Zukunft durch und für die Bildung!
Schule war immer ein Herrschaftsinstrument, und sie ist es – in Teilen – immer geblieben. Nicht aus Nächstenliebe ließen feudale Herrscher ihren Untertanen diese angedeihen, die lieben Kleinen wurden hier dressiert, präformiert und ausgebildet: sei es, um dem Land (also letztlich eben dem Herrscher) als Soldaten zu dienen, sei es, um die Verwaltung einer immer komplexeren Struktur zu leisten, sei es, um das Land erblühen zu lassen, vornehmlich freilich die Landsitze ihrer vorgeblichen Gönner. Nicht zufällig haben wir noch heute Unterrichtseinheiten von 50 Minuten, starr und dem Unterricht nur zuweilen entsprechend: Die Exerziereinheiten haben sich hier formaliter erhalten.
Allerdings wurde aus der Schule – in Teilen – etwas ganz anderes. Die Ausgebildeten, derer die Herrschaft bedurfte, emanzipierten sich, wie es die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft Hegels beschreibt, neue Feudalherren stiegen auf, die Rede vom „Geldadel” begreift ihrem spöttischen Unterton zum Trotz, daß das, was Adel sei, durch die Moderne diffus wurde.
Und hier kann man nun konstatieren, daß Kapitalismus diese Fluktuation braucht, wiewohl seine vermeintlichen Proponenten, der Adel welcher Art und Provenienz auch immer, sie beargwöhnt. Man kann ferner sagen, daß Ausbildung also hier Bildung wird, Reflexionsvermögen bezüglich der Verhältnisse, worin Ausbildung den – pathetisch gesprochen – Unterjochten hilft, ihre Funktion zu erfüllen. Bildung wäre die Kompetenz, sich noch unausgesprochenen Fragen zu stellen, das Funktionieren zu transzendieren: Es ist also Schule eine Chance, im Rahmen von Ausbildung sich mehr als das anzueignen, was Ausbildung (von oben besehen) leisten soll, während sie, wenn sie Ausbildung bleibt, vom Standpunkt des Aufklärers schon versagt: „Sagen, wie es geht, wäre in der Schule schon zu viel” (Schirlbauer), und zwar, weil es zu wenig ist. Schule beinhaltet so die für jedwede Obrigkeit enervierende Einsicht, daß Bildung ein Eigenleben hat; dessen Inbegriff, das Buch, allemal: „Vergleichbar ist das Eigenleben der Bücher mit dem, das ein […] verbreiteter und affektbesetzter Glaube den Katzen zuschreibt.” (Adorno, Noten zur Literatur)
Hat man dies verstanden, weiß man, was aus den Unterrichtsreformen spricht, worin der Lehrer der jedenfalls öffentlichen Schule zum Betreuer von Aktivität und ihrer Einübung wird, der Schüler ausgebildet wird, während man Bildung diskreditiert: Es ist der Versuch eines Neofeudalismus, sich wieder Untertanen zu schaffen, was zwar noch nicht einmal im Sinne des Kapitalismus ist, aber in jenem derer, die sich Kapitalisten heißen, träfe das Wort Raubritter es auch weit eher.
Diese fürchten Unruhe, fürchten Konkurrenz, die zwar das Geschäft belebt, aber vielleicht nicht das eigene, fürchten, daß man hinter Stronach den Strohsack wahrnimmt, der für das Öffentliche so edel spendet, daß es hernach privatisiert ist. Was wenn nicht dies sagt es aus, daß Adorno zurecht festhält: „Unverkennbar besitzt der Lehrberuf, verglichen mit anderen akademischen Berufen wie dem des Juristen oder des Mediziners, ein gewisses Aroma des gesellschaftlich nicht ganz Vollgenommenen”..? Es ist die bildungsfeindliche Ideologie jener, die in Wahrheit nichts so fürchten, wie den Lehrer, wo er darum Erfolg hat, weil Ausbildung nicht in sich erstarrt, sondern daraus etwas wird, das als Eigenleben den braven Curriculum sprengt, den man dem Auszubildenden zugedacht hatte? Sie reklamieren darum Ausbildung, während die Bildung nicht mehr als das Revolutionäre wahrgenommen werden soll, das es ist; möglich, daß noch die Besinnung auf Moral (oder als Schulfach: Ethik) hiermit zusammen hängt, in Zeiten der Erosion einer religiös geprägten bemüht man eine universelle, an der freilich vor allem dies universell sein mag: „Moral ist etwas für die kleinen Leute und sie sorgt dafür, daß sie kleine bleiben.” (Rudolf Burger)
Ein guter Ethik-Unterricht begänne damit, sich gegen diese Indienstnahme zu stellen, die Provokation des Schülers wäre sein Epizentrum. Gerade hier würde Bildung advoziert, würde eingemahnt, daß eine „Moral des Personalstandes” eben nicht Moral ist: „Man frage mich nicht, wer ich bin, und man sage mir nicht, ich solle der gleiche bleiben: das ist eine Moral des Personalstandes; sie beherrscht unsere Papiere. Sie soll uns frei lassen, wenn es sich darum handelt, zu schreiben.” (Foucault, Archäologie des Wissens) Schule diszipliniert: discipulus, lat. der Schüler – aber das ist nur ihr Beginn, sie ist zu mehr geworden, das scheinbar Nebensächliche an ihr scheint zu ihrem besseren Selbst geworden zu sein, es geht nicht ohne Disziplin, aber erst deren Dekonstruktion erfüllt, was an ihr sonst Grundlage und Verrat an der Bildung: an der Selbstwerdung ist.
