Monologe im Puppentheater
Ich gebe zu: Die Prosa eines Autors, den ich als Lyriker kenne und schätze, lese ich anders; vielleicht von vornherein langsamer, genauer, auf der Suche nach Rhythmen, versteckten Versen, sprachlicher Kühnheit, was auch immer. Und ja: Weder kann ich auf Nachfrage so ganz genau sagen, wie sich denn lyrisches Sprechen prinzipiell von prosaischem unterscheiden sollte, noch ist diese Lesehaltung fair den reinen Prosaautoren gegenüber.
Vor allem aber scheitert die Suche nach Lyrischem in den Prosatexten, die Carl-Christian Elze jetzt als "Aufzeichnungen eines albernen Menschen" im Verlagshaus Frank (wie schaffen die es nur, ein so vielfältiges, großes und großartiges Programm herauszubringen?) vorlegt, schon auf den ersten Metern.
Denn die Sprache dieser Texte, die zumeist Monologe einer nicht näher charakterisierten Figur, bisweilen auch eines Autors namens "Elz" oder "E" sind, ist alltäglich, schlicht, auch mit Versatzstücken durchsetzt, keineswegs präzise, knapp und auf den Punkt gebracht:
"Es ist zum Heulen, todmüde bin ich, sofort einschlafen und erst morgen aufschreiben, was mich so beeindruckt hat, das möchte ich von ganzem Herzen, nur sage ich mir, du weißt doch genau, wie der Hase, also der Erinnerungshase läuft: ..." So lässt Elze die Figuren in seinen kurzen Prosastücken auftreten und den Leser plaudernd einlullen. Aber damit ist es natürlich nicht getan und ebenso natürlich werden wir nie erfahren, was den Sprecher im Text "Großmütter", aus dem dieser Satz stammt, denn so sehr beeindruckt hat. Dafür stellt sich der Text unversehens als eine Auseinandersetzung über die Rolle von Autor und Leser dar und den Leser in seiner Erwartungshaltung bloß.
Und doch ist es eben diese Erwartungshaltung des Lesers, mit der Elze immer wieder spielt und damit den Texten ihre Spannung verleiht. So berichtet in "Kassette", dem ersten Stück des Bandes, der Erzähler im Plauderton von einem unerhörten Einbruch, hat dann aber nur den Gedanken, sich das für die vom Einbrecher zurückgelassene Kassette geeignete Abspielgerät zu besorgen. Dies, so erfahren wir aus dem auf der Kassette zu hörenden Text (ebenfalls in ganz unbedarftem Ton), war auch die Intention des Einbrechers (eines Elektrofachverkäufers, der auf einer großen Charge dieser Abspielgeräte sitzengeblieben ist), jedoch scheinen alsbald hinter dieser schlichten, wenn auch absurden, Tatsache ganz andere Möglichkeiten und Bedrohlichkeiten auf:
"Vielleicht fragen sie sich ja jetzt auch, wie ich überhaupt zu dem ganzen Geld gekommen bin, um zweitausendfünfhundert dieser Abspielgeräte zu bestellen. Ich war nicht ganz arm vorher, das stimmt, aber um welchen Preis! Meine Frau ist an einem sehr seltenen Fieber gestorben und hat mir ein kleines Erbe hinterlassen, genauer gesagt das Erbe ihrer Mutter, die kurz zuvor an einem anderen, noch viel selteneren Fieber von jetzt auf gleich, also sehr plötzlich, gestorben ist."
Da stimmt etwas nicht, denkt der Leser und findet sich unversehens in der seltsamen Situation eines Zuschauers, der eine Gefahr mehr ahnt, als dass er sie sieht, die dem auf der Bühne Sprechenden anscheinend vollständig verborgen bleibt. Eines Zuschauers, um einen Vergleich zu versuchen, der sich fühlt, wie ein Kind im Puppentheater: Mögen die Figuren durch die reduzierte Mimik und ihre ruckhaften Bewegungen noch so irreal erscheinen, wenn das Krokodil den Vorhang im Hintergrund zum Wackeln bringt, will man ihnen doch eine Warnung zurufen.
Unfälle, Gewaltverbrechen, Katastrophen mag man hinter diesem Vorhang vermuten, während die Figuren im Vordergrund von Spaziergängen, Sportveranstaltungen im Ferienlager, vom Schlittschuhlaufen oder der sinnvollen Einrichtung eines Bauernhauses plaudern, und wir beunruhigt auf den Sitzen herumrutschen.
Häufig hören wir in den Stücken zwei Stimmen, die des Erzählers und eine zweite, vermittelt durch eine Aufnahme, einen Brief oder ein berichtetes Gespräch. Und dabei experimentiert Elze geschickt mit einem geradezu spätromantischen Motiv: dem des Doppelgängers. Er spielt dieses Motiv souverän in allerlei Facetten durch, sei es, dass Leser und Autor des Briefes in "Brief" sich am Ende als dieselbe Person herausstellen (thou art the man haben wir Zuschauer ihm natürlich schon längst zurufen wollen), sei es in der klassischen Jekyll and Hyde-Version in "Mutter", in den beiden einander gegenübergestellten Biographien (oder sind es am Ende doch nur zwei Entwürfe derselben Biographie?) in "Geld", den beiden durch eine Scheibe getrennten - oder in einer Scheibe gespiegelten - Autoren in "Nachbar", in den beiden expressionistischen Dichtern Ernst Balcke und Georg Heym, die dasselbe traurige Schicksal erleiden und doch so unterschiedliche Nachleben haben, oder, umgedreht, in dem in zwei ganz unterschiedlich schreibende Ichs gespaltenen Ich in "Lagerleben", und am Ende scheint keines der beiden das echte zu sein.
Wie es Elze gelingt, den Leser als Zuschauer immer wieder über das Plaudern und Schwadronieren im Vordergrund hinweg gebannt durch den Vorhang hinter der Bühne starren zu lassen, wie er uns allmählich in den Sog einer nur ahnbar absurden oder bedrohlichen zweiten Wirklichkeit zieht, will ich nicht weiter zu beschreiben versuchen. Man sollte es sich nicht entgehen lassen, sich diesen Texten auszusetzen.
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