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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Brot und Schnaps

Hamburg

Mit Sergej Jessenin kommt ein russischer Bauernsohn schon liederträchtig zur Welt und hebt bereits fünfzehnjährig mit einer Sprachgewalt an zu singen, die Ihresgleichen sucht. Viel Zeit ist ihm hierfür auch nicht beschieden. 1925, im Alter von 30 Jahren wird er sich in einem Leningrader Hotelzimmer spektakulär und melodramatisch das Leben nehmen.

Der Winter singt – es ist ein Schreienheißt es in einem der frühen Gedichte aus dem Jahr 1910 und auch Jessenins Gesang ist ein wortmächtiges Gebrüll. Bescheidenheit ein Fremdwort (Daß jetzt in Rußland euer Sohn/ Die besten Dichter übertrumpft!). Vor allem durch die frühen Gedichte zieht sich hartnäckig der messianische Gestus eines Dichters, der sich mal als auserwählten Sänger und Verkünder sieht, mal größenwahnsinnig alle Luft austrinken will. Mit dem blasphemischen Langgedicht Ionien aus dem Jahr 1918 erwirbt er sich endgültig den wohlverdienten Beinamen „Rabauke“.

Wie`s in der Bibel steht, so spricht
Zu euch Prophet Sergej Jessenin.
Hier steh ich, meine Zeit ist reif,
Mich schreckt das Klatschen nicht der Knute.
Ich spei den Leib, den Christusleib
Aus mir heraus mit seinem Blute.

Die Umwälzungen der Oktoberrevolution hatten auch in dem ungehobelten Frauenheld vom Land kühne Zukunftsutopien geweckt. Ionien verkündet den Wunsch die Welt umzustülpen, Amerika den Kampf anzusagen und auch gleich einen neuen Heiland: Unser Glaube: Stärke. / Wahrheit: in uns selbst!

Hier spuckt einer von Beginn an die ganz großen Töne und betrachtet man die Entwicklung, die Jessenin vom „naturliebenden Dorfdichter“ zum „zügellosen Bohémien der Moskauer Kneipen“ durchläuft, erscheint einem diese Dichtung als ein fortlaufend anschwellendes Crescendo, das seinen Höhepunkt in dem Moment, in dem keine weitere Steigerung mehr möglich ist, zwangsläufig in einem laut knallenden Selbstauslöschungsakt des Dichters finden muss.

Dabei finden sich die beeindruckendsten Stücke jedoch eher unter jenen früheren, noch dem dörflichen Naturraum verhafteten Texten. Der Wald, der zottige, lullt ein,/ Der Hundert-Kiefern-Chor. Dort zeigt sich noch die ausgeprägte Beobachtungsgabe und Vorliebe für Naturbilder, Farben und Surrealismen.

Dem roten Abend sinnt noch nach die Straße,
Vogelbeerstrauch ist Nebel, tiefer Schlund.
Das alte Haus kaut mit der Schwelle, zahnlos,
Der Stille duftend weiches Brot im Mund.

Leitmotivisch ist die Verbundenheit zur heimatlichen Erde und zum Elternhaus: Der Ahorn hinterm Haus wie fröstelnd hingekauert,/ Um an der Glut des Abendrots sich aufzuwärmen. Und im Lied vom Brot zeigt sich der ihm eigene Widerspruch zwischen dem einerseits völkisch Verhafteten und andererseits revolutionär-kosmopolitisch Denkenden.

Noch lange bevor Paul Celan, Kenner und Übersetzer Jessenins, sein berühmtes Oxymoron schwarze Milch in die „Todesfuge“ setzt, schreibt Jessenin vom schwarze[n] Schnaps, der die Russen in Stimmung bringt. Die Beschreibung urwüchsiger Naturbilder weicht zunehmend Kneipenszenen und Jargon.

Mit dem Umzug nach Moskau hält der selbstzerstörerische Lebenshintergrund des Bohémiens (Frauen, Alkohol, Vandalismus) Einzug in die Texte: Les vor Nutten ich hier meine Verse. Da werden Prostituierte rabiat beschimpft In den Garten gehörst du gerammt/ Als Vogelscheuche, und die Hoffnung auf bessere Zeiten und in die Landsleute aufgegeben: Wieder trinken sie, prügeln sich, flennen/ Zur Harmonika: gelbem Gestöhn./ Sie verfluchen ihr Unglück und können/ Nur Alt-Rußland vor Augen noch sehn.

Ein weiteres zentrales Thema das den insgesamt fünfmal Verheirateten umtreibt ist sein zwiespältige Verhältnis zu Frauener nannt`/ Böses Mädchen sie oft/ Und die liebste von allen.

Die Töne changieren zwischen Zärtlichkeit, Hilflosigkeit und Gewalt. Und doch verbirgt sich dahinter letztlich nichts anderes, als die von ihm selbst bekannte, unerfüllte Sehnsucht nach der Einen In der Zärtlichkeit so fernen Fron, die sich auch in komischen Szenen Bahn bricht: Ich verlor die Scheu – was tat ich alter Gimpel,/ Wie `ne fremde Frau umarmt ich eine Birke.

Im Dezember 1925, nach einem Aufenthalt in einer Nervenklinik, scheint der Autor die Kämpfe mit sich selbst müde zu sein. Er erhängt sich in seinem Leningrader Hotelzimmer. Zuvor schlitzt er sich noch die Pulsadern auf und schreibt mit seinem Blut sein Vermächtnisgedicht.

Frei und nicht so wortgetreu wie der Herausgeber Erich Ahrndt, der für den Band Der Winter singt- es ist ein SchreienGedichte aus den Jahren 1910-1925 ausgewählt und übersetzt hat, aber doch am eindringlichsten, hat es Paul Celan ins Deutsche übertragen:

Freund, leb wohl. Mein Freund, auf Wiedersehen.
Unverlorner, ich vergesse nichts.
Vorbestimmt, so wars, du weißt, dies Gehen.
Da's so war: ein Wiedersehn versprichts.
Hand und Wort? Nein, laß - wozu noch reden?
Gräm dich nicht und werd mir nicht so fahl.
Sterben -, nun, ich weiß, das hat es schon gegeben;
doch: auch Leben gabs ja schon einmal.

Sergej Jessenin
Der Winter singt - es ist ein Schreien
Ausgewählte Gedichte 1910 bis 1925
Übersetzung:
Erich Ahrndt
Leipziger Literaturverlag
2010 · 19.95 · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-86660-102-4

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