Anzeige
ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
x
ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Zusammenhängende Unterbrechungen

Hamburg

Manchmal fügen sich die Dinge auf wirklich wundersame Weise, Zusammenhänge werden offensichtlich, die ich selbst nie herzustellen im Stande gewesen wäre.

Anfang des Jahres las ich die deutsche Übersetzung von Valeria Luisellis Papeles falsos und insbesondere eine Stelle, die mit Leere und Lücken zu tun hatte, hat sich mir dabei eingeprägt. Im Zusammenhang mit Leerstellen in Städten, stellt Luiselli Überlegungen zum Schreiben an. Sie definiert Schreiben als umgekehrten Restaurierungsprozess. „Schreiben: Mauern niederreißen, Fenster einschlagen, Gebäude in die Luft sprengen. Tiefe Ausschachtung um was zu finden? Nichts zu finden.

Schriftsteller ist einer, der Schweigen und Leere anordnet.

Schreiben: dem Lesen eine Lücke schaffen.

Schreiben: relingos schaffen.“

Relingos sind Restflächen, Nicht-Orte. Das, was nach einer Umgestaltung der Stadt übrig geblieben ist. „Keiner erinnert sich mehr an Ursprung und Zweck dieser Teilchen der Stadt, dennoch traut sich niemand, sie ganz aufzugeben oder sie vollständig zu nutzen.

Eine Gruppe von Architekten der Autonomen Universität UNAM hat solche Räume, solche urbanen Reste, „relingos“ getauft“, schreibt Luiselli.

Später erst, nachdem ich „Unterbrechung Burn Gretchen“ längst gelesen hatte, und zusätzliche Informationen im Netz suchte, erfuhr ich, dass Cejpeks Buch sich auch einem architektonischen Umstand zu verdanken hat. In einem Interview mit Herbert Gnauer erzählt Cejpek, dass die Idee für sein Buch, sich unter anderen an der Mitarbeit an einem architektonischen Projekt, entzündet hat. Die Rede ist hier von einem Projekt, bei dem es um Gstätten ging, wobei Gstätten das österreichische Äquivalent zu relingos darstellen.

Aber ich denke, man könnte auch das Wort Unterbrechung einsetzen, um relingos und Gstätten zu diesem Phänomen zu vereinigen, in dem ein gewisses Feuer brennt, wie es die  anagrammatische Ergänzung der Unterbrechung, die Lucas Cejpek mit Burn Gretchen den Titel seines Buches vervollständigt hat, nahelegt.

In Unterbrechung Burn Gretchen scheint Schreiben eine einzige Unterbrechung zu sein. Es geht um Unterbrechungen in allen möglichen Ausformungen, Cejpek bietet dem Leser einen Querschnitt durch die Geschichte und die Möglichkeitsformen von Unterbrechungen.  Vom Film über die Musik und Kunst im allgemeinen, aber auch Finanzmärkte und sogar die Archäologie finden ihren Platz, wenn Cejpek von der „Thronenden Göttin“ berichtet, die 1943 bei einem Fliegerangriff zerstört wurde und seit 2001 mühevoll rekonstruiert wird. In diesem Zusammenhang fällt der Satz: „Wenn ein Stück paßt, dann rastet es ein.“

Das Buch besteht aus stichwortartigen Überschriften, die Auslöser für meist sehr kurze Überlegungen sind. Unter SCHNITTSTELLEN zitiert Cejpek Rosmarie Waldrop: „Mein wichtigstes Werkzeug ist die Collage, sagt Rosmarie Waldrop, das Zusammenfügen, nicht der Ausschnitt, das Zusammenspiel widerstreitender Elemente, wobei die Schnittstellen sichtbar bleiben: vielfache Ichs und mehrere Perspektiven.“

Cut up, Collage, Drogenerfahrungen, aber auch die Routinearbeiten einer Sekretärin, Cejpek erzählt, wie Unterbrechungen Denken und Schreiben gestalten.

Überschreibungen, Leerstellen, Traumaufzeichnungen. Neben Geschichten zu Filmen und regelrechter Filmgeschichte, Cejpek der auch als Regisseur arbeitet, spannt den Bogen von Eisenstein bis zum Videotagebuch des iranischen Filmemachers Jafar Panahi, und skizziert so den Film als Mosaik aus fixierter Zeit. Aber „Unterbrechung“ ist auch eine Enzyklopädie der Überlieferung von Geschichte und von Geschichten, und nicht zuletzt die Niederschrift von der Verfertigung der Gedanken beim Schreiben, die Kleist einst so eindringlich formuliert hat.

An einer Stelle wird das Vergessen des Lallens als Grundlage für jede Sprache zitiert, und vielleicht ist dieses Buch der Versuch, sich zurück zu erinnern an dieses Lallen, an die Möglichkeit, einen Zusammenhang, eine Verbundenheit, nicht herzustellen, sondern zuzulassen, ohne die Zusammenhänge verstehen zu müssen.

So wie ich dieses Buch nicht verstehe, aber spüre, dass alles zusammenhängt, und mich daher aufgehoben fühle in diesen Unterbrechungen. Vermutlich weil die Stücke passen, weil es immer wieder einrastet.

Die Fragmente verbinden sich, erweitern das früher erwähnte, gehen Beziehungen miteinander ein. Und da sie häufig aus Zitaten, aus den Berichten davon, was Cejpek gelesen, gesehen oder gehört hat, bestehen, wird deutlich: Schreiben ist ein Gespräch, und diese Unterbrechungsnotizen, sind Sämereyen, wie Novalis sie in seinen Blütenstaubfragmenten beschreibt: „Fragmente dieser Art sind litterarische Sämereyen. Es mag freylich manches taube Körnchen darunter seyn: indessen, wenn nur einiges aufgeht!“

Die Gretchen von denen Herbert Gnauer über zwanzig gezählt hat, dienten Cejpek in seinem Buch nach eigener Aussage als roter Faden durch die tagebuchartig angeordnete Untersuchung der Unterbrechungen, die in einem Zeitraum von fünf Jahren entstanden sind.

Schreiben ist eine Unterbrechung der Gedanken, des Gedankenflusses. Denn nie ist die  Schreibbewegung so schnell wie die Denkbewegung. So entstehen Leerstellen, relingos für den Leser.

Dieses Buch zu lesen hat etwas von einem Rätsel, weil ich beim Lesen (sowohl bewusst als auch unbewusst) die Spuren verfolge, mich frage, wie die Unterbrechungen zusammenhängen. Wie schafft Cejpek Zusammenhänge zwischen Pokerspiel, Sprache und Serienkillern? Oder tut er das gar nicht, und es ist nur mein Hirn, das darauf trainiert ist, überall Zusammenhänge herzustellen?

Vielleicht ist es am Ende wirklich so, wie Cocteau behauptet, den Cejpek zitiert, und ein literarisches Meisterwerk ist nur ein Wörterbuch in Unordnung, und dieses Buch tritt den Beweis für diese These an.

Lucas Cejpek
UNTERBRECHUNG BURN GRETCHEN
Sonderzahl
2014 · 256 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978 3 85449 416 4

Fixpoetry 2014
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge