Patchwork des Begehrens
Daniel Woodrell hat sich in der deutschen Krimilandschaft in jüngerer Zeit einen äußerst guten Namen gemacht. „Winters Knochen“ (deutsch 2011) oder „Der Tod von Sweet Mister“ (deutsch 2012), die in den letzten Jahren bei der Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München, erschienen sind, haben den deutschsprachigen Lesern gezeigt, wozu amerikanische Autoren in der Lage sind. Texte dieser Prägnanz und literarischen Qualität sind selten, was es umso wichtiger macht, sie besonders hervorzuheben. Rowohlt und Heyne haben sich zuvor an Woodrell versucht, ohne ihn durchsetzen zu können. Liebeskind scheint das gelungen zu sein. Immerhin hat Heyne nun 2012 bereits die älteren Texte der Bayou-Trilogie nochmals in einem Sammelband neuaufgelegt. Frank Göhre – kein Unbekannter in der deutschen Szene - hat das Nachwort dazu geschrieben. Und das will etwas heißen, nämlich: Lesenswert!
Woodrell verbindet mit seinen Texten die großen amerikanischen Schreibschulen mit den modernen Montagetechniken, er greift tief in die amerikanischen Gründungsmythen und weiß doch mit seinen Texten in der Gegenwart anzukommen. Diese Texte sind so amerikanisch wie sie sein können, und sie bestätigen auf ein Neues, dass der amerikanische Krimimarkt einer der vitalsten und ausdifferenziertesten weltweit ist. Das Krimigenre ist vielleicht kein originär amerikanisches Phänomen, aber es ist der Qualität der amerikanischen Variationen erlegen. Ohne die amerikanischen Krimis seit Edgar Allen Poe wäre das Genre nicht das, was es heute ist (trotz oder gerade auch wegen der zahlreichen strategisch verfassten und auf Massenwirkung ausgelegten Designerware, die eben typisch amerikanisch ist).
„In Almas Augen“ bestätigt dies ein weiteres Mal: Im Zentrum des Textes steht die Explosion eines Tanzsaals in Missouri im Sommer 1929, bei der 42 Menschen umkommen. Bis in die sechziger Jahre hinein bleibt unaufgedeckt, wer für die Explosion verantwortlich ist – eine Wunde, die in das Sozialleben der kleinen Gemeinde gerissen wird und die nie wirklich verheilt.
Als lebende Erinnerung daran steht eine verrückte und zugleich höchst liebenswerte alte Frau, Alma, deren lebenslustige Schwester Ruby in jener Nacht gleichfalls umgekommen ist. Die Frauen stammen aus den armen Verhältnissen, die das beginnende 20. Jahrhundert in den USA kennzeichnen (als Unterbau der Roaring Twenties). Leute, die vom American Way of Life wissen, ihn aber nicht leben können, Leute, die um ihren Unterhalt kämpfen und in diesem Kampf unterzugehen drohen. Leute, denen der Suff eben deshalb naheliegt, weil sie eigentlich nie eine Chance hatten und deshalb gleich aufgeben konnten. Die Literatur der Industrieländer ist voll von solchen Gestalten, die um ihr Überleben kämpfen, immer ausgeliefert, selten mit Erfolg.
Alma, die Großmutter des Erzählers, lebt ein bescheidenes Leben – das vor allem durch die leidenschaftliche Liaison ihrer Schwester mit dem Mann ihrer Chefin durchbrochen wird. Mit einem fatalen Ende. Aber Arbeit ist der Weg, den Alma nimmt, und der sich bestenfalls in den folgenden Generationen auszahlt. Es ist ein langsamer Weg, bei dem die Subjekte von sich absehen lernen müssen. Alma zahlt dafür, unter anderem mit einem Aufenthalt in der Psychiatrie.
Und auch Ruby ist nicht selten, die Frau aus der Unterschicht, die ein großer Glanz werden will – Anita Loos‘ „Gentlemen Prefer Blondes“ hat dazu das Muster geliefert, zahlreiche Autorinnen und Autoren haben dieses Muster übernommen und variiert. Irmgard Keuns Doris – aus „Das kunstseidene Mädchen“,1932 erschienen - ist wohl die bekannteste unter ihren deutschen Nachahmungen.
Ruby ist im Wesentlichen Zügen der Gegenentwurf zu Alma: Wo Alma zufrieden ist mit dem was sie hat, will Ruby weiter hinaus. Sie liebt das Leben und will es genießen. Eine Kleinstadtlebedame am Ende, die sich ihren Aufstieg durch die Betten sucht, immer darauf aus, nie der Langeweile zu erliegen und nicht in die Hoffnungslosigkeit der Erwerbsarbeit ihrer Schwester abzusinken. Daran stirbt sie schließlich – und es ist keine Überraschung, dass die Explosion Konsequenz einer großen Leidenschaft ist, die sich ihre geeigneten Opfer und ihren Ausdruck sucht.
Alternativen allerdings gibt es genug zu einer solchen Begründung: Ein anarchistischer Akt, ein Versuch, den Mord an einem ehemaligen Gangster zu vertuschen, vielleicht ein Revancheakt. Woodrell lässt seine Erzählung verschiedene Varianten durchprobieren, auch wenn er am Ende keinen Zweifel daran lässt, was die Ursache der großen Explosion war.
Das alles erzählt Woodrell in einer geduldigen, aufgelösten Erzählweise, die gerade noch der Chronologie, nicht jedoch einem unbestreitbaren roten Faden verpflichtet ist. Dabei wechselt er die Erzählstränge, liefert alternative Handlungslinien, die er wieder aufgibt, bis er schließlich zu einer Variante vorstößt, die konsistent und wahrscheinlich ist. Und was will man mehr.
Trotz der aufgelösten Struktur jedoch bleiben Lesefluss und Leserinteresse erhalten: Ganz im Gegenteil, Woodrell verhindert auf dieser Weise, dass sein Gegenstand zu schnell klar und eindeutig wird. Die Perspektive Almas (was den deutschen Titel „In Almas Augen“ konkretisiert) auf die Geschehnisse wird nach und nach – über das Medium des Enkels – entwickelt und plausibilisiert. Der Blick der Verrückten ist dabei als wahrer und unverstellter Blick gekennzeichnet. Almas Perspektive ist bestimmt von der engen Sicht auf die Schwester und ihre unselige Verbindung mit dem lokalen Banker, der sich in der gemeinsamen Leidenschaft zu verlieren droht.
Seine Schuld aber – und das ist ein weiteres, das dieser Roman erzählt – gilt nichts gegenüber seinen Verdiensten und seiner Aufgabe für die Stadt: Als er sie vor den Honoratioren, wenn auch in privater Runde, bekennt, wird sie niedergeschlagen. Man braucht ihn, und er ist es denn auch, der die Bank der Stadt, an der deren gesamter Wohlstand hängt, durch die Wirtschaftskrise nach dem Börsenkrach 1929 führt. Too big to faile auf andere Weise und früher.
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