Anzeige
Komm! Ins Offene haus für poesie
x
Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

im tiefkühlwortsalat

„Das wars“ „Dann eben“
Hamburg

[...]
weder kamera noch äste halten
sie auf und davon das ist der
kern der sache

Sehr gut festhalten sollte man sich, wagt man sich erst mit dem Gedichtband Distellicht bei Distellicht auf die Reise in die fallenreiche Sprachwelt von Peter Ettl. Denn er ist ein gekonnter Wortverdreher und rüttelt die Sprache ordentlich durch. Seine Sprache ist nicht lakonisch, sie ist..
Lack
onisch
 ..wie auch treffenderweise ein Gedichttitel lautet. Immer wieder stolpert man zusätzlich auch noch über völlig unerwartete Wortschätze, wie z.B. das „Godblessyouhuhn“. Und die Gedichte lassen einem kaum Zeit, sein Gleichgewicht wieder zu finden. Peter Ettl wirft einen wiederholt aus der Bahn, denn seine Gedichte schlagen mit allergrößtem Vergnügen unvorhersehbare Haken. Und nicht zuletzt zeichnet sich der Gedichtband auch durch Wortwitz und erfrischend schwarzen Humor aus.

Der Gedichtband ist in fünf Kapitel unterteilt: „Distellicht“, „Müde werdend“, „Fremdwärts“, „Flug über Brachland“ und „Nach all den Jahren“.  Bis auf das Kapitel „Fremdwärts“ enthalten alle Kapitel Gedichte mit dem gleichen Titel. Das Kapitel „Müde werdend“ ist das allerkürzeste und enthält nur vier Gedichte. Diese Kürze scheint durchaus gerechtfertigt, denn auch wenn einige Gedichte von Trauer und Verlust handeln, wird der Blick meist schnell wieder nach vorne gerichtet. Auch wenn Peter Ettl ein kurzes Kapitel lang müde wird, bleibt er es nicht lange, da es ihn schnell weiterzieht, „Fremdwärts“.

Die Gedichte selbst benützen ausschließlich Kleinschreibung. Nur die Überschriften verwenden die gewöhnliche Groß- und Kleinschreibung. Auf Interpunktion wird fast gänzlich verzichtet. Hie und da finden sich nur ein Doppelpunkt, ein Rufzeichen, oder gelegentliche Fragezeichen:

[...]
darf’s ein stück meer sein?

Die Distel im Titel „Distellicht“ lässt an Schottland denken und ein Gedicht dreht sich auch um Schottland, wie schon der Titel verrät: „Scots wha hae“. Da Peter Ettl gerne reist, wie auf seiner Homepage zu lesen ist, finden sich auch Gedichte über Kreta, Irland oder Paris im Gedichtband. Vor allem im Kapitel „Fremdwärts“ geht es um Reisen. Dieses Kapitel versammelt Gedichte als Reiseerinnerungen, welche einen Augenblick, eine Stimmung, oder ein Erlebnis einfangen: ein Moment in Irland, in dem das Torf im offenen Kamin nur raucht, statt brennt, oder eine folgenlos gebliebene, aber gerade deswegen umso einprägsamere, Begegnung mit einer kretischen Spinne:
Dankadresse an eine kretische Spinne

weil du mich nicht
gebissen hast obwohl ich
faulkner las und mit dem
zeitweise abgelegten
buch dir beinahe ein bein
gebrochen
[...]

Peter Ettl hat unumstritten sehr viel Humor. Einige der Gedichte sind wirklich bitterböse, voll schwarzem Humor. So geht es beispielsweise im Gedicht „Fleischerei“ darum, dass der Mann gegenüber alles auf seinem Feld weggemäht hat – auch die Katze. Als Ersatz könne er aber gefrorenes Rindfleisch anbieten, garantiert öko. Schwarzer Humor zeigt sich auch in einem Titel wie „Töne in den Urnen“. Eines der bitterbösesten und schonungslosesten Gedichte im ganzen Band ist sicherlich sein Gedicht über Salzburg. Der Titel lautet: „Salzburg – Die Spritze dabei“. Was genau es mit dieser Spritze auf sich hat und wovon Allergiker in den wankenden Gassen bedroht werden, liest man aber am besten selbst nach.

Doch nur, weil Peter Ettl Humor hat, heißt das aber keineswegs, dass alle seine Gedichte lustig sind. Gelegentlich kippt die Stimmung sehr abrupt von komisch zu tragikomisch:

[...]
dem narkosearzt unfähigkeit
unterstellen und hoffen auf eine
überdosis glück
[...]

Von den Themen her scheinen am augenfälligsten Natur, Tod (von Menschen und Tieren), Krankheit, Liebe, Menschliches und Alltägliches. Das besondere ist weniger was die Gedichte erzählen, sondern wie sie das tun. Gerade der völlig unerwartete Blick auf eigentlich ganz Gewöhnliches zeichnet viele der Gedichte von Peter Ettl aus. Nicht einmal Blumenpflanzen ist bei ihm mehr harmlos:

[…]
am offenen
kein pfarrer und
der corpus wird
diesem gefäß entnommen
den jahren anvertraut
den würmern
[…]

Sucht man Unerwartetes, so muss man bei den Gedichten von Peter Ettl nicht lange suchen. Ganz großartig ist beispielsweise die versteckte Anspielung auf Schillers „Die Bürgschaft“ im Gedicht „Fischreiher“. Am Schluss spricht bei Schiller der König zu den zwei Freunden: „Ich sei, gewährt mir die Bitte, // in eurem Bunde der Dritte!“ Und bei Peter Ettl sind es nun zwei Rehe, die auf den Bundesdritten warten:

[...]
zwei rehe warten auf den
bundesdritten ein porsche teilt
die freundschaft
[...]