Man soll und darf nicht zulassen, daß Schule wieder weniger als dies wird, daß Ausbildung, die in – meßbaren – Kompetenzen sich erfülle, uns und unsere Kinder und Kindeskinder zu produktionsfitten Lakaien macht, Lehrer als austauschbare Kommunikatoren unsere Zukunft zu verkaufen helfen: 1. weil ihnen das Bildungsministerium die Muße nimmt, die Schule schon wörtlich prägt (griech. scholé), 2. das Fachwissen qua Bagatellisierung des Fachwissens und hernach des fachunabhängigen Unterrichtens marginalisiert wird, 3. mehr Stunden Unterricht irgendwann zu immer mehr Schülern, die von weniger Lehrkräften eben teils nur mehr beim Simulieren späterer Aktivität observiert werden, führt, 4. die Idee von Bildung diskreditiert wird, auf daß die heranwachsenden Diener ihr Joch als Freiheit zu (beschränktem) Konsum jenseits der Schule, deren Kapital, die Bildung, man verkennt, zu lieben lernen – und den Lehrer, der dann doch noch lehrt, zu hassen –, 5. … ach, man könnte es nach Belieben fortsetzen.
In der Verfassung Österreichs (Artikel 14) heißt es, der Schüler solle „Verantwortung für sich selbst […] und nachfolgende Generationen zu übernehmen” befähigt werden; gegenwärtig scheitern wir an dem, was unser Versprechen für die Zukünftigen wäre, wir vernachlässigen jene Verantwortung gegenüber jenen, die dereinst ihr entsprechen sollen. Wir dressieren sie, wie wir uns selbst dressieren (lassen)…
Aber natürlich: nicht alle. Es gibt unermüdliche Idealisten unter den Lehrern, die sich mit der Ausbildung eines neuen, technisch aufgerüsteten Proletariats unter der Nivellierung nach unten nicht abfinden, die eine gewisse Unmündigkeit – die „selbstverschuldete” nämlich, die schon Kant anprangerte – nicht akzeptieren; und es gibt nebenher natürlich Privatschulen, wo die, die Bildung als antiquiert abtun, eben diese ihrem Nachwuchs angedeihen lassen, auf daß dieser sich auf Gouvernementalité verstehe. Privatschulen sind immer auch der Index der Verfehlungen der öffentlichen Bildungseinrichtungen aus Sicht Privilegierter, in einer nicht perfekten Welt ist ihr Bestand gesichert – wir aber sollten es ihnen schwerer machen, durch eine Verbesserung der Welt gerade im Bereich der öffentlichen Schulen. Gerade um sie ginge es: und damit um eine Dynamisierung der Gesellschaft, sei es unter sozialdemokratischen, sei es unter christlich-sozialen, sei es unter liberalen, kapitalistischen Leitbegriffen – jedenfalls politisch kohärenten; man könnte hier durchaus darauf verweisen, daß der kümmerliche Zustand unserer Bildung jenem unserer Politik entspricht.
Privat – nicht politisch; dem Politischen vielleicht gestohlen, das Lateinische hört etwas von dieser Art in diesem Wort. „Eine Pflicht zum Kynismus erwächst daraus […] nicht”, wie Schirlbauer bemerkte, man könnte auch einen Imperativ riskieren: Sorgen wir uns darum, daß Öffentliches privat wird, seien wir zumindest erstaunt, daß Menschen, die politisch nonkonform sind, heute von der NSA ausgehorcht werden müssen (und dürfen, insofern es zugelassen wird), anstatt mit Courage zu äußern, was sie angeblich deviant macht. Ist es nicht das Komplement verkümmernder Bildung, so nicht nur Wirrköpfe, sondern auch jene, die über Bildsamkeit verfügen und von ihr unabsehbar Gebrauch machen, zu verfolgen..? Seien wir mutig, wir müssen endlich der Bildung das Wort reden, Schule wieder zum Ort außerhalb seiner Zeit machen, unzeitgemäß, aber darin utopisch; ja, Bildung ist in nuce die Kompetenz, noch unbekannten, sich nicht stellenden und von uns zu formulierenden Fragen aussichtsreich zu begegnen.
So ist Bildung Zukunft, ermöglicht sie, hilft, in ihr mehr als gedehnte Gegenwart wahrzunehmen und zu gestalten zu wagen. Schaffen wir, zumal es hier auch um das, was der Mensch sei, geht, diese – unsere – Zukunft nicht ab..!
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