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Kritik

Leben und Schreiben im Kapitalismus

Sheila Heti hat einen Roman über die Kreative Klasse geschrieben und trotzdem die romantische Sehnsucht nach dem Anderen nicht verloren
Hamburg

Sheila Heti hat den Roman der Stunde geschrieben. „Wie sollten wir sein?“ lautet der deutsche Titel (der Originaltitel, noch allgemeiner: „How should a person be?“), und wer darin nicht die Programmatik der in Städten lebenden, pausenlos Projekte schmiedenden kreativen Klasse erkennt, muss sehr stumpfe Sinne und einen sehr stumpfen Sinn haben.

Erzählt wird aus der Perspektive einer 27-jährigen Frau, die denselben Vornamen wie die Autorin hat, sie ist Schriftstellerin, lebt in Toronto und müht sich mit einem Auftragsstück für eine feministische Theatertruppe ab (aber bitte, keine voreiligen Schlüsse, das ist, klar, das Spiel mit der beliebten Frage nach autobiographisch motiviertem Schreiben und (vermeintlicher) Authentizität). Alle anderen Figuren sind auch Schriftsteller oder Künstler, oder würden gern schreiben oder malen. Sie sind jung, leben in mehr oder weniger prekären Verhältnissen, das heißt von kruden Brotjobs in Schönheitssalons, Diners oder als Lehrer in einer Clownschule, eine Boheme des 21. Jahrhunderts.

Hetis „Roman aus dem Leben“ – so der etwas billig-paradoxe deutsche Untertitel – reiht sich ein in die lange Geschichte des Künstler- und Entwicklungsromans, dem es immer um das Werden zu tun war, die Neugeburt in Freiheit und Autonomie, und fügt ihm das aktuell gültige Kapitel hinzu. Wenn Marx’ Weiterführung des Hegelschen Gedankens zutrifft, alles träte zweimal auf, erst als Tragödie, dann als Farce, so lässt sich feststellen, dass sich die Farcierung hier, bei Heti, im Bereich der künstlerischen Gattungen vollzieht: der Entwicklungs- und Bildungsroman ist, ganz zeitgemäß, zum Roman einer Selbstoptimierung geworden – nur dass es ein Selbst im alten emphatischen Sinne nicht mehr gibt (wenn es das denn je gab), es zeigt, und gewinnt auch in der Folge, keinerlei individuelle Züge, sondern nur die Konturen eines Typus, der in unseren Tagen zum Leitbild geworden ist.

Das Künstlertum hat seit der Renaissance kontinuierlich an seiner eigenen, die Gesellschaft mehr und mehr durchdringenden und infizierenden Mythologisierung gearbeitet; es hat inzwischen nicht nur deren Dekonstruktion überlebt, sondern diese so weit amalgamiert und integriert, dass sie wiederum selbst Teil des Mythos geworden ist. In der Folge ist der Künstler längst nicht mehr das Andere, Querstehende zum bürgerlichen Lebensentwurf, sondern, als creative person, dessen avantgardistischer Inbegriff, nämlich der total flexible, anpassungsfähige, opportunistische, materialistische, (selbst-)ausbeuterische, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln  um Erfolg, Gewinn, Einfluss, Macht konkurrierende Marktteilnehmer, dem es längst nicht mehr um Inhalte und Schönheit, um Wahrheit zu tun ist, sondern 1) um Kunst in Warenform und 2) darum, selbst zu einer Ware zu werden – die sich als Marke, als Produkt, als Design anbieten und möglichst teuer verkaufen lässt.

