Ein Weg aus der Krise des Liberalismus
Im Herbst vergangenen Jahre ist in der Reihe Fröhliche Wissenschaft im Verlag Matthes und Seitz ein kleines Buch erschienen, das Der Liberalismus der Furcht heißt. Es enthält den namensgebenden Text der amerikanischen Philosophin Judith N. Shklar, ein Vorwort des Frankfurter Philosophen Axel Honneth sowie kommentierende und begleitende Essays von Michael Walzer, Seyla Benhabib und Benhard Williams. Aus dem Amerikanischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen wurde es von Hannes Bajohr.
Die Beiträger sind also keine Unbekannten im Bereich der politischen Philosophie und Soziologie, und diese Namen im Kontext des Liberalismus zu lesen, lässt zumindest mich aufatmen. Axel Honneth begleitet in Frankfurt jenen Lehrstuhl, den der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas innehatte, und ist Direktor des renommierten Institutes für Sozialforschung, jenem Hort kritischer Theorie also, der über Jahre die deutsche Soziologie, Philosophie und Politikwissenschaft prägte. Außerdem leistete er unter anderem mit seiner Schrift Das Recht auf Freiheit einen wertvollen Beitrag zum Thema.
So klein es ist, solch große Verbreitung und Aufnahme wünscht man dem Buch Judith Shklars, denn es ist zum richtigen Zeitpunkt erschienen, nicht zuletzt, weil sich der politische Liberalismus in Deutschland auf einem Tiefpunkt befindet. Die verkürzte und einschränkende Definition des Begriffs liberal als Wirtschaftsliberalität durch die dogmatischen Sicht- und Handlungsweisen der FDP hat ein ihr gemäßes Ende in der politischen Versenkung gefunden. Fatal wäre allerdings, wenn das liberale Denken mit diesem Popanz verschwände und dem in Deutschland ohnehin verbreiteten Etatismus das ganze Feld überlassen würde. Als drohendes Vorzeichen einer solchen Entwicklung kann man durchaus die die Demokratie aushebelnde Konstellation begreifen, die durch die Große Koalition gegeben ist, die quasi Volkskammerverhältnisse im Bundestag schafft. Letztlich geht es darum, den Begriff der Freiheit zu bewahren jenseits von Wirtschafts- und Staatenlenkerei.
Natürlich zielt Shklars Text nicht auf die unmittelbare Politik, sondern versucht, ein Denken zu etablieren, das eben den Einzelnen im Kontext politischer Verwerfungen stärkt. Zentrales Anliegen wäre demnach eine gesellschaftliche Bewegung und Struktur, die das Individuum vor der Grausamkeit gesellschaftlicher Institutionen, aber auch privater Grausamkeit schützt. Shklar entwirft dabei keine paradiesische Gemeinschaft freier Individuen als Utopie, sondern speist ihre Theorie aus historischen Gewalterfahrungen.
Systematische Furcht macht Freiheit unmöglich und nichts ist furchterregender als die Erwartung institutionalisierter Grausamkeit. Man kann aber mit einigem Recht sagen, dass das was ich „die Grausamkeit an erster Stelle setzen“ genannt habe, keine ausreichende Basis für den politischen Liberalismus abgibt; es ist lediglich ein erstes Prinzip, eine durch hinreichende Beobachtung gestützte moralische Institution, auf die man den Liberalismus zumal in der Gegenwart errichten kann.
So umreißt die Philosophin ihren Ansatz, der bei allem zur Zeit herrschenden und im philosophischen Denken vorherrschenden Relativismus auf Allgemeingültigkeit zielt. Ausgehend von dieser Überlegung entwickelt Shklar ein Grausamkeitsverbot als Grundprinzip politischer Moral.
Man kann davon ausgehen, dass die Autorin aus ihren eigenen lebenspraktischen Zusammenhängen heraus weiß, wovon sie spricht. Sie wurde 1928 als Kind jüdischer Eltern in Riga geboren, wanderte nach Kanada aus und starb 1992 in Cambridge Massachusetts. Ihre politische Theorie speist sich auch aus den Grausamkeitserfahrungen des 20. Jahrhunderts. In Amerika legte sie einige dort einflussreiche Arbeiten zum politischen Liberalismus vor, und es ist zu wünschen, dass ihre Gedanken in Deutschland nun auch die Aufnahme finden, die sie verdienen. Seyla Benhabib stellt Shklars theoretischen Werdegang, der in einem dystopischen Liberalismus mündet, anhand der Rezeptionsgeschichte in Amerika dar und entwirft das Gebäude dieses Denkens, dass man sich fragt, warum eine Rezeption der Shklarschen Theorie in Deutschland bislang ausgeblieben ist.
Ihre neuzeitliche Verwurzelung im Denken der französischen Aufklärung und ihr Beharren auf der Unmöglichkeit, sozialökonomische und politische Fragen getrennt zu behandeln, verleihen Shklars „Elementarliberalismus“ eine ausgeprägt sozialdemokratische Note,
schreibt Benhabib. Allein diese Bemerkung macht deutlich, wie weit sich die kümmerlichen Reste des deutschen politischen Liberalismus von dem entfernt haben, was vielleicht einmal ihr Ausgangspunkt war. Aber genau hier gälte es anzuknüpfen.
In seinem Nachwort ordnet Hannes Bajohr den kurzen Text in das Denk- und Theoriegebäude Shklars ein, und macht zugleich klar, dass es sich hier um eine Theoretikerin handelt, die es in kommender Zeit zu entdecken und vor allem auch zu rezipieren gilt. Allein Stichpunkte wie negative Anthropologie oder subversive Genealogie machen klar, dass es sich bei Shklars Denken um ein Theoretisieren auf der Höhe der Gegenwart handelt, und das sich hier Wege finden könnten, um den Liberalismus hierzulande aus seiner Sackgasse zu befreien, wenn auch wahrscheinlich mit vollkommen anderen parteipolitischen Protagonisten.
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