Fix Zone

Poetik der Unschärfe

Redaktion: 

Unschärfe - Foto: Neues Museum (Ralf Dieter Bischoff)

Neu im Poetenladen:  in einer Vorbemerkung anlässlich der Lesung aus Kanne Blumma beim Projekt Unschärfe am Neuen Museum Nürnberg im Mai 2014 entwickelt Gerhard Falkner eine „Poetik der Unschärfe“:

„Die poetische Sprache, und zwar nicht im unlogischen, sondern im außerlogischen Sinn, besitzt hingegen die denkbar größte Bewegungsfreiheit zwischen den durch ihren Besitzanspruch blockierten Begriffen und deren Anrainern und Nachbarschaften. | Mit anderen Worte, ihre Unschärfe erzielt sprachliche Nebenwirkungen, welche die Besiedelung mit neuer Bedeutung und eigener innerer Anwandlung ermöglichen. | Genau hierin besteht die bewusstseinserweiternde Wirkung von Lyrik, dass nämlich der ausschließlich durch Sprache begehbare Raum der sogenannten Wirklichkeit reicher und intimer wird. Dadurch wird Sprache von der Existenzbedingung zum Spielraum. | Genau dieser Spielraum ist es, in dem sich ungehindert von der Eindeutigkeit und von der in anderen Zusammenhängen zwingend erforderlichen Begriffsschärfe ein poetischer Überschuss bilden kann.“
 

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Ich würde diese Argumente noch viel weitergehend unterstützen und dabei ausbilden, daß nur eine poetisch genutzte Sprache, der es erlaubt ist, neu zu bedeuten und Raum zu gestalten eine gleichwertige Weltsprache ist, in dem Sinn, daß ihre Prinzipien auch im Weltgeschehen wiederzufinden sind. Das hart Faktische der mathematisierten Weltbenennung  ist nicht beziehungs-weise - es ist schlicht unklug Verhalte und Beziehungen aspektreduziert zu verhandeln, weil in den Weltbeziehungen Relevanzen tatsächlich eher wie Musiken oder Gedichte auf- und ausschwingen. Beziehungsweisheit läßt sich am ehesten in entfesselten Zuständen und auf offenen Feldern erspielen, Worte und Begriffe müssen agieren können und sich gegenseitig entdecken. Unschärfe ist aus dieser Sicht das komplett falsche Wort, weil es noch von den Definitionshoheiten der Naturwissenschaften alten Stils herkommt und eigentlich unsere Unfähigkeit beschreibt, Weltgeschehen, das wir nicht anfassen können, ohne es zu stören, als vollkommen intaktes und gültiges Geschehen betrachten zu können. Weil wir ein Problem damit haben, für unsere mathematische Weltbeschreibung notwendige Größen ermitteln zu können, ist die Welt unscharf. Während die Welt kein Problem damit hat, sehr genau das zu tun, was sie tut: Eigentliches in Beziehung zu bringen und zu schauen, was daraus passiert. Es gibt einen intimen poetischen Prozess, der das Weltgeschehen reich macht (um die Worte von Gerhard Falkner aufzugreifen) und der nicht „unscharf“ist.

Poesie ist das Schärfste, was es gibt – wenn man spielerisch eine Speise aus ihr machte, die auf dem Weltentisch kredenzt wird. Der Vergleich hinkt nicht so ganz: was da angerichtet wird, entspricht dem Weltnaturell eher, als ein rein mathematisiertes Sprechen auftischen kann. Unschärfe ist tatsächlich eine Worthülse, die beim formelringenden Irren und Wirren während menschengemachter Messprozesse erzeugbar ist, aber kein poetisches Prinzip weltlicher Erkundung (die zur Kunde wird). Die Formel will Schärfe und landet im Wasser, die Poesie läßt schwimmen und erzeugt damit Form.

FM, 18.05.2014

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