„fang gar nicht erst an mit diesem gedicht...“
„...du wirst es bereuen“ heißt es in einem der sowohl sprachlich als auch inhaltlich heftigen und politisch unkorrekten Gedichte von Izzet Yasar, in denen er die Konventionen der heutigen Türkei frontal angreift. „für einen Hauch Bedeutungslosigkeit bist du zu haben / an dich habe ich keine Kunst zu verkaufen“ ist die Message an den „Gedichtliebhaber“. Und das sind noch die vergleichsweise harmlosen Verse des Istanbuler Lyrikers. Orientalische Romantik sucht man bei ihm ebenso vergeblich wie den sonst so weit verbreiteten Ansatz, Gesellschaftskritik hinter klassischen Symbolen mehr oder minder zu verstecken. Er schafft das Kunststück einer wütenden, hochpolitischen Lyrik, die niemals platt ist, es sind keine Abnickverse sondern Schläge in die Magengrube. Ein radikaler Ausbruch aus der Beliebigkeit, so etwas könnte es gerne öfter geben.
Izzet Yasar ist einer von fünf Dichtern in der jüngst von Hans Thill bei Wunderhorn edierten Anthologie „In meinem Mund ein Bumerang“, in der zeitgenössische türkische Lyrik von mehreren deutschen Dichtern mit Hilfe von Studenten und Interlinearübersetzungen ins Deutsche transferiert wurde.
Mit Jahrgang 1982 die Jüngste im Bunde ist Gonca Özmen, die sanftere Töne anklingen lässt und durchaus mit orientalischen Bildern spielt, dabei aber ebensowenig verschleiert, dass es ihr um die Gefühle einer verlorenen Generation geht; sie hat andere Erfahrungen gemacht als Nevzat Celik, der Gefängnis und Folter literarisch verarbeitet, aber auch ihre Generation steht vor politischen Herausforderungen, wenn auch ganz anderen. Die Zeit der Militärputsche ist vorbei, doch der Hoffnungsträger Erdogan hat das Land in einen Polizeistaat verwandelt, der gegen Andersdenkende vorgeht. Die Gedichte im vorliegenden Buch entstanden vorher; dennoch lesen sie sich vor dem Hintergrund des Gezi-Aufstands und der anhaltenden Proteste gegen die AKP nochmal neu und anders, die Eruptionen des Sommers 2013 klingen in den Versen den jüngeren wie der älteren Dichter bereits an. Ihre Gedichte bringen Saiten zum schwingen, die es in einer weitestgehend gleichgeschalteten Medienlandschaft gar nicht geben dürfte. Sie blicken hinter die Schleier, und was sie finden sind Wut und unbestimmte Gefühle, eine indifferente Haltung zu einem Land, das gerade dabei ist, sich selbst zu finden. Elif Sofya schreibt: „ich zermalmte ein Wort mit den Zähnen / und schlürfte vom bitteren Wasser / biss wieder und wieder zu / euer Heulen und Zähneklappern // eure Angst wurde größer als ich / ich klebte an euch, machte weiter“.
Azad Ziya Eren rundet das Oeuvre ab mit düster-verzweifelten Liebesgedichten, die von vielschichtigen Bildern und dem Klang einsamer Nächte getragen werden. Wenn das Göttliche sich im geliebten Menschen manifestiert, wo ist dann Gott in der Einsamkeit? „Als wäre da draußen alles ein Gefängnis, / die Straße ein Schlachthaus, als wäre der Müllhaufen / die Asche niedergebrannter Zelte, Reste des zerstörten / Dorfes, als würden Äxte aus dem Mittelalter an die Tür klopfen, / als wären die vergifteten Tauben auf dem Hof die toten / Enkel, als wäre die Welt, als wäre die Welt, als wäre / sie mit etwas Tödlichem beschichtet, das sich durchfrisst.“
Das Nachwort gibt erhellende Einblicke in die kreativen Prozesse hinter dem ungewöhnlichen Übersetzungsansatz, an dem die Lyriker Sabine Küchler, Klaus Reichert, Joachim Sartorius, Silke Scheuermann und Henning Ziebritzki beteiligt waren; einige Gedichte sind in mehreren Übersetzungsfassungen abgedruckt, lassen ahnen, wie schwierig die Arbeit war, wie unterschiedliche mögliche Lesarten des Originals sich in einer anderen Sprache darstellen, und welche Schwierigkeiten manches Detail bedeutete. Vor allem aber bietet die Anthologie einen hochinteressanten, wenn auch nicht repräsentativen, Einblick in das Werk zeitgenössischer türkischer LyrikerInnen, und man wünscht sich, dass von dem ein oder anderen noch wesentlich mehr übersetzt wird....
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