Mechthild Curtius
Vita
In Marburg an der Lahn Studium der Germanistik, Romanistik, Ethnosoziologie und Kunstgeschichte . Wissenschaftlich erklären ~ anschaulich Erzählen ~Funk und Filme machen, als Literaturwissenschaftlerin schrieb sie theoretische Bücher und Essays.
1971 Dissertation über Elias Canetti, Habilitation 1982 über Erotische Utopien bei Thomas Mann, Colloquium über Locus amoenus - Landschaft in der Literatur seit der Antikel. Ästhetik der Kreativität, Erotik & Wandel, Wahrnehmen und Erinnern, Landschaft als Schöpfungsmetapher sind Hauptthemen. Bücher u.a. in den Verlagen: Bouvier, Europäische Verlagsanstalt, Suhrkamp, Insel, Benziger, Athenäum, S. Fischer, Schöningh, Aufbau. Landschafts- und Literatur-Sendungen (Text & Regie) in ARD Funk & Fernsehen, Essays und Erzählungen in Anthologien und Literaturzeitschriften
AUSZEICHNUNGEN
1983 Würzburger Literaturpreis
1988 Drehbuchpreis des Kultusministers von Nordrhein-Westfalen (gemeinsam mit Olaf Hauke)
1989 Georg-Christoph-Lichtenberg-Preis für Literatur
1996 Main-Kinzig-Kulturpreis
2001 Writer in Residence der Stadt Graz
2002 Moldau-Stipendium
Auswahlbibliografie




Textfläche
Die Bestie von Poldrowo
Kriminalfall Zeitung Słupsk 1992
Boden ist unter Nebelfeldern kaum zu sehen, abgeerntet braun und grau, griesgrämig grün. Gegen Abend wird aus Nebelgrau Bleigrau, Und hinein treiben Wolkenfasern wie verdreckte Glaswolle, die sich zu stumpfmassiven Bimssteinwolken ballen. Gegen Abend fallen Tropfen auf die Köpfe der Kinder, auf die Kohlstrünke im Garten zwischen Haus und Schuppen, auf das Gerümpel, und das Wasser in beiden Regentonnen steigt an. Der Junge Leszek versucht, aus dem Tümpel Frösche zu fangen. Die Großmutter umwickelt die Wasserrohre winterfest mit Stroh und Hanf, die Zopfmädchen jagen den Stiefbruder, um ihn vom Zerreißen der Frösche abzubringen. Als sei es im Sommerlicht mit dieser leichten Luft, laufen sie mit ausholend gelösten Bewegungen, der große Bruder zieht die Schultern hoch und die Oberarme an die Rippen heran in frierender Geste. Den Kopf mit den kurzgeschorenen Haaren, die wie eine Haube über den Henkelohren kleben, duckt er zwischen die Schultern, den kleinen Finger klappt er in die Handfläche ein.
Manchmal fällt ein Tropfen ploing in aufgestellte Eimer und Kannen, sonst ist es behaglich. In der Küche sitzen sie, die Großmutter legt Kuchenstücke in die große Schüssel und bröckelt den Prasselkuchen dazu, der die Berg-und-Tal-Struktur der Landschaft hat. Vom Kaffee noch einen Schluck. Wirf nicht die Kanne um, Junge, die steht auf dem Lehmboden, Dielen hat die Küche nicht mehr, weil vorgestern der durchgefaulte Boden eingebrochen ist, der Herd steckt in Ackererde, auf der sich Regenwürmer ringeln, in der winzigen Wohnraum wärmt der einzige Kohleofen des Hauses die drei Kinder, die Mutter, die Großmutter. In das graugerußte Eckhaus zwischen Haupt- und Querstraße bumst zuweilen eines der wenigen Autos, vom langgestreckten verfallenden Hofgut nebenan poltern die Dachziegeln, hoffentlich flüchten sich seine Ratten nicht in unsere Ofenwärme. Wenn nur nicht die Funken von den Bränden ringsherum auf uns fallen, da zündelt einer, immer Freitags um zwölf. Isses nun ein Verrückter, um den Verstand kann man hier kommen, auffem Pulverfaß sitzen wir, wann wird das nächste der leerstehenden baufälligen Häuser abbrennen. Und in einem hat man eine verkohlte Mädchenleiche gefunden. Das gibt Verdacht. Schieb noch ein Brikett in den Ofen, Leszek, und dös' nicht. Lass die Miez los, Jelena, und du, Matgorzata, kippele nicht mit dem Stuhl. Leszek fühlt sich wohl. So sehr sie auch nörgeln, es ist eine friedliche Familienszene, da könnte er sich geborgen fühlen, wenn es nur öfters so wäre. Die Mutter tätschelt fast, so leicht schlägt sie ihm auf die Kuchen klauenden Finger, und die Halbschwester lächelt ihn an, als sie ihn freund- licher als sonst 'Glupiec' und 'Dummbartel' nennt. Sie laufen gemeinsam nach draußen, als der Bindfadenregen in Nieselregen übergeht, durch die rutschenden, jetzt feuchtglitschigen Abraumhalden des Tagebaus, den keiner mehr abbaut, und als sich die Erde unter der Schwester öffnet, hilft er nicht nach wie bei der fremden Spaziergängerin neulich; sie zieht er wieder hoch, und ihr Küsschen ist Lohn. Ach. Bitte noch mal. Immer wieder. Und wieder. Und wieder. So, so, und nicht anders. Auf keinen Fall wie der Vater mit Mutter. Die vielen Väter, denn welcher, Jelena, ist deiner, welcher Matgorzatas und welcher meiner. Wir wissen es nicht, die Mutter doch auch nicht, und keiner will es wissen.
Den Waldweg läuft die Frau aus dem Hotel, die Niemka, die Deutsche, langsam auf das weißliche Lichtloch hinter der Grasnarbe zu. Dämmerung weicht der Morgenhelle, in die zusehends Graulilalicht einfällt. Als sich der Sonnen- ball durch die Stämme empor rollt, fallendes Licht die Nebelschichten regen- bogenbunt einfärbt, das Grün der Bäume und Wiesenmatten erbleicht, hat sie die Gelassenheit tagheller Nüchternheit erreicht. Die Furcht ist fort. Da ist sie auch gefasst, als ihr ein Fremder entgegenkommt, der noch dazu erschreckend aussieht. Sie lächelt. Der Fremde zuckt um Nase und Mund, als übe er, wiederzulachen und könne es nicht, dann gelingt es doch, etwas schief. "Dzien dobry". Guten Tag. Reisen. Polen schön. Immer weiter. Osten. Er nickt. Jung ist er. Gedrungen, halslos, Henkelohren, Stirn fast fort, Haarzotteln hängen in stupide Augen, Maul breit und äffisch vorstehend der Mund mit den kohlrübengelben Zähnen. Aber das ungeübt kindische Lächeln, das packt sie, lallend das überstürzende Reden. Heilendes Lächeln, rettende Sprache, wenn du wüßtest, wer dir da etwas mitzuteilen versucht.
Ganz Polen ist sein Zuhause, nicht nur die muffige Wohnküche mit den durch- geschimmelten Dielen, er streifte durch die Wälder und Dörfer zwischen der Ostseeküste und der Tschechei. So wie die Deutsche, die Niemka, ist er unterwegs gewesen, aber viel weiter, von Morze Baltyckie bis Schlesien hin und her und rauf und runter in Eisenbahnen gerüttelt, in Lastwagen durchgeschüttelt worden, zu Fuß getigert. Blutrünstiger Tiger, aber was bei dem Raubtier Natur ist, ist bei dem jungen Menschenmann Leszek ohne diesen tierischen Sinn und Verstand, zu töten, um sich zu sättigen und dann aufzuhören. 'Nekro-Sadismus' ist nur ein Wort in der Zeitung. Nein, kein Gespür von Liebe und Lust, wie sie schreiben, eben nichts lässt sich an Lebensgefühlen entlocken, aus lebenden Körpern nicht und nicht aus Leichen. Suchen, nie finden, dumpfes Hirn, bleierne Stirn. Als wenn einer das Licht ausknipst, fängt er an zu stammeln.
