Drahtlos, weltverbunden
Mit dem Mund fängt es an, und ehe man noch ein Wort aussprechen kann, müssen die Sendefrequenzen abgeschmeckt und die Störsender ausfindig gemacht werden – oder wo ist hier die Drahtlosverbindung zur Welt? Seltsame Hybride klettern da aus dem Gedichtband von Jan Skudlarek – Elektrosmog, so der Titel seines Debüts –, Wesen aus Vibes und Hauptplatinen, „zungenfertige freaks“, die sich bis auf die Kupferdrähte entblößen lassen und „in etwa splitterfasernackt“ herumstehen beim nächsten Stromausfall. Der sie umhüllende Smog ist quasi alles und nichts: ein Unding, ein Halluzinogen, ein subkutaner Flow, vielleicht noch mehr als das: ein Mutagen, das unseren Organismus verändert, unsere Wahrnehmung ebenso verzerrt wie schärft. Eines ist nach der Lektüre von Elektrosmog zumindest unbezweifelbar: „wir sind auch nur touristen in unseren körpern“.
Skudlareks Gedichte treffen einen Ton, den man in der deutschen Gegenwartslyrik vermisst: erzählend, gänzlich unangestrengt, mit einer halsbrecherischen Sicherheit für das richtige Bild: „im gras die leere fassung eines / außenspiegels : halt sie dir ans ohr und du hörst / die autobahn rauschen“, heißt es in dem Gedicht „wie wir laborieren“, das zugleich ein Sinnbild für die Arbeit am eigenen wie an den Gedichten anderer sein kann. Denn auch die Arbeit am Gedicht beginnt zunächst einmal mit einem Code, einer Verschlüsselung, die es dann zu entziffern gilt („unterwegs immer wieder vögel, ihr / semiotischer singsang“). Der Quellcode indes erweist sich als unübersetzbar, etwas in Vergessenheit Geratenes vielleicht („wir passieren das gatter, links liegt die / weide, eine aus der mode gekommene wendung“). Doch wer ihn ausbuchstabieren will, der muss ihn neu übersetzen: der Singsang der Vögel, das ist jetzt das Rauschen der Autobahn, ein deutliches Rauschen, oha. Der Außenspiegel wird zum erweiterten Sinnesorgan, einer Quasiverbindung zur Welt.
Formal umgesetzt wird dieses Verfahren dadurch, dass Skudlarek auf Vers und Sinneinheit verzichtet: Alle Gedichte werden wie automatisch im Blocksatz gesetzt, mit großzügigem, hoch aufgelöstem Zeilenabstand. Dem Gedichtband vorangestellt ist ein Zitat von Rolf Hensingmüller, einem unbekannten Göttinger Forscher, der bereits 1911 in einer amerikanischen Südstaatenzeitung vor einem wireless-bedingten Zahnausfall warnte, einer durch die kabellose Telegraphie und Telephonie zu erwartenden um sich greifenden Zerstörung. Skudlarek unterstreicht damit einmal mehr, dass Poesie und Elektrizität etwas Entscheidendes gemeinsam haben: sie sind energetische Quellen sui generis. Auch Elektrosmog will in dieser Hinsicht eine elektromagnetische Quelle sein, ein unruhiges Feld, das sich zwischen Plus- und Minuspol aufspannt.
Nur manchmal treibt Skudlarek es mit seiner Elektrosensibilität etwas zu weit: Wenn die Sonne morgens aufgeht, dann lädt sie in „modemgeschwindigkeit“, in der Dämmerung abends „loggt“ sie sich aus. Zwischendrin steht sie in einer „warteschleife“ hinter den Wolken, die selbst wiederum in einem vierten Gedicht „bildschirmschonend“ vorbeiziehen. Das ist alles sehr schön, hat Stimmung und Schwung. Doch so sehr man dem Autor für jeden Replikanten, der sich da aus dem dichten Smog herausschneiden lässt, danken möchte, unter der Hand macht sich gewissermaßen Verschleiß bemerkbar, so auch wenn die Jahreszeiten metaphorisch nur so herunterdekliniert werden: „der frühling hat ein pokerface“, „ein sommer wie libellen unter der haut“, „ein herbst wie hornissen im hirn“, und der Winter? – „der herbst klingt höchstens noch als schwache resonanz“.
Unbedingt zu erwähnen sind die Illustrationen von Simone Kornappel. Findig greift sie Motive auf, Kabel, Drähte, Atemgeräte, collagiert präzise und prägnant – ein Kugelstoßpendel aus Glühbirnen faded den Band aus. Jan Skudlarek ist es mit seinem Debüt gelungen, den Raum einer ebenso erweiterten wie eingeschränkten, luziden wie opaken Wahrnehmung poetisch zu betreten und die auftretenden Extreme auf einem höheren energetischen Niveau zu vermitteln. Elektrosmog wagt sich Vibe für Vibe an die „oberflächengrammatik der großstadt“ heran, versucht sie neu zu decodieren, unsere digitalen Körper, diese „karosserien aus fleisch und kunstblut“ neu zu kalibrieren. In Wirklichkeit sind wir, so verstanden, mit der Welt durch nichts mehr verbunden als durch das drahtlose Geäst unserer aberwitzigen Endgeräte: „unsere haut als bruchschale / weltverbunden“.
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