SIE FEIERTEN EIN FEST, UND NIEMAND WUSSTE ES.
Es war vorüber, als sie es empfanden.
Sie weinten oft um einen Schmerz, den sie nicht kannten,
und litten dann an einer unbewußten Wunde.
Sie trugen Masken, die sie selbst nicht sahen,
Und waren so einander tief verborgen.
Was sich im Traum gelöst, versiegelte der Morgen
Und ein Vergessen stand auf ihrem Munde.
So ward ihr Dasein frommes Rätselspiel.
Und ihre Sehnsucht ward zu einer Sage.
Verschlungen blühten sie, hoch überm Tage,
In einem ihnen selbst geheimnisvollen Bunde.
Das Leben auf sich hinabregnen lassen
Emmy Ball Hennings (1885-1948) wirft sich dem Leben vor die Füße ohne die Konsequenzen zu bedenken. Verwundert, aber ohne Furcht steht sie vor sich selbst als ein Rätsel, dass es auf keinen Fall zu lösen, sondern um jeden Preis zu bewahren gilt. So bringt sie sich in jeder Phase ihres widersprüchlichen Lebens immer wieder neu zur Welt - und zur Sprache. Als junge Frau schlägt sie sich als Schauspielerin, Varietékünstlerin, Hausiererin, Animiermädchen und Prostituierte durch. Später konvertiert sie zum Katholizismus, lernt ihre große Liebe, den Theoretiker des Dadaismus und Mitbegründer des legendären Cabaret Voltaire Hugo Ball kennen und beginnt zu schreiben. Gedichte, Prosa? Im Grunde entzieht sich ihr Schreiben jedweder Klassifizierung. Ebenso wie sie sich vom Leben in seiner schillernd - verheerenden Vielfalt durchqueren lässt, hält sie es mit dem Schreiben. Jede Form wird ihr zum Ort des Erstaunens: über die Welt und sich selbst als Teil unbegreiflicher und unkalkulierbarer Wandlungen und Verwandlungen. Das Leben kann man nur in wirren Träumen erzählen. Niemals verstehen, sondern nur Tag um Tag in seiner abgründigen Fülle leben. Wie und um welchen Preis, dass erzählt sie mit radikaler Offenheit in ihrem autobiografischen Buch Das Brandmal von 1920.
Bei aller Schwere der Erfahrungen – dem frühen Tod Hugo Balls, den permanenten Geldnöten und dem Mangel an öffentlicher Anerkennung – wächst ihr mit den Jahren ein Grad an innerer Freiheit zu, der all jene Menschen auszeichnet, die sich aus gesellschaftlichen Erwartungshorizonten definitiv verabschiedet haben. In Flensburg wurde Emmy Ball Hennings geboren, in Agnuzzo, einem kleinen Dorf über dem Luganer See starb sie, zwar in Armut und Verlassenheit, doch in dem Bewusstsein, dem Leben nach Maß des ihr Möglichen mit ihrem Körper und ihrer Seele die Referenz erwiesen zu haben.
An Ninon Hesse, die zweite Frau Hermann Hesses, mit dem sie bis an ihr Lebensende in regem brieflichen und persönlichen Kontakt stand, schrieb sie einmal:
Publizieren Sie nach meinem Tode nur nicht aus Versehen diesen Brief, damit man nicht denkt, dass ich Trinkerin bin, dass ich nur Cognac getrunken habe. Nein, das nicht. Ich habe auch Cherry getrunken, und das Leben in vollen Zügen, ein sehr guter Wein selbst gekeltert. Grausam gut.
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