>Aber sie hat doch gelacht, mich gemeint, meinen müssen, war sonst keiner da. Ganz Polen ist mein Zuhause. Mein Dorf Poldrowo – such es überall und nirgendwo. Gehöre ich hin. Keikeikein Mensch und kein Vieh will mi. Hahahab ich gesagt und dann hab ichs getan. Damit damit damit ich ich ich dabei sein kann. Meine Zwillingsschwester hab ich erdrückt, da war ich noch nicht auf der Welt, von grundauf böse und verrickt bin ich schon in Mutters Bauch gewest, kann kann kann nix dafier, bleed inn Kopp meine Mamma, die Magd Cecylia, auch. Vatter hat sie nit gefrackt, Kinner gemackt, wie die Alten sungen zwitschern die Jungen, Oma hat in der Kirch Kerze fier mich angesteckt, dass de verreckst, mehglichst balt, hat se gesackt. Bist von grund auf beese, austreiben will ich den Deibel, mit Ruten streichen dir aussem Leibe, und der Herr Pfarrer hat ihr dafier den Segen gegeben.<
Der freundlich aufmerksame Blick der Fremden scheint ihn zu besänftigen. Gedanken gehen ruhiger, Mund macht mit, Zunge auch, steigt die Erregung, verhaspeln sie sich in lallendes, lispelndes, hechselndes Stammeln. Die tausend Seelen im polnischen Dorf sind dem Deibel und der Fuselfabrik verschrieben. Da hat sich nicht nur der Vatter um den letzten Verstand gesoffen. Umso mehr, als er die Stelle als Baggerführer im Tagbau verlor. Wenige Seelen wie die von Oma gehören der Heiligen katholischen Kirche.
>Hochauf blumenbeladen gehen wir gemeinsam zur Maiandacht Abend für Abend, und weil ich die aus der Wiese gepflickt hab, weil ich das nämlich kann, hat sie mich einmal als ihren guuden Jungen gestreichelt. Dann habe ich, weil das so scheen war und immer wieder sein soll, immer scheenere Blumen gebracht, Schneeballen und Flieder, und weil die scheensten natierlich im Schloßparck waksen, die abgemacht, bin ieber die Mauer rieber und runter und hoch trotz der Glasscherben oben druff, das iss doch fier mich keine Kunszt, und die Hände bisschen geschnitten und die weißen Madonnenlilien voll Blut, aber da hat die Großmutter mich nicht noch lieber gelobt, weil die Blumen noch scheener sind, sondern gezaust und gepriegelt, wieder du Tier und Dorfdepp geprüllt, geprüllt und verlacht, und dann und dann da hab ichs wieder gemacht und getan, und bin gerannt in den Walt, und weil ich Oma und Mama doch nich umhauen kann und nich darf, hab ich die fremde Frau in Walt totgemackt, nit gewollt, gemusst. Will nich - muss.<
Abrupt dreht sich der junge Mann um und rennt weg.
>Die Bestie von Poldrowo<. Am späten Nachmittag liest die Frau Schlagzeilen handhoch und blutrot im deutschen Blatt, an einer Bretterbude in einer der von Linden-Alleen bestandenen Geschäftsstraßen. Pomorska Polska heute, hat >vor fünfundvierzig< Stolp geheißen, ist samt dem Ostseehafen Stolpmünde Hansestadt gewesen; Zentrum des Bernsteins. Näher heran. Das Bild sehen. Die Fotografie.
>Den kenn ich. Das ist er.< - >Wer? Was redest du?< Fragt ihr Begleiter.
>Der im Wald so ellenlang auf mich eingeredet hat, wild geguckt, mir zwischendurch die Hände geküsst und geweint hat und zuletzt wie von der Tarantel gestochen auf und davon ist.< >Dem Tod von der Schippe gesprungen bist du.<
Wieder raus in den Regen, sie rennen durch die Straßen ins nächstbeste feuchtkalte Cafe. Das Brodeln des Kaffees auf einer Kochplatte das lauteste Geräusch im Cafe; vor dem Fenster zischeln die Autos zwischen den vier Reihen alter Platanen durch die Pfützen. Er liest und blättert. Sie sinnt vor sich hin. Sie hat immer mehr Ursache, an ihrem Verhältnis zwischen Wahrnehmung der Wirklichkeit und imaginärer Furcht zu zweifeln. Den Fremden im Morgengrauen hatte sie von Angesicht abstoßend gefunden, dank der erhellenden Frühmorgenstimmung jedoch nicht gefürchtet, hat ihn angelächelt und mit ihm 'geredet'. Damit, so schien es, sich in Sicherheit gesprochen, zugehört eher, ihn reden lassen; ernstgenommen musste der Armselige, Ausgestoßene sich vorgekommen sein. Wenn er es war. Männer solcher Statur gab es in diesem Landstrich mehr als einmal.
