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Heimat verhandeln V&R böhlau
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Kritik

Bilderbogen

Hamburg

Immer wieder ist in Peter Neumanns Gedichten vom Wasser die Rede; von der heimatlichen Ostseeküste (der Autor stammt aus Mecklenburg-Vorpommern), aber auch von der Saale und ihren Nebenflüssen, der Peene oder einfach nur dem Regen.

Neoromantik mag nun einer denken, Heimatdichtung, und Sentimentales erwarten. Und so ganz falsch sind diese Gedanken nicht. Denn Neumann evoziert in seinen Gedichten Bilder, die, so darf man wohl annehmen, für jeden von uns sentimental aufgeladen sind: das Brausepulver auf der Zunge, das Atmen oder der im Wasser spielende nackte Fuß der Geliebten, regennasses Kopfsteinpflaster, Frühstücken unter spanischer Sonne, Schwimmen in Strandnähe, Backsteinkirchen - ach, wer kennt es nicht. Ob solche Gedichte gelingen, oder sich darin erschöpfen, dem Leser solch einen kleinen Seufzer der Zustimmung zu entlocken, ist eine heikle Frage: Das Gelingen scheint mir abhängig zu sein vom erfolgreichen Zusammenspiel eines Autors, der mehr zu sagen hat als: "Leser, erinnere dich an einen Tag am Strand!", und eines Lesers, der bereit ist, es nicht dabei zu belassen, dass er ein Bild aus dem Fundus seiner (mit vielen anderen geteilten) Erinnerung holt.

Es gelingt nicht immer.

barfuß

während das mädchen
im haus gegenüber

aus dem wohltemperierten klavier zu spielen beginnt

achte ich nur auf den regen, der einsetzt, als du
kommst, die hacken

hoch, über das handgeschlagene katzenkopfpflaster

Sicher: ein hübsches Bild. Gut getroffen die Bewegung des Barfußlaufens, kein Zweifel. Und doch bleibt das aus gängigen Versatzstücken zusammengebastelte Bild in Wimmelbuchromantik stecken und bevölkert nur kurz eine Vorstellung aus dem Freilichtmuseum meiner Erinnerung.

Häufiger aber gelingen Neumanns Gedichte doch, erweitern den Bilderfundus, erschöpfen sich nicht darin, dem Leser ein zustimmendes Erinnern abzuverlangen und gehen über das geschickte Zusammensetzen hinaus ("allein der august ruht mit capri und callipo, diesen göttern / wie ein eingewachsener nagel im sand"). Etwa in "mikado", einem der vielen Gedichte des Bandes, die auf Kindheitserinnerungen zurückgreifen:

mikado

zwischen den einsamen
liegen die stäbe, bei denen
du schummeln musst
mit den augen zwinkern
um sie abzuheben, die blauen
ringe, von den stäben

Wenn Neumann es in seinen gelungensten Gedichten vermag, den Eindruck sentimentaler Aufgeladenheit zu vermeiden, so liegt dies nicht zuletzt an seiner Entscheidung für formale Schlichtheit und eine wohltuend lakonische Sprache.

Immer wieder kombiniert er dabei Bilder aus dem mit dem Leser geteilten Fundus neu oder mit Neuem, etwa wenn er uns - in einem Heimatgedicht im besten Sinne - auf den Flohmarkt von Koserow mitnimmt:

johanni

ein glockenschlag an johanni
treibgut aus den archiven
vinetas, ausgebreitet auf dem großen basar
im herzen von koserow, muss
der hauchdünne klang eines pfennigs, geschliffen
vom flageolett der see, doch
halbwegs zu finden sein, eingefasst
in eine zinnglasierte schale

Vielleicht gefallen mir viele der Gedichte so gut, weil ich selbst nicht frei bin von nostalgischen Gefühlen, wenn es um die Ostseeküste geht. Und doch lassen sich etwa am letzten Gedicht dieses Bandes Neumanns Stärken als Dichter auch objektiv benennen und beobachten: Die Kombination von Bildern zu neuen Bilderbögen und die treffende, niemals manierierte Sprache:

köpper

geknicktes schilf, handtuchtrockenes
haar, dreimal kielgeholt, gleich
ist alles wieder ruhig, die aufgeworfene

welle lass ausrollen, im bungalow
seiht der alte das seewasser ab
dösend am tisch, ein klassischer köpper

vom stuhl, auf dem tee schwimmt
ein ölfilm, treiben weit offen
zwei fettaugen, blind nebeneinander

Peter Neumann
geheuer
Nachwort: Daniela Danz
Edition Azur
2014 · 88 Seiten · 14,00 Euro
ISBN:
978-3-942375-13-9

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