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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Inseln der Illusion

Hamburg

Es könnte gut für mich sein.
Es könnte mich vernichten.

Diese Gedanken gehen auf Seite 173 einem Killer durch den Kopf, als er die Überwältigung eines Nachahmungstäters beobachtet.

Wir müssen über Gewalt reden, nur wie. Ohnehin ist sie überall präsent. Wie Sex. Sind es Grundmuster? Mit seinem Buch Shooting Stars stellt Mandler sich in eine Reihe von Autoren wie Pier Paolo Pasolini oder Norbert Gstrein, die dieser Frage literarisch nachgehen.

Es ist ein Wagnis, einen Text zu schreiben, der die Sicht eines Mörders einnimmt, und nicht in die Hannibal Lecter Falle zu tappen, also der eigenen Figur auf den Leim zu gehen und eine Faszination für etwas Abscheuliches zu entwickeln. Und es scheint ein Phänomen der Kulturindustrie zu sein, die Ängste der Menschen gerade auf solche Art und Weise zu Geld zu machen. Alles wird Ware, sogar die Angst und die Furcht, die vielleicht sogar noch am gründlichsten, wir sind umgeben von Gummifiguren, die Monster darstellen.

In Mandlers Roman findet sich folgender Satz, der die Reaktion des Publikums beschreibt:

Nachdem die Wirklichkeit in ihren Köpfen angekommen ist,weil sie begriffen haben, was gerade vor sich geht, jetzt weil sie verstehen, dass sie in einem großen Moment bei ihrem Star sind.

Formuliert wird dieser Gedanke von einem Irren. Und vielleicht zeigt sich hier die Essenz, die über den Roman hinausgeht. Dass ein Irrer von Verstehen spricht.

Und ich kann mich auch noch daran erinnern, als Kind einen Spielzeugindianer besessen zu haben, der in der Pose eines Sterbenden dargestellt war. Manchmal imitierte ich Schussgeräusche und lies ihn darauf vom Wannenrand ins Badewasser fallen. Wir imitieren das Sterben und Töten von früh auf. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das notwendig ist, und die meisten meiner Freunde sind auch friedliebende Menschen geworden. Dennoch sind wir von Gewalt umgeben, es gibt in der Gesellschaft der Gegenwart kaum einen Raum, der kein Gewaltproblem hat. Im Grunde basiert Gesellschaft auf Gewalt, und wir haben uns Inseln geschaffen, in denen sie für einen Moment aufhört.

Aber schon wenn wir den Fernseher einschalten ist sie wieder präsent, und letzte Woche waren auf Youtube Videos zu sehen, auf denen zu sehen war, wie in Kiew auf Demonstranten geschossen wurde. Man sah nur die zusammenbrechenden Getroffenen und nicht jene, die die Schüsse abgegeben hatten. Wir werden zum Zuschauer realer Exzesse.

Ähnlich ergeht es uns auch auf fiktionaler Ebene in Martin Mandlers Buch. In einer geradezu kalt nüchternen Sprache begleiten wir einen Mörder, der verdeckt und aus einiger Entfernung auf Stars schießt. Das Knowhow für seine Taten hat er aus Afghanistan mitgebracht.

Es braucht ein gewisses Maß an Überwindung, um einen Menschen umzubringen. Überwindung heißt, dass der Mörder sich zum Mörder entmenscht. Diese Erfahrung habe ich während meines Militärdienstes gemacht. Also nicht die Erfahrung des Tötens, sondern die der Entmenschung. Wir wurden damals durch Zermürbung in eine innere Leere getrieben, die uns vielleicht in die Lage versetzt hätte, zu töten. Glücklicherweise bin ich der Situation entgangen, in der ich Gewissheit darüber erlangt hätte, ob ich wirklich dazu in der Lage gewesen wäre. Aber ich kann heute meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass ich nicht geschossen hätte, wenn ich den Befehl dazu erhalten hätte.

Mandler konfrontiert uns in seinem Buch mit einer Normalität des Tötens, einer Banalität des Bösen, der Ratio des Mordes. Diese Form des Weltzuganges läuft neben uns her, solange die Gesellschaft auf Gewalt basiert. Und Gewalt ist der reale Horror, der in dieser Welt jederzeit statt hat. Gern möchte ich hier ein „Noch“ formulieren, aber die historische Erfahrung zeigt, dass Gewalt in den letzten paar hundert Jahren eher zugenommen hat. Allerdings haben sich Inseln der Illusion von Frieden gebildet, und genau dahinein zielt der Protagonist aus Mandlers Buch. Und deshalb auch ist es ein wichtiger und guter Text.

Martin Mandler
Shooting Stars
Luftschacht
2013 · 236 Seiten · 21,30 Euro
ISBN:
978-3-902844-24-8

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