Den alten Handelsweg, Bernsteinstraße, Salzstraße, waren sie nach Koszalin gefahren, früher Köslin, uralte slawische Siedlung, durch solche polnischen Nester ohne Nestwärme, die einen verrückt machen können. Aber so? Artur bietet der Freundin den Witzblatt-Anblick des hinter der Zeitung unsichtbar gewordenen Mannes. Unansprechbar nicht. Das da mit dem Frauenmörder lässt ihn nicht los. Ob das wirklich der Mann war, den sie vor Tau und Tag am Waldrand getroffen hat. Und wenn, dann hat ihre Freundlichkeit sie gerettet. Sie zweifelt. Wer auch immer er ist. Extrem sei ich, sagst du. Extrem nennst du uns, weil wir die Wirklichkeit in Überlegungen ausloten. Was ist mit diesem Triebtäter in der Zeitung mit dem weißen Stern in der linken Ecke, auch weiß und rot, rot auf weiß, der Mann hat im Alter von vierundzwanzig Jahren siebenundfünfzig Frauen getötet, vergewaltigt und tot geschändet, zerstückelt, verschlungen. Doppelt so viele Tote wie Lebensjahre.
PUMPERNICKEL
Ein Haus am unteren Ende von Jöllenbeck, dort, wo es nach Enger weitergeht, Post Peppmeiersfeld; eine niedrige Mauer, drei Mädchen sitzen darauf. Alle drei Schwestern haben lange Zöpfe und in der Mitte eine Tolle. Solch eine Frisur hatten damals viele Mädchen, die Mütter und die großen Töchter scheiteln links und rechts auf dem Oberkopf, wickeln die mittlere Haarsträhne um einen großen gebogenen Kamm und stecken ihn fest; so entsteht eine Art Wurst auf dem Oberkopf, von der Stirn bis zum Hinterkopf; links und rechts werden zwei Zöpfe geflochten, mal dicker, mal dünner, mal ldnger, mal körzer, und die werden mit Hornspangen oder mit Schleifen vor dem Aufgehen gesichert. Kei,ne fröhere Szene gibt es in meiner Erinnerung an die westfälische Kindheit. Gerät mir das schwarze harte Brot Pumpernickel mit süßlich-feuchtem Geschmack zwischen die Zähne, kommen mir alte Döhnkes dazu in den Sinn, ungefragt und ungeordnet; mit diesem westfälischen, plattdeutschen Wort bin ich wieder in 'Jürmke', dort, wo es ganz unten am Dorfrand und zu Beginn meiner eigenen westfälischen Zeitrechnung war. In Detmers' Pumpernickelfabrik. Mag sein, daß das schwarze nasse Brot in Silberpapier alle diese Westfalenerinnerungen ausgelöst hat. Sein Anblick, sein Geruch oder sein klebrigherber Geschmack zwischen Zunge und Zähnen, am besten mit 'chuter Butter', wie sie in der Nachkriegszeit in Ostwestfalen hieß, mit westfälischem Knochenschinken, rot, braun neben weißem Fettrand, ein Luxus für die Fremden aus dem Osten, als Geschenk von einem der hiesigen Schweinebesitzer, die diese Schinken neben Würsten inne Räucherkammer hängen hatten. Ich überlege zurück in die Pumpernickelfabrik, muß vorerst dem roten Faden zuliebe meinen Freund zurückdrängen, der dort neun Jahre später Bäcker war und mich mit dem schweren schwarzen Motorrad abholte, dem die weißen Petticoats schwarze Spitzen verdankten. Der Seiteneingang, vor dem ich mit diesem schönen Bäckergesellen sprach, gehörte zum einstöckigen Anbau, der neunzehnhundert achtundvierzig gerade gebaut wurde, untere Hälfte Stein, obere Hälfte Glas. Darin wurden die Öfen aufgestellt, zwischen den Backschichten halfen die Kinder fegen und bekamen dafür Pumpernickelreste oder auch schon einmal ein Brot, das für die Schneidemaschinen zu schief geraten war. Sowieso lagen die Krusten des mehrfach gebackenen Schwarzbrots selbst um das Backhaus herum im Freien, sie waren so hart, da die Kinder sie eher lutschten als kauten.