Immer wieder beweist Peter Ettl sich als Meister des Wortwitzes, der mittels kleinster Verschiebungen wirkungsvolle Effekte erzielt und aus dem Gewohnten durch einen einzigen unvermuteten Buchstaben gänzlich Unerwartetes schafft. Besonders schön beispielsweise der „laublose abgang“ des Mondes als „versichelnder croupier mit wolkenbonus“ im Gedicht „Was für ein Spiel“. Und nicht allein in diesem Gedicht finden sich politische Statements, auch in einem weiteren, in welchem Peter Ettl selbst einem anscheinenden Firmenkonkurs Positives abgewinnen kann:

[…]
alles wie immer nur
ein sofa fehlt in jener
ecke mit blick auf den bach
doch mein versandhaus ist
pleite was für ein glück der regen
wäscht die letzten raten
in den graben

Mehrdeutigkeiten in den Gedichten entstehen häufig, wenn eine Zeile im ersten Moment abgeschlossen wirkt, nur um dann doch noch in der nächsten weitergeführt zu werden. Damit gelingt es Peter Ettl immer wieder unerwartete Wendung zu erzeugen:

[...]
die sprache im aus
hauchenden mund
[...]

Zwischen einzelnen Überschriften und Gedichten kommt es immer wieder zu einem richtiggehenden Dialog. So findet man beispielsweise im Kapitel „Flug über Brachland“ ein Gedicht mit dem Titel „Abstürze“, in dem es um eine Notlandung geht:

[...]
die vorlaute nase im
kartoffelacker
die blackbox
meldet feindberührung
[...]

Kommunikation findet aber auch zwischen Gedichten statt, an den folgenden beiden Gedichten lässt sich das sehr schön am „legt“ bzw. „leg dich“ beobachten. Das erste Zitat ist der Beginn des allerersten Gedichts „Am Boden liegend“, das zweite der Schluss des Gedichts „Feldlied“:

wer schaufelt dich weg
legt dich auf halde
legt dich legt dich und
[...]

[...]
und leg dich leg dich
kornrabenschwarz
auf lauerlüften
quer

Natur ist in den Gedichten von Peter Ettl sehr wichtig. Auch Jahreszeiten werden immer wieder angesprochen:

Reifeprüfung

der sommer wischt
mit seiner vogelhand
die drähte frei
[...]

Der Jahreszeitenbezug verweist natürlich auch auf das große Thema der Vergänglichkeit, welches im Gedichtband äußerst präsent ist.

Neben Natur und Pflanzenwelt wimmeln die Gedichte nur so voll Tieren. Die häufigsten sind dabei Vögel und Katzen. Die Vielfalt der Vögel ist beachtlich, so tauchen in den Gedichten unter anderem Hühner, ein Fischreiher, Zugvögel, eine Amsel, ein Blässhuhn, ein Spatz am Dacheck, in Briefkästen nistende Schwalben, oder Raben auf.

Peter Ettl nimmt seine Umwelt mit offenen Augen wahr und beobachtet Veränderungen, Pflanzen und Tiere rund um sich genauestens. So übersieht er nicht einmal den Frosch, der in der Kläranlage saß:

[...]
dunkelblaue blumen waren hier und
da ein heilkraut die längst vertrockneten
stechfliegen der frosch der
in der kläranlage saß
[...]

Eigentlich kommen relativ häufig Sterne in den Gedichten vor, doch es sind nie gewöhnliche Sterne, sondern ein torkelnder Stern oder vergessene Sterne. Dennoch bleibt Peter Ettl am Boden, greift nicht nach Sternen, sondern nach Halmen. Dabei blickt er aus purer Neugier auf den Boden und keineswegs aus Verlegenheit:

[...] du greifst
nach halmen
die mit dir spielen
du wendest die erde die nach
dir giert und du verstehst
erstmals die farbe braun

Menschen treten immer wieder in engen Kontakt zur Natur oder sehen sich plötzlich der Natur ausgesetzt, wie der Pilot, der sich unversehens im Kartoffelacker wiederfindet und nicht nur von den Pflanzen bedroht wird – „das giftkraut schießt ihm // um die hüfte“, sondern auch von Tieren, wie Vögeln, die ihm auflauern, und grünen Füchsen. Auch werden die Grenzen zwischen Mensch und Natur immer wieder verschoben oder ganz aufgelöst. Einerseits werden Pflanzen menschlich beschrieben „der laubwald // schminkt sein spiegelbild im weiher“, andererseits scheint das Gedicht „Nature“ geradezu dazu aufzufordern, zum Baum zu werden. Doch es wäre kein Gedicht von Peter Ettl, käme es nicht zu einer radikalen Wendung, welche die Idylle des Eins-werden-mit-der-Natur jäh in einen ausweglosen Alptraum kippen lässt:

[…]
werde eins mit den adern
der welt und schau wie
du wächst
blatt für säge
blatt

Kurz und gut: Langeweile kommt beim Lesen des Gedichtbandes Distellicht von Peter Ettl mit Sicherheit nicht so schnell auf, auch wenn es sich durchaus lohnt, sich eine lange Weile mit den Gedichten zu befassen:

[...]
der fischreiher
in zeit gegossen
demonstriert
eine lange weile

Peter Ettl
Distellicht
POP Verlag
2013 · 78 Seiten · 12,99 Euro
ISBN:
978-3-86356-053-9

Fixpoetry 2014
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge