Kritik

Beredte Konsensparty

Hamburg

Kurz nach dem Ende seiner Arbeit an Verschwende deine Jugend, dem Standardwerk über die Geschichte der Neuen Deutsche Welle, lernte Autor Jürgen Teipel im Rahmen einer Lesung mit anschließender DJ-Nacht Acid Maria kennen. Die beiden verstanden sich auf Anhieb. Teipel, der sich gerade mit Techno angefreundet hatte, kam die Idee für einen Roman, der vom Leben eines DJ erzählen sollte.

 Acid Maria machte ihn mit weiteren DJs bekannt, Teipel führte mit diesen Interviews und holte sich Inspiration für sein Projekt. Das Resultat, der Roman Ich weiß nicht erschien 2010. Jetzt kommen im Suhrkamp-Verlag auch die gesammelten Interviews, die Teipel mit diversen DJs geführt hat, heraus.

Für die Veröffentlichung von Mehr als laut. DJs erzählen hätte es kaum einen besseren, gleichzeitig aber auch schwierigeren Zeitpunkt geben können. In den letzten Jahren manifestierte sich der Wunsch nach Geschichtsschreibung und der Formulierung von szeneinternem Selbstverständnis. Eine Reaktion auf Umstände, die keine monadische oder lineare Betrachtung von Subkulturen und ihren Geschichten mehr zulassen.

Der Neuauflage von Verschwende deine Jugend folgte Der Klang der Familie, eine oral history der Berliner Techno-Subkultur, deren Verfasser Felix Denk und Sven von Thülen sich explizit auf Teipels pophistorischen Meilenstein bezogen.

Um die deutsche Hauptstadt geht es auch in anderen Büchern – ob nun ideengeschichtlich-individualistisch wie bei Wolfgang Müller oder aber kultursoziologisch wie bei Ulrich Gutmair. Auch zur Popgeschichte Wien erschienen gleich zwei Bände: Die oral history Wienpop und Deisls Im Puls der näherten sich regionalen Begeben- und Besonderheiten auf unterschiedliche Arten.

 Jüngst widmeten sich zudem der extrovertierte Konzertveranstalter Berthold Seliger und das PR-affine Duo Tim Renner und Sarah Wächter sogar den Strukturen, die die Industrie hinter der Musik bestimmen und vor Kurzem bewies der schreibende DJ und auflegende Autor Thomas Meinecke mit seinem Kolumnen-Sammelband Analog , dass sich vom Dancefloor aus Narrative stricken und Diskurse erkunden lassen können. Eine Kerbe, in die in den letzten Jahren auch Romane von Airen, Helene Hegemann und Oscar Coop-Phane zu schlagen versuchten.

Merke: Es besteht aktuell Bedarf nach Erzählung, nach thematischer Aufarbeitung von dem, was des Nachts und manchmal auch tagsüber in Subkultur und Club geschieht. Allein deshalb kommt Mehr als laut zu einer günstig-ungünstigen Zeit. Ungünstig, weil der Buchmarkt übersaturiert ist und so gut wie jeder Aspekt der Sub- und Feierkultur erschöpfend behandelt wurde.

Günstig jedoch, weil in diesen zehn Jahre alten Interviews zum Teil hochaktuelle Themen und echte evergreens angesprochen werden. Von Menschen, die im zurückliegenden Jahrzehnt Karriere gemacht haben. Lawrence veröffentlichte im Herbst mit großem Erfolg eine verträumte Deep House-Platte, Kristian Beyer bescherte Dancefloor und Techno-Charts als Teil des Duos Âme und Betreiber des Innervisions-Labels fluffig-melancholische Überhits und DJ Koze, Richie Hawtin, Miss Kittin, Hanno Leichtmann oder DJ Hell erweisen sich als gute Weine, die mit dem Alter nur besser werden.

