Die stammt vom dreieckigen Zahnwimpel ab
Ein Prolog ist ein Vorwort, die Vorrede, der Auftakt, das Intro. In jedem Fall nicht das Werk an sich, sondern das davor. Im Prolog wird deutlich, um was es gehen wird, oder gehen könnte. Es sind Ausschnitte, die dennoch eigenständig und scharf umrandet sind. Ein Vorwort sollte schließlich nicht, nur weil es Vorwort ist, lapidar sein, geschwätzig oder verwässert. Im besten Fall macht es neugierig auf das danach. Der Künstler Andreas Koletzki stellte einmal die Frage, ob man vor dem Farbfernseher in schwarzweiß geträumt hätte. Anton Schwarzbach, selbst Künstler und der Herausgeber von „Prolog – Heft für Zeichnung und Text“, fragte sich darauf hin, was man tun muss, bis so ein Satz in der FAZ steht. „Das Warten wurde mir zu lang, deshalb der Prolog.“ Seit 2007 versucht Schwarzbach nun schon, das Warten zu kultivieren und Prozesse sichtbar zu machen. Sein Heft erscheint unter „prekären Umständen“ und mit einer Auflage von 400 Stück halbjährlich in Berlin. Keine Frage, für solch ein Unternehmen braucht man Leidenschaft und die muss in diesem Fall wirklich stark sein. Angeblich ging man zwecks Kostendeckung sogar schon ab und an zur Blutspende. Um wieder zu Kräften zu kommen, findet bei Erscheinen der Hefte meistens eine Ausstellung mit Lesungen der beteiligten Künstler und Autoren statt. In diesem Jahr wird es unter dem Titel „Power den Eichhørnchen“ vom 10. August bis zum 22. September sogar noch eine zusätzliche Ausstellung im Kunstpavillon Heringsdorf auf der Insel Usedom geben. Dort werden Arbeiten von 34 Künstlern gezeigt, die in den letzten Jahren in „Prolog“ veröffentlichten.
Einen künstlerischen Prozess in Gang setzen. „Prolog“ funktioniert in gewissem Sinne wie ein Trigger. „texte / zeichnungen / frei / poetisch / künstlerisch / subjektiv“ heißt es im Untertitel. Die möglichst offene, freie und eigenständige Verhandlung wechselnder Themen stößt kreative Prozesse nicht nur bei den beteiligten Künstlern, sondern auch beim Leser an. In der aktuellen Ausgabe mit der Nummer elf befassen sich 53 Künstler und Literaten in dieser Weise mit dem Thema „Struktur(en)“. Seien es sprachliche oder philosophische, Bleistiftstrukturen oder Scherenschnitte, gesellschaftspolitische oder ganz persönliche Strukturen. Was dabei herauskommt, ist teilweise schwindelerregend, aber dennoch immer, natürlich: mit Struktur.
Und das ist gar nicht so flapsig gemeint, wie es sich anhört. „Prolog“ ist ein angenehm rough gestaltetes und inspirierendes Heft, für das man ein wenig Zeit braucht. Bei jeder erneuten Lektüre entdeckt man neue Standpunkte, interessante Ansätze und schlaue Gedanken, viele der vorgestellten Arbeiten geben auch erst einmal Rätsel auf. Gut, wer Rätsel nicht mag, wirft das Heft in die Ecke und fragt sich vielleicht, ob das hier Kunst sei oder weg könne. Wie beispielsweise Patrick WEH Weilands „Belly Button Sculptures“, die (angeblich) den täglichen Inhalt eines Bauchnabels als Dia-Projektion ausstellt, genau zu jener Frage anregen könnte. Für andere widerum ist „Prolog“ eine wahre Fundgrube, die Kuriosa, Notizen, Interviews, Gebrauchsanweisungen, Manifeste, Schnipsel, Poesie und Zeichnungen gleichberechtigt nebeneinanderstellt.
Einen Fokus legt der Herausgeber auf die Strukturen des aktuellen Künstlerdaseins. Oskar Manigks Text „Der Kunstpreis“ und Felix Baxmann und Tillmann Langes Interview-Beitrag über eine Kunstaktion der Deutschen Bank in Berlin („Mein Bild haben sie verkehrt herum aufgehangen, falscher Name dran“, „Naja, ich fand die kostenlose Linsensuppe ganz gut“). Literarisch öffnet Mikhail Lezin mit seinem digitalen Schnipsel-Foto und der dazugehörigen Schnipsel-Prosa textliche Strukturen („Danach... wird die Stadt is dated the pump to pop...finding Es ist eine durchsichtige Kugel... *** in für die Mengen umgewandelte Wohnungen“), ebenso wie Henning Hennenkempers „Text nach Zerlegung der Anleitung nach der ‚Zerlegung der Anleitung’“. Weitere literarische Beiträge unter anderem von Mikael Vogel, Crauss oder Clemens Schittko.
Ein Schwerpunkt von „Prolog“ liegt stets auf den Zeichnungen, im Nachwort erfährt man, weshalb das so ist. Eine Zeichnung diente viel weniger zur Repräsentation, das Besondere an ihr sei vielleicht gerade, dass ihr „etwas fehlt – dass sie die Distanz zur Welt nicht verdeckt, sondern mit ihr umgeht. Die Zeichnung als Konzentration eines Gedankens, nicht als seine wirkliche Verwirklichung.“ Andreas Koletzki antwortet auf der Umschlagrückseite mit seiner Arbeit „In Wirklichkeit ist dieser Strich länger“. Die Wirklichkeit, der Künstler. Und was der Künstler mit der Wirklichkeit macht. Die Ordnung in der Unordnung, die Struktur in der Strukturlosigkeit. Oder anders herum. Todosch Schlopsnies sucht danach in „BACK TO The WHITELAMMY...!“ Sein dazugehörender Text ist ein gedanklicher Funkenflug, der mit vielen Fragen endet, wie zum Beispiel: „Ist Geschenkpapier und Schleife drum eine dem Leben verpflichtete Geste? Ist meine Arbeit als Künstler Teil des ‚gesellschaftlich-kosmischen Geschenkbandes’ im Supermarkt des Lebens?“ Bis zum Epilog ist noch viel Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.
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