Milchstern und Apfelblüte
Ostersonntag, Hochamt in der Basilika von Aschaffenburg, die Frankfurter erleben nur das Ende einer allerdings wunderprächtigen Eucharistie-Feier, Orgel so hoch, so laut, dass die Lüfte um die Düfte vibrieren; in nebeligen Schwaden zieht Weihrauch durch die offene Tür über das feuchte Rasen-Karree mitten im Kreuzgang. Altäre sind überfüllt mit vielfarbigen Blumen, Ketten von gemalten Ostereiern zwischen den Apfelzweigen vor der Sakristei, dort beginnen sie den üblichen Rundgang durch die Basilika, lange stehen vor Beweinung Christi (um 1525); das Gemälde von Grünewald kommt einem schmerzgepeinigten Betrachter entgegen, Rippen hoch, Knie, Bein, Gebein, Skelett sichtbar geworden. Kopf geneigt, Augenlider gewölbt, warum sieht jeder unermessliche Schmerzen in "Augen, die brechen". >Und dreiunddreißig Jahr. Im Fleisch gehorsam war<. Passionslied. Jung gestorben. Ursprünglich handelte es sich vielleicht bei diesem Spätwerk um einen Teil eines Heiliggrabes in der Turmkapelle, in der Osterliturgie spektakulär. Geblieben ist von diesem Heiliggrab der gotische Aufsatz sowie die Originaltafel, die an der Schauseite der Heiliggrab-Truhe zu sehen war. Trotz einiger Retuschen zählt sie zu den bedeutendsten deutschen Bekenntniswerken christlicher Kunst. Und das hängt seitwärts. Von einem Cranach Fresken und Skulpturen vieler Epochen. Kurz nach dem Hochamt: Der Kreuzgang steht offen! Wie in Südfrankreich, im Mittelfeld Gras und Blumen, Brunnen keiner, rundherum Kapitelle, romanische Kirchen waren mein Rigorosum-Thema, eines von dreien, und das dreimal drei Fächer. Die Zisterzienser trugen diese ihre Klöster Jahrhunderte lang durch ganz Europa, in Szentgotthard, Sankt Gotthard, in Ungarn gleich hinter der Grenze, sahen wir das östlichste. Nahe Graz, das wir im Vierländereck umkreisten, von überall her Erzählungen schrieben, in unseren Stadtschreiber-Monaten. Ursprünglich sind diese Bauten romanisch-schlicht, später doch Fresken, Reliefs, vor allem Schmuck der Kapitelle im Kreuzgang, hier in der Sonne sitzen, ewige Ruhe. Kirche und Landschaft in einem. Ist die Frömmigkeit der Mechthildis, eben Bäuerinnen-Nonne. Olaf lacht darüber. Gelaufen ganz gut mit Stock durch das schöne Aschebursch, Sonne sticht vor der Mauer des Cafés. Zurückgefahren durch den Kahlgrund, wo fünfundsiebzigtausend Apfelbäume blühen, rötlichweiß, eine großen Zweig haben wir in den halbmeterhohen Glaszylinder gestellt. Und Milchsterne gefunden. Glasig im Grase. Ein Räupchen will mit, findet es langweilig hier, in die Metropole.
Undique
Von überallher kommen sie in meine trotzdem geliebte Stadt, die hohe Türme, tiefe Baugruben hat - und doch Holzhausens Park und ein Westend, kosmopolitisch, alle Kontinente kommen, meine Dichterfreunde gehen vom Grab des Peter Kurzeck fort und wieder nach Berlin, trauern wir. Und sagen: Besser Berlin als Hauptfriedhof. Für eine Zeitung, die so heißt, hab ich erotische Erzählungen geschrieben, man kann in dieser Stadt gut leben und lieben. Ringsum mein altes Haus mit Deckenstuck, Gemälden, und zehntausend Büchern lange Villenreihen, Jugendstilstuckschlieren und Ranken sich in den Alleen wiederholen, Kastanienblatt, Jelängerjelieber, Magnolienkelche, und hinter den Eisenzäunen Schwertlilien. Im Botanischen Garten Seerosen und zwei riesenhafte Lotosblüten, die sich zu Fruchtkegeln schließen. Ein Eckhaus sieht mit geschweiftem Turm wie ein Schlösschen aus, ein großer Herr mit Hut, Stock, Schirm kommt morgens um neun Uhr heraus, schließt die braune Haustür leise, nickt links den Päonien und rechts den Akeleien zu, macht das Schmiede-eisen-Gatter, schön vor Rost, vorsichtig auf und zu, altersverzogen ist es schief auf jeden Fall, gibt es einen kleinen Knall. Es stieben liebende