Geisterschiffe und Gestrandete
Am 13. April 2014 wird der Berliner Autor Hans Christoph Buch siebzig Jahre alt. Anlässlich dieses runden Geburtstages, schreibt die Frankfurter Verlagsanstalt auf ihrer Homepage, habe sich der Autor das vorliegende Buch geschenkt und, um es vorweg zu sagen, es ist ein schönes Geschenk. Denn dieser Essay mit dem Untertitel „Berner Poetikvorlesung“ nimmt den Leser mit auf eine literarische Schiffsreise, die mit dem märchenhaften Sindbad dem Seefahrer und Wilhelm Hauff beginnt und dem wenig romantischen Ophelia Motiv endet.
Dazwischen geht Hans Christoph Buch auf Spurensuche des, wie der Essay verdeutlicht, gar nicht so seltenen, aber kaum untersuchten literarischen Motivs. Handelt es sich bei dem berühmten „Fliegenden Holländer“ von Richard Wagner „um den Konflikt des Genies mit den herkömmlichen Lebens-, Kunst- und Moralbegriffen der Umwelt“ (Hans Mayer), werden durch dieses Motiv ebenso andere Unbehaustheiten des Menschen verkörpert. Auch wenn der Buchumschlag ein unheimliches Totenschiff suggeriert, können es wie bei Thomas Mann auch Gondeln sein ,die den Protagonisten vom Diesseits ins Jenseits befördern oder, wie auf dem Bild des französischen Malers Théodore Géricault (1819), das „Floß der Medusa“. Letzteres inspirierte nicht nur Hans Werner Henze zu einem Oratorium (nach dem Libretto von Ernst Schnabel), sondern war auch Thema von Peter Weiss in seiner „Ästhetik des Widerstandes.“ In diesem Zusammenhang taucht Buch ein in die Debatten der Sechziger Jahre und kritisiert, dass die „politische Gegenwart, von Maos Kulturrevolution über die Boat People Vietnams bis zum Völkermord der Roten Khmer“ bei Weiss nicht vorkomme. Peter Weiss stellt er Hans Magnus Enzensberger gegenüber, der mit einer Verserzählung über den Untergang der Titanic von der Hybris des technischen Zeitalters berichtet und somit „zu neuen Ufern“ aufbricht.
Wie unterschiedlich das Geisterschiffmotiv von Autoren aufgefasst und gestaltet wird, zeigt Buch, nicht nur bei Enzensberger und Weiss, sondern die Methode wendet er in allen Kapiteln an. Indem er auf diese Weise Ähnlichkeiten oder häufiger Unterschiede erläutert und diese in historische und ästhetische Zusammenhänge bringt, erfahren wir nicht nur welche Bannbreite ein Motiv haben kann, sondern machen zeitgleich eine kleine Reise durch die Literaturgeschichte. Dabei wirft Buch sowohl bei berühmten Autoren wie Kafka, Noteboom oder Grass den Anker, als unter anderem auch bei dem vergessenen Jens Rehn, dessen „1954 erschienener Roman ‚Nichts in Sicht‘ so unterschiedliche Autoren wie Gottfried Benn und den jungen Martin Walser begeisterte.“
Für den bekanntermaßen politischen Autor Hans Christoph Buch ist „Dichtung keine Illustration abstrakter Ideen, sondern ein eigenständiger Weg zur Erkenntnis der Wahrheit.“ Schon die erste Seite seiner Vorbemerkung macht deutlich, dass der Titel „Boat People“ nicht zufällig gewählt ist. Denn vor seinen literarischen Ausführungen erinnert der Autor an die unzähligen Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten.
Der Essay klingt sehr schön mit einem Streifzug durch die Totenschiff-Tradition in der deutschen Lyrik aus. Vielleicht, weil sich Verse in ihrer Kürze gut vergleichen lassen, werden hier die unterschiedlichen oder vergleichbaren Blickwinkel noch einmal deutlich. So ist wird bei Goethe nicht der Sturm für den Menschen gefährlich, sondern die Flaute:
Tiefe Stille herrscht im Wasser / Ohne Regung ruht das Meer, / Und bekümmert sieht der Schiffer / Glatte Fläche rings umher. / Keine Luft von keiner Seite! / Todesstille fürchterlich! / In der ungeheuren Weite / Reget keine Welle sich.
Abschließend sei im Sinne einer gelungenen Ankunft mit Buchs literarischem Geisterschiff aus einem anderen Goethe- Gedicht zitiert. In „Glückliche Fahrt“ gelingt diese nämlich, es „säuseln die Winde“ und „Es naht die Ferne; / Schon seh ich Land!“
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