Unglaubwürdig
Um es vorweg zu sagen, ich mag Literatur aus Österreich. Ich freue mich, dass bei FIXPOETRY österreichische Bücher besprochen werden. Und suche mir deshalb auch Bücher aus dem deutschsprachigen Nachbarland aus, um sie zu besprechen. Und hatte bisher das Glück, interessante, experimentelle Texte zu finden und den Lesern zu beschreiben, was an ihnen besonders ist. Auf „Emma schweigt“ von Susanne Scholl trifft das leider nicht zu.
Am Plot liegt das nicht: Mit Emma zeichnet Susanne Scholl eine ältere Durchschnitts-Wienerin, gefangen in gewissen Vorurteilen gegen die vielen Ausländer, die sich auch in ihrer Familie eingenistet haben. Emma ist, wie die meisten Menschen, mit sich beschäftigt, damit, dass ihr Sohn sie öfter besuchen sollte. Damit, dass ihr Mann - den sie sich einst wie eine Papierblume am Schießstand vom Prater mitbrachte - sie dann verließ für eine Jüngere. Er sagte, diese würde ihn herausfordern, weshalb sie und ihre Nachfolgerinnen bei Emma den originellen Sammelnamen „die Herausforderung“ tragen.
Emma begegnet einer jungen Frau und deren Sohn, die beiden kommen aus Tschetschenien. Und als Emma einen Unfall hat und sich selbst nicht mehr betun kann, engagiert Emmas Sohn die junge Frau als Haushaltshilfe für seine versehrte Mutter. Unentgeltlich selbstverständlich. Immerhin kann Emma als Gegenleistung dem Sohn der „Illegalen“ beim Hausaufgabenmachen und Deutschlernen helfen. Eine Grundkonstellation also, die eine Menge Reibungsflächen bietet.
Die Autorin erzählt aus zwei Perspektiven, aus der Emmas und der Saremas, der Tschetschenin, die in Wien auf die Bewilligung des Asylantrages wartet. Abwechselnd folgt man den Gedankengängen beider, die, ausgehend von der aktuellen Situation in die jeweilige Vergangenheit zurückschauen.
Emma jammert also ein wenig vor sich hin und Sarema erinnert sich vor allem an die Zeit vor den Kriegen, daran, wie ihr zukünftiger Mann sie entführt hat, um sie zu heiraten, dass sie im Haushalt der Schwiegereltern helfen musste, statt ihr Studium weiterzuführen. Dass im Krieg einer ihrer Söhne beim Ballspielen auf eine Mine getreten ist. Und an die Tochter, die noch keinen Namen hatte, als sie an Kälte und Hunger starb.
Der Versuch Susanne Scholls, die viele Jahre als Korrespondentin für den Österreichischen Rundfunk in Moskau gearbeitet hat, die Lebenssituation tschetschenischer Frauen vor, während und nach den beiden Kriegen in Gosny nachzuzeichnen, auch die uns fremdem Lebensverhältnisse, ist als Beschreibung an sich gelungen, wenn auch die Fülle der vielen weiblichen Familienmitglieder verwirrend ist. Für uns nicht einfach zu verstehen ist, dass ihr Sohn Schamil sich mit 14 Jahren als der Mann der Familie, als Beschützer fühlen wird. Noch aber ist er ein zehnjähriges Kind. Für uns scheint es auch unglaubwürdig, dass Saremas Vergewaltiger in Grosny ihr androht, sie zu finden, egal wohin sie geht. Dass es tatsächlich so ist, muss man wohl der Autorin, aufgrund ihrer Kenntnisse glauben.
Doch hat sie beiden Frauen, Emma und Sarema, den gleichen, etwas einfältigen Ton gegeben, der sich kaum voneinander unterscheidet. Das könnte ein Kunstgriff sein, um Frauen aus verschiedenen Kulturwelten zu zeigen, die eine jammert in ihrer Überflussgesellschaft, die andere beklagt in der Tat ihr Leben und versucht alles, das ihres einzig verbliebenen Kindes zu retten und ihm Bildungswege zu ermöglichen. Während also die eine, Emma, sich über die kurzen Röcke ihrer Enkelin aufregt und über die türkische Freundin ihres Sohnes, hat die andere existentielle Sorgen, was, wenn ihr Vergewaltiger sie in Wien auffinden würde, was, wenn ihr Asylantrag abgelehnt würde.
Aber die Chance, die Sicht der beiden Frauen aufeinanderprallen zu lassen, wurde vertan. Dazu ist der Ton zu betulich, die Absicht der Autorin zu deutlich zu spüren, Empathie beim Leser für Saremas und ähnliche Schicksale zu entwickeln. Wenn Emma dem Sohn ihrer Haushaltshilfe fünf Euro gibt, als der sagt, er habe seinen Vater im Krieg verloren und der sich über das Geld auch noch so richtig freut, ist das nicht nur peinlich, sondern zeigt, dass die Autorin in ihrer Denkungsart nicht so weit entfernt von Emmas schlichtem Weltbild ist. Denn in der Hand der Autorin liegt es ja, ob der „Bub“ hier an dieser Stelle über diese Geste nicht zumindest irritiert sein könnte. Nein, er freut sich, dass er fünf Euro für die Mitteilung bekommt, dass sein Vater im Krieg umkam. Hier ist ein unerträgliches westliches Hinunterbeugen zu den „armen Asylanten“ zu spüren.
„Es wird ja viel geredet über Leute, die sich hier nur ins gemachte Bett legen wollen und so tun, als ob sie in Gefahr wären. … Sie hat nur nicht gedacht, dass die Sarema so eine ist.“
So Emma, nachdem sie erfahren hat, dass Sarema und ihr Sohn nach Ablehnung des Asylantrages, zurück nach Grosy geschickt worden sind. Und ohne sich bei Emma zu verabschieden, diese Undankbarkeit empört sie. Tage zuvor hatte Sarema sie gefragt, ob sie mit ihrem Sohn in das leerstehende Zimmer des längst erwachsenen Sohnes Emmas ziehen könnte.
Was Emma an dieser Stelle denkt, denken wir vermutlich alle: Fremde Leute in der Wohnung? Bad und Küche teilen? Sich ständig auf dem Flur begegnen. - Nein!
Die Autorin zielt auf das Herz, auf Mitmenschlichkeit und trifft daneben. Auch in einem Roman darf man politisch Stellung nehmen, dazu gibt es in „Emma schweigt“ keinen Ansatz. Möglicherweise hätte dieser Ansatz bei dem Kind, das am Ende des Romans immerhin zwölf Jahre alt ist, sein können. Schamil bleibt ein „netter Junge“, der sich Emma gegenüber unerträglich devot verhält, was der Emma gut gefällt. Der sich dann in Grosny nach Wien zu seinen Freunden zurücksehnt, von denen übrigens vorher nie die Rede ist. Sarema will mit ihrem Sohn zurück nach Wien. Susanne Scholl setzt auf die diffuse Kraft der Mütter, die eine Lösung finden werden. In diesem Fall sehr unglaubwürdig und märchenhaft, indem Sarema im Saum ihres Rockes mehrere Schmuckstücke findet, die sie all die Jahre, auch in Wien, mit sich herumgetragen hat, ohne es zu merken. Ein Geschenk einer Verwandten, die Sarema und ihrem Sohn ein besseres Leben wünschte …
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