Zwischen Dunkelheit und Erleuchtung
Spätestens seit dem Frühjahr dieses Jahres wird auch über die Grenzen der Stadt Frankfurt hinaus über die Realisierung eines Deutschen Romantik Museums in der Mainmetropole gestritten. Bis heute steht das Projekt vor allem aus Finanzierungsgründen auf der Kippe. Die Frage nach der Notwendigkeit des Museums wird dabei glücklicherweise kaum gestellt. Dass die Romantik als Schlüsselepoche deutscher und europäischer Geistesgeschichte einen Ort bekommen kann, wie er sich jetzt in Frankfurt anbietet, ist in der Tat eine historische Chance, die man nicht ungenutzt verstreichen lassen kann. Worin aber besteht die anhaltende Faszination an dieser Epoche?
Die kritische Haltung gegenüber aufklärerischer Vernunft und moderner Zivilisation haben den Romantikern zunächst nicht gerade den Ruf einer Avantgardebewegung eingebracht. In der Postmoderne werden ihre ideologischen Überzeugungen jedoch vorrangig als Ausdruck einer Krisenerfahrung in der aufziehenden Moderne verstanden. Eine Lesart, die für eine anhaltende Wiederentdeckung und Neubewertung der Epoche sorgt. Dabei faszinieren vor allem die Forderungen nach einer neuen Mythologie, der Zusammenfassung von Naturwissenschaft, Dichtung und Philosophie und nicht zuletzt das enorme utopische Potential, das sich am stärksten in der Literatur der Romantik niederschlägt.
Dieses utopische Potential untersucht die Kulturwissenschaftlerin Sabine Stölzel in ihrem Buch Nachtmeerfahrten und legt damit eine umfassende Studie über die bekannteste Unterströmung der romantischen Literatur vor, der so genannten Schwarzen Romantik. Dabei hat die Autorin nicht ausschließlich die Kernzeit der Epoche von ca. 1795 bis 1848 im Blick. In ihrem Buch werden zunächst die Ursprünge schwarzromantischen Schreibens in Form der englischen Gothic Novel (im Deutschen meist mit dem Begriff „Schauerliteratur“ übersetzt) benannt. Natürlich ist Horace Walpole hier mit seinem Roman The Castle of Otranto (1764) als unumstrittener Begründer des Genres zu nennen. Stölzel fokussiert jedoch weniger die Anfänge, als vielmehr den Verlauf und vor allem die Nachwirkungen der Schwarzen Romantik im gesamten literarischen Europa und natürlich den USA, wo sich mit Edgar Allan Poe einer der bis heute populärsten Horrorschriftsteller etablierte. Fernab von diesen prominenten Beispielen geht es der Autorin darum, die Rezeptionsgeschichte der Schwarzen Romantik bis in die jüngere Literatur- und Kulturgeschichte nachzuweisen. Ihr vorläufiges Ende findet diese in Stölzels Studie bei Arno Schmidts Erzählung Schwarze Spiegel von 1951; wohl wissend, dass sich der Einfluss der Romantik bis auf die Kunst der Gegenwart fortsetzt.
Doch was genau macht das Romantische, genauer das Schwarzromantische für Stölzel aus? Vorrangig möchte die Autorin die Schwarze Romantik als Geisteshaltung verstanden wissen, die einerseits das aufklärerische Bewusstsein der „vergrößerten Bedeutung und Individualisierung des (künstlerischen) Subjekts“ erlangt hat, andererseits den Wunsch hegt „das Wunderbare und Naturmagische der Alten zu bewahren“. Der hinter dieser Haltung steckende Zweifel, und noch mehr die daraus resultierende, elementare Verunsicherung des romantischen Menschen geben der schwarzromantischen Literatur ein typisches Gepräge. Nicht selten zeigt sich dieses am deutlichsten in Form von unerklärlichen oder unüberwindbaren Abgründen im Leben und/oder der Seele ihrer Protagonisten. Dass sich diese Abgründe in den Erzählungen als Dämonen, böse Meister, Formen von Wahnsinn oder apokalyptischen Visionen zeigen, scheint dabei naheliegend. Ebenso naheliegend wie die Kapiteleinteilung des Buches, die eben jenen Kategorien folgt.
Auf ca. 360 Seiten erklärt Stölzel die Ursprünge, Bedeutungen und Wirkungsweisen bestimmter Prototypen, Figuren und Motive, wie etwa dem Vampirismus, der Zauberei oder der Persönlichkeitsspaltung. Dabei verliert die Autorin nie ihr Ziel aus den Augen, die Romantik im Allgemeinen und die Schwarze Romantik im Speziellen als die Meilensteine der Moderne erscheinen zu lassen, die sie sind. Deutlich wird das zum Beispiel am Figurentypus des bösen Meisters:
„Solch bösen Meistern kann man hin und wieder auch im wirklichen Leben begegnen, vor allem als junger Mensch – wie das Wort ‚Meister‘ an sich ja einen Älteren, Erfahreneren, in einer Kunst Bewanderten bezeichnet, der Jüngere unterweisen und ausbilden darf oder soll. Die Gestalt des bösen Meisters ist aber auch ein wichtiges Motiv in der Literatur, insbesondere der romantischen, was sicher damit zusammenhängt, daß es sich bei der literarischen Romantik um eine intellektuelle Jugendbewegung handelte und die alte, festgefügte, religiös geprägte Weltordnung der früheren Jahrhunderte durch die Ideen der sogenannten Aufklärung und die damit einhergehende größere Freiheit des Individuums erschüttert wurde. Eine solche Auflösung überkommener Gewißheiten und Überzeugungen vergrößerte aber nicht nur den persönlichen Handlungsspielraum jedes einzelnen Menschen, sondern auch die damit einhergehende Angst vor Haltlosigkeit und Verlorenheit in einer unüberschaubar gewordenen Welt. Diese bedrohliche Entgrenzung war und ist ein besonders drängendes Problem einer sich selbst postulierenden Moderne, welches sich schon in der Epoche der Romantik angekündigt hat und bis heute spürbar bleibt.“
Diese und ähnliche Einschätzungen weiß Stölzel stets mit sorgsam ausgewählten und großzügig zitierten Textbeispielen zu belegen, welche, wie gesagt, auch über dir zeitlichen Epochengrenzen hinausreichen. So verfolgt die Autorin die Figur des bösen Meisters von Ludwig Tiecks Die sieben Weiber des Blaubart (1797) über Adelbert von Chamisso (Peter Schlemihls wundersame Geschichte, 1813) und Wilhelm Hauff (Das kalte Herz, 1827) bis hin zu diversen Gestalten im expressionistischen Film (u.a. Das Kabinett des Dr. Caligari, Metropolis) und schließlich Otfried Preußlers Krabat (1971). Aufgrund der Fülle und Vielfalt der Textauszüge, die entgegen des Haupttextes nicht schwarz, sondern rot gedruckt sind, ist Nachtmeerfahrten nicht nur eine akribische wissenschaftliche Arbeit, die auch Laien mit Gewinn lesen können, sondern eine Art alternatives Lesebuch für das gesamte Genre der phantastischen Literatur.
Stölzels Versuch, die Romantik von den oberflächlichen Vorurteilen der weltentrückten Schwärmerei zu befreien und die Epoche als entscheidenden Schritt in Richtung Moderne zu verstehen, ist mit ihrem Buch Nachtmeerfahrten zweifellos gelungen. Ein Anliegen, dem man sich in Frankfurt am Main hoffentlich schon bald in größerem Stil widmen können wird: in Form des Deutschen Romantik Museums.
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