Die Austauschbarkeit der bei Heti auftretenden Künstler-Figuren (die Charaktere zu nennen, man nicht mehr verantworten kann) erinnert daran, wie schwierig Produktentwicklung und -platzierung in Zeiten kreativer Massenkultur geworden sind. Wenn überhaupt irgendwas, helfen nur noch Skandale (Vorwurf der Kinderpornographie, Angriff auf oder Zerstörung von Sachen, die sich nicht im eigenen Besitz befinden etc.) oder die stetige Verfeinerung der Nuancen (was allerdings mit der Gefahr der Marginalisierung verbunden ist – der Skandal dagegen ist breit anschlussfähig); das Kernprodukt der Kreativklasse aber ist das Projekt – der beständige Vorgriff auf die Zukunft, das Verschwindenmachen der Gegenwart, des Augenblicks. Denn das Projekt realisiert sich am besten in der Imagination, als Entwurf, Idee, Traum; dort wird es nicht durch Zugeständnisse ans Materielle, Alterungsprozesse etwa, beschädigt, bewegt es sich allein im virtuellen Möglichkeitsraum.

Sheilas Traum von „einfachem Leben“ und „unsterblichem Ruhm“ gründet auf dieser Vorstellung eines Werks ohne Werk. Denn es gibt nichts mehr zu sagen, zu malen, zu filmen, zu schreiben, zu performen, nur noch den Wunsch nach Wirkung. Die darin besteht, die Früchte einer Anstrengung zu genießen, ohne sich dieser Anstrengung unterziehen zu müssen – weshalb sollte man auch, da diese Anstrengung doch längst als sinnlos und überflüssig erkannt ist. Wenn überhaupt lässt sich nur noch etwas durch Auslassen, Weglassen, Nicht-Tun, Vermeiden, Schweigen, Verschwinden gewinnen. Ent-Dichten. Um Raum zu schaffen für Lebendiges.

Dass Sheila ihr Stück nicht schreibt, ist da nur konsequent. Aber Sheila Heti hat ihren Roman geschrieben. Und dass er Zwischentitel hat, die „Erster Akt“, „Zweiter Akt“, „Pause“ … heißen, legt nahe, dass der Roman nicht nur das Stück, das Sheila nicht schreibt, sondern sogar dessen Aufführung ersetzt. Auch das ein alter Trick der Gattung Künstlerroman – das Werk, an dessen Realisierung der schreibende Erzähler scheitert, ist dann eben jenes, das man gerade gelesen hat. Eine endlose Spirale – nirgendwo gelungener als bei Proust.

Kapiert hat man das schon bei der zweiten Zwischenüberschrift – aber Sheila (im Roman) fragt gegen Ende ihre Freundin Margaux, die gesagt hat, „Ich will, dass du dein Stück beendest“, dann leider trotzdem noch: „Muss es unbedingt ein Stück sein?“ Womit das Ganze, weil es ein Ganzes ist und eine Geschlossenheit anstrebt, die es nur anstrebt, damit es eine Warenform hat und sich verkaufen lässt, sehr old school hinter dem zurück, was es, von Seiten der Figuren, erzählt.

Mir scheint, das einzig Mögliche, Fruchtbare in der Kunst als Kunst, des Versuchs einer Kunst als Kunst, fern der Ware, ist, im Moment, das Gewinnen eines Zwischen. Eine Kunst auf der Schwelle zwischen Idee und Realisierung, Erscheinen und Verschwinden. Was vielleicht bedeutet, dass die Kunst immer mehr auf Seiten der Rezeption, in ihrer Rückverwandlung in etwas rein Geistiges, Immaterielles, Unabgeschlossenes, Suchendes, Fragmentarisches, Unkontrollierbares, Unveräußerbares zu finden wäre. Aber wahrscheinlich ist auch das ein Trugschluss. Der Kapitalismus wird uns eines Tages noch das Nicht-Vorhandene, das reine Nichts zur Ware verpacken und verkaufen. Ein Außen, auch wenn die romantische Sehnsucht, dorthin zu gelangen, groß ist, ein Außen gibt es nicht.

Sheila Heti
Wie sollten wir sein?
Übersetzung:
Thomas Überhoff
Rowohlt
2014 · 336 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-498-00407-1

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