Erst Anfang des Jahres veröffentlichte das Netzwerk female:pressure eine Studie, die die flächendeckende Marginalisierung von Frauen in der elektronischen Musik statistisch belegte und der Ventil Verlag legte den lange überfälligen deutschsprachigen Reader Riot Grrrl Revisited nach. Struktureller Sexismus in der Musikbranche, das ist ein Thema, für das in den Neunziger und Anfang der Zweitausender Jahre noch keine Sensibilität vorherrschte, wie sich aus den Erfahrungsberichten von Acid Maria, Helena Lingor, Inga Humpe und Miss Kittin herauslesen lässt.

Das Potenzial für ein auch im Jahr 2013 noch relevantes Buch ist also gegeben und trotzdem kann Mehr als laut nicht überzeugen. Weil Teipels durchaus intelligente und eloquente Interviewpartner_innen kaum Neues sagen. Und sich erst recht keine drastischen Statements zuzutrauen scheinen. Stattdessen schmeißen alle Beteiligten eine beredte Konsensparty, deren Quintessenz schnell zusammengefasst ist.

Techno war ein Erweckungsmoment. »Nach einer Stunde habe ich gedacht: ‚Vergiss die andere Musik! Die ist Scheiße!‘«, erinnert sich Kristian Beyer. Stella Stellaire nennt die Ende der 1980er Jahre in der BRD aufgeschlagene Musik »ultravisionär«. Was dann aber folgte, hatte natürlich seine Schattenseiten, namentlich Drogen und »das fucking Geld«, das Corvin Dalek zufolge den »Gott der westlichen Welt« stellt. Toll aber die Einigkeit, die die Musik ermöglicht. »Weil, es geht ja um uns alle«, erklärt Hans Nieswandt und Michael Mayer schwärmt analog vom »starken Wir-Gefühl«.

So weit zum Status Quo Anfang des Jahrtausends, so gut.

Ansonsten wird über die immerwährende »Pseudo-Deepness« (Kristian Beyer) der Szene gejammert, über das (un)stete DJ-Leben im Transit und der damit verbundenen Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit sinniert, über so zweischneidige Dinge wie finanzielle Sicherheit und Stardom gesprochen. Meistens sind sich alle unabhängig voneinander einig, vor allem wenn es Musik geht. Die steht natürlich im Vordergrund, klar.

Mehr als laut liest sich leicht und trotzdem intim, kann aber weder den zuletzt erschienenen Retrospektiven und Überblickspublikationen etwas hinzufügen noch wirklich tagesaktuellen Themen aus der Vergangenheit heraus neue Impulse liefern. Die zehn Jahre danach geführten Interviews sind eine reine Enttäuschung. Ein wenig ins Leere laufende Fachsimpelei über die veränderte Marktsituation nach dem Siegeszug der digitalen Medien hier, ein brüskes »Eigentlich bin ich froh, dass dieses Jahrzehnt vorbei ist« aus dem Munde Acid Marias dort.

Die Berechtigungsfrage erübrigt sich leider. Mehr als laut ist, was es bereits auf den ersten Blick zu sein scheint: Nachträgliche Resteverwertung, in leichte Kost umgewandelt. Voll auf Kuschelkurs und inhaltlich generisch. So ziemlich das Gegenteil von dem, was Teipel in Verschwende deine Jugend präsentierte.

»Ich hatte das Gefühl: Hier ist eine Generation, die nicht so abgestürzt ist – die sich’s zwar ebenfalls ordentlich gegeben hat, aber die trotzdem noch etwas Positiveres in sich trägt als die Punks«, schreibt Teipel in seinem Vorwort. Vielleicht aber hat er sich einfach nur die besten und das heißt besonnensten Rosinen aus dem Kuchen gepickt. Kluge Menschen, die die Kurve gekriegt haben, respektvoll mit ihrer Subkultur und den Menschen darin umgehen. Und dementsprechend ein Blatt vor den Mund nehmen.

Menschen also, die anders als die Protagonist_innen von Verschwende deine Jugend keine Kontroverse stiften möchten oder können. Etwas mehr davon hätte Mehr als laut jedoch gut getan. So bleibt aber es aber bei Schall und Trockeneisnebel.

Jürgen Teipel
Mehr als laut
DJs erzählen
Suhrkamp
2013 · 235 Seiten · 14,99 Euro
ISBN:
: 978-3-518-46482-3

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