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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Kritik

Anderes erwartet

Hamburg

Dem Roman „Die Lüge“ ging einiges Geraune voraus. Es sei der erste Roman Uwe Kolbes, der für sein lyrisches Werk viele Preise erhielt. Und er verarbeite darin die Geschichte seines Vater, der als Führungs-IM seinen eigenen Sohn bespitzelte. In einem Interview der Berliner Zeitung anlässlich des Erscheinens des Romans im Februar 2014 betont Kolbe allerdings, dass der Roman kein Schlüsselroman wäre. Er verweist auf Grundkonflikte zwischen Vätern und Söhnen, die „schon im antiken Drama behandelt“ wurden.

Tatsächlich legt Kolbe in den knapp 400 Seiten entsprechenden Zündstoff aus, gleich zu Beginn gibt es eine ödipale Szene mit der Mutter, am Ende heiratet der Sohn die junge schwangere fünfte Frau seines Vaters nach dessen unspektakulären Tod, wobei unklar ist, ob der Bräutigam Halbbruder oder Vater des kommenden Kindes ist.

Ein anderer Zunder liegt in dem ungewöhnlichen Namen des Helden, der Hadubrand heißt. Sein Vater namens Hildebrand hatte als Schüler das Hildebrandslied  auswendig gelernt: „Zwei Leute von gleichem Blut, Vater und Sohn, rückten da ihre Rüstung zurecht“. Diese Zeilen könnten als Motto auf einem Zettel an Kolbes Computer geklebt haben.

Hadubrand Einzweck ist Komponist, ein Autodidakt, als er mit siebzehn Jahren seinen Vater erstmals besucht. Der Vater, selbst als Klubhausleiter an der musikalischen „Dingbewegung“ interessiert, fasst Interesse und lässt über seine Beziehungen dem Sohn die Türen der staatlichen Talentförderung öffnen. Teilnahme an einem begehrten, wir würden heute sagen, Workshop, Auftragswerke für renommierte Institutionen, wie den Thomanerchor. Der Preis: Der Sohn wird von der Staatssicherheit angeworben. Obwohl der mit einem Klavier liebäugelt, das ihm als Lohn für seine Zuarbeit in die Wohnung gestellt werden soll, lehnt er die Zusammenarbeit ab. Der ihm vorgestellte „Spezialist“ wird dennoch sein väterlicher Freund. Der im Land bekannte und viel gespielte Komponist fördert den jungen Kollegen, nimmt ihn mit in den Westen der Stadt, stellt ihn anderen einflussreichen Leuten vor.

Hadubrand, auch Harry genannt, taucht in die lebendige Untergrundszene ein, nachdem er für eine Schallplattenaufnahme ein Schelmenstück abgeliefert hat, das von den Verantwortlichen durchschaut und abgelehnt wird. Der Sohn im „staatsfeindlichen“ Untergrund, der Vater sein Spitzel. Sie rücken ihre Rüstung zurecht, geraten aber erstaunlicherweise nicht aneinander. Im Hildebrandslied tötet der Vater den Sohn. Vom gleichen Blut sind beide vor allem, was ihre Frauengeschichten angeht, denen Kolbe breiten Raum gibt. So scheint sich der überdeutliche Hinweis auf den mittelalterlichen Text als Kolbesche Koketterie herauszustellen. Wie so manches:

Jeder, der den Namen Uwe Kolbe gehört hat, weiß, dass der in engem Zusammenhang mit dem seines Förderers Franz Fühmanns steht. Und fängt an, ob er es will oder nicht, den Roman zu entschlüsseln. Das wird denen am besten gelingen, die in der Szene Prenzlauer Berg in den 1970er und 80er Jahren unterwegs waren. Die anderen bleiben irgendwann in dem Verwirrspiel von Klarnamen und Erfindungen stecken. Seeburg am Großen See, wohl Schwerin, wo das Poetenseminar alle zwei Jahre stattfand, und wo der Romanheld an einer Jungkomponistenförderung teilnimmt. Dresden und Leipzig werden konkret benannt, Berlin nicht, der Prenzlauer Berg heißt „Nordost“. Adolf Endler wird genannt, der Name Biermann kurz geschüttelt zu Riebmann. Ich frage mich warum? Warum werde ich als Leserin mit Namen geködert und mit Erfindungen wieder abgestoßen. Habe ich eine Anspielung verpasst, wenn die DDR-Singebewegung im Roman ziemlich ungeschickt „Dingbewegung“ heißt? Ich weiß nicht, welcher Ort mit Neustadt am Neusee gemeint ist. Man könnte meinen, das ginge mich nichts an. Aber mir als in der DDR Großgewordenen wird hier ein Tableau erstellt, das mir bekannt ist, mit selbstgenähten Batikkleidern, mit Erlauer Stierblut, der natürlich in Strömen fließt, mit Boofen im Elbsandsteingebirge (für nicht in der DDR Großgewordene: Felsenhöhlen im Elbsandsteingebirge heißen so, wie auch das Schlafen darin, gelegentlich auch, je nach Mundart: Poofen). Schwarzwohnungen, Hinterhöfe, Braunkohlegerüche und Bumsen auf selbst abgezogenen Dielen. Hier spielt einer genüsslich auf der Klaviatur der DDR-Romantik.

Warum muss es ein Komponist sein. Wo doch jeder weiß, dass das Vorbild Lyriker ist. Wenn Kolbes Komponist einem niedrigen, kahlen Raum mit Wänden aus Schalbeton „gute Akustik“ bescheinigt, ist das schlicht falsch. Warum also das fremde Metier? Auch ist dem Komponisten keine Begeisterung anzumerken. Wenn Kolbe versucht Musik zu beschreiben, erinnert das an einen alten Studentenspruch: „Musik beschreiben ist wie zu Architektur tanzen“. Die ganze Untergrundszene, man mag ihr auch distanziert gegenüber gestanden haben, wird von Kolbes Jungkomponisten belächelt, obwohl er in ihr eine wichtige Rolle spielt. Alles „war sakrosankt“.

Es gibt unendlich viele bärtige Männer, man hat den Verdacht, hinter jedem versteckt sich ein mehr oder weniger bekannter Literat, egal, ob er im Roman Maler oder Komponist ist. Die unendlich vielen Frauen, die Hadubrand oder sein Vater schwängern oder eben nur im Vorbeigehen vögeln, bleiben farblos, hier erübrigt es sich, nach Entsprechungen im realen Leben suchen.

Und - jetzt gebe ich meine Ratlosigkeit als Rezensentin zu - ich weiß nicht, warum der Roman „Die Lüge“ heißt. Es geht um eine ganze Menge von Lügen. Aber die Lüge? Keine Ahnung. Das scheint zum Verwirrspiel dieses Romans zu gehören.

Ganz am Ende des Buches, man findet es nur durch Zufall, gibt es eine Art Zueignung: „Der Autor dankt der Person, die die Fertigstellung des Buches erzwungen hat, weil sie anderes von ihm erwartet.“  Also eigentlich hat der Autor Wichtigeres zu tun? Das glaube ich ihm nicht. Dieses Spiel mit dem Leser, diese Koketterie zieht sich durch den Roman, wenn mir Namen hingeworfen und andere verdeckt werden. Damit bedient sich Uwe Kolbe  ausgerechnet der Methode, gegen die sich sein Alter Ego, der Komponist, dem Spitzel-Vater gegenüber „gerüstet“ hat.

Uwe Kolbe
Die Lüge
S.Fischer
2014 · 21,99 Euro
ISBN:
978-3-10-040221-9

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