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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Kritik

Die Welt von Vorvorgestern

Wie Erich Kästner den „Fabian“ ursprünglich wollte
Hamburg

Soviel vorab: Die Neuedition von „Der Gang vor die Hunde“ verändert nicht das Bild, das wir von Erich Kästner haben, weder „im politischen“ noch im „erotischen bzw. sittengeschichtlichen“. Wenngleich die Hauptfigur der Geschichte, Jakob Fabian, promovierter Germanist und vorübergehend „Propagandist“ eines Werbeunternehmens, seine Freude an dieser vollmundigen Ankündigung gehabt hätte. Sie findet sich im Nachwort des Herausgebers Sven Hanuschek, der sich den Klassiker von 1931 – damals erschienen unter dem Titel „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“ – noch einmal vorgenommen hat.

Neben dem veränderten Titel verfügt die Neuausgabe über einige Ergänzungen, die Kästner handschriftlich am Typoskript angebracht hatte, das sich heute im Marbacher Literaturarchiv befindet. In der über die Jahrzehnte herausgegebenen Version des „Fabians“ waren diese nicht enthalten. Daraus jedoch eine literaturhistorische Sensation zu konstruieren, wie Hanuschek dies versucht, geht zu weit: Zum einen halten sich die Änderungen in Grenzen, oftmals handelt es sich lediglich um orthographische Verschiebungen; zum anderen ist davon auszugehen, dass sie Kästner selbst mit der Zeit nicht mehr sonderlich wichtig waren, sonst hätte er sie spätestens in eine nach dem Zweiten Weltkrieg erschienene Version des „Fabians“ eingearbeitet. Dasselbe gilt für den Titel des Buches, bei dem Kästner später offenkundig ebenfalls keinen Änderungsbedarf sah.   

Darüber hinaus sind für die Bewertung des Erwachsenenautors Erich Kästner nach wie vor die Gedichte – und nicht seine Prosatexte – der entscheidende Referenzpunkt. Seine wichtigsten Lyrikarbeiten sind allesamt vor dem „Fabian“ erschienen: „Herz auf Taille“ (1928), „Lärm im Spiegel“ (1929) und „Ein Mann gibt Auskunft“ (1930). Das Gedicht „Jahrgang 1899“ kann man in mancherlei Hinsicht als eine lyrische Vorwegnahme des drei Jahre später erschienenen Romans lesen, wenngleich der Duktus der Resignation darin noch nicht ganz so ausgeprägt ist. Schließt das Gedicht mit der kaum verhohlenen Ankündigung einer Revolution, endet der Roman damit, dass Fabian beim Versuch einem Kind das Leben zu retten selbst im Fluss ertrinkt. „Er konnte leider nicht schwimmen.“

Dennoch ist es ein Vergnügen, den „Fabian“ wieder einmal zu lesen. Man trifft dabei auf eine Welt von Vorvorgestern: Das Berlin der Weimarer Jahre sowie ein Lektüreerlebnis, das bei etlichen Lesern – den Rezensenten eingeschlossen – in die Schul- oder Studienzeit zurückreichen dürfte. Und tatsächlich wird einiges geboten, vom Lesbencafé bis zum Männerbordell der Irene Moll, Straßenkämpfe zwischen Kommunisten und SA-Verbänden, Weltkriegsversehrte, und das Heer an Arbeitslosen, das sich mehr schlecht als recht durchs Berliner Tages- und Nachtleben der späten 1920er Jahre schlägt („Im Osten residiert das Verbrechen, im Zentrum die Gaunerei, im Norden das Elend, im Westen die Unzucht, und in allen Himmelsrichtungen wohnt der Untergang“, lässt Kästner seinen Protagonisten an einer Stelle sagen).

Und Fabian mittendrin, als teilnehmender, wenngleich weitgehend teilnahmsloser Betrachter des Geschehens. Anders als seinen Freund Labude, den die vermeintliche Zurückweisung seiner Habilitationsschrift – wobei es sich, wie sich herausstellt, um einen bösen Scherz des Assistenten handelt – in den Selbstmord treibt, kann ihn, abgesehen vom Abgang der Freundin Cornelia mit einem fetten Filmproduzenten, kaum noch etwas erschüttern. Sein plötzlicher Rausschmiss aus der Werbefirma lässt ihn kalt; das Angebot der Irene Moll, mit ihr samt hunderttausend Mark auf Reisen zu gehen, lehnt er ab.

Am Ende steht der sinnlose Tod durch Ertrinken, der nicht zuletzt als Aufforderung Kästners an die Zeitgenossen verstanden werden kann: Lernt schwimmen! Womit man wieder beim Gedicht vom „Jahrgang 1899“ wäre. Dort gilt es, das Gelernte zur Anwendung zu bringen. Die letzte Strophe lautet:

„Die Alten behaupten, es würde nun Zeit
für uns zum Säen und Ernten.
Noch einen Moment. Bald sind wir bereit.
Noch einen Moment. Bald ist es soweit.
Dann zeigen wir euch, was wir lernten.“

 

Erich Kästner · Sven Hanuschek (Hg.)
Der Gang vor die Hunde
Atrium
2013 · 340 Seiten · 22,90 Euro
ISBN:
978-3-85535-391-0

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