Kohlmeisen auf und davon. Er strafft sich, geht seinen Gang, mit schwarzem Koffer die Leerbachstraße entlang, dem Bankenviertel zu. Eine Stunde Ruhe. Dann folgt…Draußen steht nur diskret eingeätzt in Messing LL & Dr DS. Ich kann ungestört Die Namen auf den Klingelschildern lesen. Obern Ludger Lüttgerüschkamp und drunter Dr. Davina Settevendemie. Ertappt. Da kommt wer wirklich raus aus ihrem Haus, zierlich, brauner Pferdeschwanz, blau Kostüm und Stöckelschuh, Tasche passend und auch Schal dazu. Die Dame lächelt, hab ich Glück, lächle verlegen und ertappt zurück. Die Dottoressa sagt die Dame, ist fort nach Ascoli Viceno, ich schreck zusammen, wittre ein Komplott, dort, wo sie meinen entführten Sohn versteckt hatten, lang ist das her. Er will zurück, zur Nonna, zu den vielen Nichten und Neffen, zu den Katzen, Pferden, Kühen, für mich ist das schwer. Das hat er grad von mir, ich bin und bleib eine Bäuerin. Zu Bachtälern, Wald und Triften zieht es mich hin, es sind die Kastanien, Magnolien, Vorgärten, die mich in meiner Großstadt halten, am Sonntag raus aufs Land, in immer engeren Kreisen, gefährlich und erschöpfend ist das weite Reisen, Basilika Kreuzgang, bindet die Innenstädte, dazwischen wie gesagt, geschwärmt. Weil jedes Wort Erinnerung aufwärmt, der Wiesenblumenstraße aus Hahnenfuß, Wiesenschaumkraut und lila Wicken, Gespür vom weichen Wiesenweg hochkocht, so hab ich Montag Kahlgrund mit dem Geräusch der Bahn, am Dienstag den Bahndamm mit dem Milchstern, Mittwoch den weißaufgeblühten hellbraun welkenden Apfelzweig grad wie die tausend riechen, am Donnerstag … spinn weiter, wer das mag …
Steinberg
Ringelblumen leuchten orange aus dem Lehm, zwischen zwei Rebenreihen, kahl. Viele tausend Meter von der Weinberghöhe bis tief in den Rhein, das Wasser funkelt in der Wintersonne nach so vielen Regentagen gleißend, blendend. Alle vier Sonntage wieder nach Oppenheim, nach Eltville, nach Johannisberg, nach Kiedrich, die gotische Kirche unseres Glockenfilms ist wegen Baufälligkeit geschlossen, Fotografieren und Filmen heißt einen Jahrhunderte alten Eindruck erhalten. Ebenfalls das Beinhaus mit den grauen Knochen und Köpfen, nicht gemalt wie in Hallstatt, und die turmhohe schmale Kapelle, treppauf und die doppelgesichtige Madonna bewundert. Zwischen Weinbauern in Fachwerkhäusern zur Konditorin Valentin und dieses Mal weiterfahren, bergauf, bergab, hinter Kloster Eberbachs Parkplatz für Busse und Touristen links an Wald und rechts Wiese vorbei, unter hellem Himmel durch eines der vielen Tore, hinter denen das Staatsweingut sich breitet, Mann mit Dackelhund hält das Schmiedeeisentor auf, schnell schließen, damits net zieht. Schwarzes Häuschen - schiefergraues - wie Eierhäuschen und Liebespavillon bei vielen Dichtern Weinwege weitergehen, Erklärungen lesen, und schöner als alles Felsen und Steine zwischen den Weinen sind die Tausende vereinigt in der drei Kilometer langen Bruchsteinmauer Trockenmauer, noch aus der Zisterzienser Zeiten als Bernhard von Clairvaux 1134 auch diese Kloster gründen ließ, wie in ganz Europa, mal beim Lubéronfilm und mal hinter der Grenze östlich von Graz: Steiermark- Ungarn. Steinmauer hinter wenigen Weinreben, blinken im Mittagsonne grausilberner Schiefer, braunrot blauviolett gekrümmt gerollt wie uralte Holzknorren, Weinstock versteinert, ….Die Pflanzen am Bodden ziehen Nematoden und andere Schädlinge an, Tagetes und Ringelblumen pflanzen, die schön blühen, und nicht Spinat oder Hafer. Da sind im Jahr zwölfhundert vierzehnhundert sechzehnhundert zwei Menschen spazieren gegangen, er soll Mönch werden, sie Nonne, bestimmen die adligen Eltern. Frei sein, beieinanderbleiben. Zusammenbleiben wie alle die anderen auch, zumeist. Was tun, wenn keiner ein Einkommen hat?
