörtlich nimmt. Das allein ist aber schon eine ganze Menge und führt zu Abenteuern, die voller groteskem Witz sind und nicht selten die merkwürdigen Borniertheiten der Gesellschaft entlarven. So beschließt Colonel Crane beispielsweise eines Tages einen Kohlkopf an Stelle eines Zylinders zu tragen und erschüttert die Konventionen seines Ortes damit so sehr, dass niemand es wagt das Thema anzusprechen. Die gesamte Ordnung der Gemeinde könnte ins Wanken geraten. Doch immerhin kann Crane am Ende der Story seine Wettschuld einlösen und seinen Hut essen.

In einer anderen Geschichte baut Commander Blair ein Luftschloss, mit dem er in den Himmel aufsteigt und die Regierung entlarvt, die gerade dabei ist England einen unmoralischen Sozialismus aufzuzwingen. Die Idee ist nicht minder abwegig als der Versuch „den Kaiser mittels drahtloser Telegraphie durch Stromstöße zu töten.“ Die Geschichten vom überspannten Bogen warten mit einer Menge skurriler Ideen, Sprachwitz und raffinierter Plots auf, die über die etwas langweiligen Paradoxa um Mr. Pond mehr als hinwegtrösten. Allein dafür lohnt sich die Anschaffung dieser bibliophilen Ausgabe allemal.

Gilbert Keith Chesterton
Die Paradoxe des Mr. Pond und andere Überspanntheiten
Übersetzung:
Boris Greff und Matthias Marx
Nachwort: Matthias Marx
Die Andere Bibliothek
2012 · 393 Seiten · 38,00 Euro
ISBN:
978-3-847703327

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