It’s me
Dass das detektivische Gewerbe eine moderne Form der „Quest“ ist, also der mythischen Suche nach der Herkunft und der Bestimmung, mag man so sehen. Sogar das Ziel der detektivischen Suche, die Erkenntnis, hat ihre traditionelle Verwandtschaft, denn nur der findet zu sich, der erkennt (was immer sich dahinter verbergen kann).
Allerdings sind solche mythischen Konstrukte auch eben nur Hilfskonstruktionen, mit denen ein vergleichsweise unübersichtliches Feld hinreichend verstanden und geregelt werden kann. Mythen sind, frei nach Hans Blumenberg, auch nur rationale Operationen, auf dem intellektuellen und kognitiven Niveau eben von traditionalen Gesellschaften. Und ihre modernen Nachfolger funktionieren grundsätzlich ähnlich.
In der modernen Welt hat sich das nämlich insofern nicht geändert, dass solche „Abkürzungen“ immer noch notwendig sind – immer wenn die Verhältnisse zu kompliziert werden, muss man sie auf einen Nenner bringen, also auf Formeln reduzieren, nennen wir sie Denkmuster, Konventionen oder Mythen.
Solche Abkürzungen werden jedoch von Leuten gewählt, deren Kompetenzniveau grundlegend höher ist als zuvor. Und sie werden in Situationen notwendig, die deutlich komplexer und dynamischer sind als zuvor. Was an Kompetenz gewonnen ist, ist zugleich an Einsicht verloren. Viel hat man davon eben also nicht, dass man mehr kann und weiß, außer dass die Mythen, mithin Denkmuster, andere sein müssen.
Das historische Material wird deshalb neuen Verwendungen zugeführt: Gespenster sind zwar noch angesagt, aber die werden zu Metaphern degradiert, während das Subjekt verstärkt an sich selbst herumrätselt, sind die Verhältnisse doch im Wesentlichen auf das Subjekt selbst zurückzuführen, das zugleich der Hauptleittragende ist und verstärkt an sich zu zweifeln beginnt.
Das ist zwar immer noch nur eine Variante des Zerfalls des vielzitierten Verfalls des Subjekts in der Moderne (einem Paradigma, an dem zu zweifeln durchaus seriös ist), aber eine sehr weit tragende, wie seine literarischen Varianten gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigen.
Das Subjekt auf der Suche nach sich selbst hat denn wohl auch keine echte Chance mehr als nur eine Leerstelle vorzufinden, die mit der Sache selbst gefüllt werden muss. Wenn die Suche das bestimmende Moment des Subjekts ist, bleibt von ihm ansonsten nicht viel. Das vom Sein bestimmte Bewusstsein nimmt sich selbst eben nicht wahr, außer durch seine Aktivität: Es sucht.
Schon schwindelig? Dann haben Sie aufgehört, zeitgenössische Literatur zu lesen – ungefähr seit dem Noveau Roman, wenn nicht früher.
Interessant wird das, wenn solche Modelle auf ein Genre übertragen werden, das Erkenntnis in seiner Weise ja noch hinreichend naiv verwendet: Erkenntnis muss geschaffen werden. Koste es was es wolle. Und dabei hilft hinschaun und nachdenken
Das heuristische Modell des Kriminalromans ist aber weniger naiv als optimistisch, als ob sich Erkenntnis wirklich erreichen ließe. Freilich, zumindest auf der pragmatischen Ebene zweifeln wir daran nicht. Bei jeder Bedienungsanleitung sind wir immerhin optimistische Leser. Und jeder CSI-Zuschauer glaubt daran, dass es Spuren gibt, die zum Täter führen, alle Erkenntniskritik zum Trotz.
Was aber nun, wenn die Suche selbst zum Hauptthema wird, das alles andere dominiert? Das Verbrechen oder auch nur die Person, die gefunden werden soll. Das ist zwar grundsätzlich immer so, aber es gibt eben Romane, die dieses Thema offensichtlich in den Vordergrund rücken, nicht zuletzt weil sie die These vertreten, dass jede Suche eine Suche nach sich selbst ist. Siehe also oben.
Lavie Tidhars „Osma“ ist solch ein vorgeblicher Kriminalroman, der weder das Rätsel noch seine Lösung in den Vordergrund stellt, sondern den Weg, der zwischen beiden Punkten zu beschreiten ist. Das lässt sich dann trefflich als symbolischer Gang zu sich selbst inszenieren, was jedoch niemanden überraschen kann.
Ein Mann namens Joe wird von einer Frau beauftragt, den Autor einer Reihe von Thrillern zu suchen, die unser gesamtes Ensemble an Terrorevents der letzten Jahrzehnte mittlerweile als literarische Fiktion verhandelt. „Osama bin Laden: Vergelter“ heißt die Reihe, und es ist eine Terrorgruppe um einen gewissen Osama bin Laden, die seine Szenerie bevölkert. Ziemlich schaurige und schrecklich unglaubhafte Texte, die in einem anrüchigen Pariser Verlag erscheinen, der von einem schmuddeligen Opium rauchenden Griechen betrieben wird.
Joe treibt sich also ein wenig in der Welt herum, auf der Suche nach dem Verfasser dieser Schundromane, er wird überwacht, verfolgt, verprügelt, gefoltert und beschossen, er will mehrfach die Suche abbrechen und führt sie dennoch fort. Man drängt ihn massiv dazu, seinen Auftrag abzubrechen, aber – selbstverständlich – er hält sich nicht daran. Das wäre dann ja auch eine ziemlich fruchtlose aber auffallend originelle Geschichte.
Das ist aber hier nicht angesagt. Stattdessen rennt und reist und sucht Joe immer weiter. Damit das auch allen klar wird, sagt er zwischenzeitlich immer wieder mal zu sich selbst, dass er ein Detektiv ist (also doch keiner). Und dass er seinen Auftrag erfüllen muss.
Das tut er dann ja auch, um am Ende doch wieder nur sich selbst zu finden (und ist damit nicht mal zu zweit, weiß aber auch nichts damit anzufangen).
Rätselhaft nennt man solche Texte, konventionell sind sie doch auf ihre Art und eben auch unbefriedigend. Keine Frage, das Thema – den Terror auf die fiktionale Ebene zu schieben – ist interessant, aber was wird daraus? Ein langatmiger Text, der bedeutungsschwangerer tut als er ist. Was immerhin eine Kunst ist.
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