Braune Existenzen
Friedrich Ani wird mit gutem Recht zu den besten deutschsprachigen Krimi-Autoren gezählt, vielleicht gerade auch deshalb, weil er sich nicht dem Experiment mit der alterprobten Form gewidmet hat, sondern sich als veritabler Erzähler präsentiert. Allerdings ist er dabei in einer Art ur-deutsch, dass es einem schon schummrig werden kann. Denn Ani hat sich mit Tabor Süden einen melancholischen Helden gewählt, der in der besten, mindestens romantischen Tradition steht, die es so wohl nur in Deutschland gibt. Man hat da Nebel vor Augen, die steigen, und ist sich nicht immer ganz sicher, ob man sich über den Stimmungsweichzeichner freuen darf.
Dass Ani seinen Anti-Helden Süden freilich im vorgeblich kraftmeierischen Bayern ansiedelt, das schon in Lion Feuchtwangers „Erfolg“ (1930) eine solch verhängnisvolle Wirkung hatte, wundert jedoch nicht. Ani zieht – nach einer (sic!) Kölner Zwischenstation – aus dem Schauplatz München immer noch genügend Material, um seinem Tabor Süden hinreichend Profil zu geben. Metaphorisch gesehen hat München immer noch die Krachledernen oder Dirndl an, und schämt sich nicht einmal dafür. Stattdessen geht das als kulturelles regionales Profil durch, das für einen sehr eigentümlichen Sonderweg in die Moderne steht.
In einer solchen überaus selbstgewissen und sich überlegen vorkommenden Umgebung ist der melancholische Held Zündstoff und Katalysator zugleich. Und so soll es ja auch sein. Zumal Ani seine Romane um die Suche nach den Verschwundenen baut, im doppelten Sinne: Tabor Südens Suche nach dem abwesenden Vater ist nicht einmal peinlich, auch wenn die permanente Zwiesprache mit dem mittlerweile Verstorbenen (wie mit dem gleichfalls toten Jugendfreund Martin) auf Dauer zum Pausenfüller abzusinken droht, statt das psychische Profil Südens weiter zu vertiefen.
Dass Süden dann auch noch für eine Detektei arbeitet, deren Eigentümerin gleichfalls um einen Vermissten, in diesem Fall den Sohn, trauert, passt wunderbar zusammen, umso mehr als sich dieser Roman daran macht, unter anderem auch diesen Fall zu lösen. Durch Koinzidenz, durch Zufall, durch die Regie Anis – Nicht- Zutreffendes bitte streichen.
Das hat zum Glück nichts von dem selbstgerechten: „Kein Opfer wird vergessen, kein Verbrechen bleibt ungesühnt“, das das Untergenre der Vermissten- und Old-Case-Krimis nicht selten bestimmt. Ani lässt die Zurückgelassenen leiden und nicht Rache suchen, was ihn wohltuend vom Generaltrend der jüngeren Krimis absetzt.
Was freilich nicht heißt, dass er sich der generellen Neigung, Fälle blutig zu beenden, widersetzen würde. Es gibt auch bei Ani einen richtigen Showdown, an dessen Ende jemand tot ist. Es gibt auch bei ihm Kollateralschäden der Aufklärung, in diesem Fall wird ein Kollege totgeschlagen. Das aber wird aus der Geschichte hinreichend entwickelt – es sind Eskalationen, die zur Gewalt führen. Und sie sind derart unabsehbar, dass sie die Entwicklung des Textes gewaltig erschüttern. Der melancholische Held steht in einer gewalttätigen und fatalen Szenerie, die insbesondere von ihm nicht befriedet werden kann.
Aber Anis neuer Roman ist nicht nur irgendwie ein neuer Fall mit irgendwelchen neuen Vermissten. Ani setzt „M“ in ein mehrfaches Beziehungs- und Anleihengeflecht. Mit dem Titel „M“ zitiert er unübersehbar Fritz Langs „M – eine Stadt sucht einen Mörder“, in dem der Gejagte ein Menetekel trägt, das ihn schließlich ans Messer liefert.
Außerdem siedelt Ani seinen Roman im Dunstkreis von Rechtsextremen und Staatschutz an, also in einer Parallelgesellschaft, die die offene und liberale Zivilgesellschaft durchzieht und ihren Charakter nachhaltig zu verändern droht.
Eine Tageszeitungsjournalistin bittet Südens Detektei darum, ihren vermissten Lebensgefährten zu suchen, der seit einigen Tagen verschwunden ist. Kaum machen sich Süden und Kollegen auf die Suche, tauchen merkwürdige Gestalten und Umstände auf. Der Fall führt offensichtlich ins rechtsextreme Milieu. Der gesuchte Mann ist mit rassistischen Bemerkungen aufgefallen, der Vater der Journalistin führt ein Hotel, in dem sich die Szene trifft, der Ex-Mann der Frau ist ein gesuchter Rechtsextremer, der für einen Attentatsversuch auf eine Synagoge gesucht wird usw.
Süden und die rechtsextremen und das in der Hauptstadt der Bewegung? Das lässt vieles zu – bis hin zu einer Szenerie, in der sich nichts seit den piefigen fünfziger Jahre geändert hat, in denen ein Teil Deutschlands der vergangenen Größe nachtrauerte. Das soll es geben, das gibt es, aber es sind am Ende vielleicht doch ein paar Indizien mehr nötig als eine Sammlung von neueren Blättern der Szene wie die „Junge Freiheit“ oder ein paar antisemitische Kinderbücher und Kinoplakate aus dem Tausendjährigen Reich. Zumal, das Kinoplakat von „Hitlerjunge Quex“ auf der Klotür? Wenn das mal nicht für rechtsextreme Gesinnung spricht.
Man mag der Meinung sein, dass es das nicht braucht, um als rechtsextrem zu gelten. Bestenfalls für einen zurückgebliebenen Buch- und Kinogeschmack, von anderen Anachronismen abgesehen. Aber für einen Krimi geht es gegebenenfalls auch mehr darum, mit wenigen Hinweisen klare Verhältnisse zu schaffen als auch noch bei solchen Themen allzu viel Komplexität zuzulassen.
Dazu passt freilich nicht, dass die Journalistin, die solche Materialien offen in ihrer Wohnung herumliegen lässt – und dazu auch noch anderes belastendes Material, das hilft einen alten Fall zu lösen -, sehr engagiert an der bodenständigen Restituierung der arischen Sache arbeitet. Verdeckt und mehrheitsfähig, wie es heißt, aber so recht plausibel will das nicht werden. Zumal ihr Gesamtprofil am Ende doch nicht so harmlos unbescholten erscheint, als der Roman lange Zeit weismachen will. Aus dem Rückblick der Lektüre betrachtet ist es kaum glaubwürdig, dass niemand gewusst haben will, wen er da vor sich hatte. Aber vielleicht ist das nicht einmal ein Webfehler.
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