HakennasenMähnenMann Archibaldus, man sieht ihm nicht an, wie sehr zuwider ihm das Zoelibat ist. Bei ZartmitZopfumschmalenKopf Mechtildis ist es genauso. Aber ihre Hände sprechen Bände. Wie sie sich umfassen, nicht loslassen. Umsehen, dass es niemand sieht. Für vornehmes Klosterleben am Rhein sind beide bestimmt. Und das mit den unterirdischen Gängen ist nicht wahr. Und wäre nicht Liebesleben für sie. Zum Besichtigen sind beide Familien hier. Sohn und Tochter entkommen. Familienbande. Der Erste erbt das Schloss, der zweite das Hofgut, und der Dritte wird Mönch. So ist es immer gewesen, so bleibt es. Und ihre Familie: Bei zwölf Kindern, sechs Schwestern, werden gleich drei Nonnen in vornehmen Klöstern, dort dürfen Frouwen gar musizieren, schreiben und malen.
Gelahrte Frouwen - was soll das, wenn eine die Liebe suchtet vor allem? Überm Rhein ist Sonnenschein, hier ist unser Bleiben für eine Weile, kommt Zeit, kommt Rat. Eile mit Weile. Sprüche klopft der Wirt vom kleinen Weingasthaus im Klostergut Eberbach. Die beiden mag er, ihnen wird er helfen, wenn sie fragen.
Lang ist es her. Hakennasenmann Archibaldus und Mechtildis, nunmehr den dicken Zopf um den Kopf, wohnen und arbeiten beim Steinberg-Wirt Weinaehr. Anstellig in Küche und Garten ist sie, die höhere Tochter kehrt sie nicht raus. Zupacken kann er, und nach und nach sitzt er am Eichentisch hinter dem Schoppen Riesling und blickt geradeaus, spricht der Wirt Johannes Weinaehr ihn an, hört er nicht. Blickt Archibald endlich auf, leuchten seine Augen, licht das ganze Gesicht. Und ein Einfall rutscht raus, zögernd erst, dann immer glatter: Was wäre, wenn wir … die französische Traubensorte der Mönche pflanzten, der Boden ist durchsetzt von Sand, Kies, tonigem Lehm und Schiefer, am Südhang vom Höhenrücken viel Sonnenlicht, drunten der Rhein. Gesagt. Nit gleich gethan, lange probiret. Hat funktioniret. Muehsam: Steine auslesen, zur Mauer die großen Brocken ohne Mörtel schichten trocken.
Stein auf Stein, kunstreich, große Steinem, kleine in die Lücken, violett schillernd, silberglänzend, lehmbraun, schiefergrau, mal glatt, mal schartig, manchmal noch versteinerndes Holz, sei es knorriger Weinstock, vor Jahrtausenden gestorben, sei es Pfirsich und Mandelbaum, man glaubt es kaum, die kostbaren köstlichen Früchte gedeihen als Nachbarn der Trauben, Königin der essbaren Gewächse. Und trinkbar. Seit tausend Jahren.
Wo man geht und steht, trifft man auf Steine, hochkant und quer, als Treppenstufen, Trockenmauern zwischen den Etagen der Weinstöcke, kilometerlang als einfassenden Schutz gegen tierische und menschliche Räuber. Früchtediebe. Stare sind damit nicht gemeint. Kilometer lang ist der den Steinberg schützende Mauerring.
Eine Tafel neben einem der Tore erklärt alte Geschichte: Errichten ließ die Mauer Abt Adolphus Werner zu Salmuenster. Spruch in Latein, Distichon holprig kopiert:
Hier Ist Die Mauer erbauet, des Adolphus sterbende Reben zu schützen. Frucht seyner Mühe. Stein, welcher Schutz und dankbare Muße verschafft. Nach Arbeyt folget erquickende Ruh.
Das lesen immer wieder die Kinder und Enkel von Archibaldus und Mechthildis. Denn wider alle Familienfehden : die beiden sind geworden ein Paar. Kein Verbrechen als düsteren Schluss. Mechthildis vom Februar zweitausendund vierzehn schreibt fuer ihren Archibaldus Enricus Olavus nunmehr lauter sinnenhaft schoene Geschichten mit glücklichem Ende.
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