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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Dann kam die Revolution

Hamburg

Am Anfang war der Sound und nicht das Wort. Genauer: Das sound system, das aus Jamaica in USA importiert wurde. Mit ihm begannen Anfang Siebziger die Partys, wurde DJ Kool Herc zum Helden der Bronx. Weil er die Menschen von der Straße in die Clubs zog, sie tanzen statt kämpfen ließ. Clive Campbell, wie er bürgerlich heißt, war der erste, die gleiche Platte, Disco-Singles im 7“-Format zumeist, in zweifacher Ausführung rotieren ließ, um die markanten Schlagzeug-Breaks in die Länge zu ziehen, die crowd bei Stange zu halten und den MC, dem Master of Ceremonies die Gelegenheit zu geben, über die so beliebig lang gedehnten Instrumentalpassagen zu rappen. Am Anfang war das sound system, dann kam die Revolution.

Hip Hop, so lautete plötzlich der Name, den der Slang der New Yorker Straßen für das next big thing gefunden hatte, war plötzlich aus dem Straßenbild nicht mehr wegzudenken. Auf jeder freien Fläche ein Kreis von Menschen, die eine sogenannte cypher bildeten, b-boys beim Tanzen anfeuerten oder MCs bei der Wortbattle. Hip Hop schrieb sich auch in die Gemäuer ein. Nach und nach füllten sich die Hauswände mit den Pseudonymen von jungen Schwarzen, die den Beton als Leinwand für sich entdeckt hatten, sich die Stadt mit der Spraydose eroberten. Hip Hop war mehr als DJing, MCing oder Breakdance – es war ebenso Graffiti.

Als visuelle Kultur ist Hip Hop dem Comic schon immer verwandt gewesen, wie es auch Pop Art in sich aufsog. Als Fan von Hip Hop und Comics lässt Ed Piskor beides ineinanderfließen, gießt Mythen und Fakten in lässige Bilder. Piskor erzählt von Afrika Bambaataa, Grandmaster Flash und der Sugarhill Gang, davon, wie bald white nerds und black kids zusammenkommen, Blondie sich ebenso für den Sound der Bronx interessieren wie der Dokumentarfilmer Charlie Ahearn für den Wild Style, die Kunst der Graffiti. Der 1982 – und damit eigentlich zu spät – geborene Piskor zeichnet in Hip Hop Family Tree. Die frühen Jahre des Hip Hop ein liebevolles, aber auch humorvolles Bild einer im Bestehen begriffenen Subkultur. Hip Hop Family Tree hat für eine kleine Geschichtsstundegenau das richtige Format gefunden. Edutainment hätten das KRS-One und seiner crew, Boogie Down Productions, genannt. Bildung, die gleichsam unterhält.

Sein Stil ist angelehnt an den der US-amerikanischen Superhelden-Comics aus dem Marvel- und D.C.-Universum, hat aber den Witz eines guten Rap-Tracks. Mit einem breiten Grinsen nimmt er musikalische Helden auseinander, ganz so, als würde er ihnen in einem Rap-Battle erst die Hosen runterziehen und danach trotzdem ein Bier mit ihnen trinken gehen. Von ungefähr 1973 bis circa 1982 illustriert er die seltsamen Käuze, die den Grundstein für Hip Hop-Kultur, wie wir sie heute kennen, legten. Es geht Musik, Sprache, Tanz und natürlich die Kunst. Aber auch um Geldgier, gang fights, Sexismus, Homophobie. Piskor blendet die Schattenseiten Hip Hops nicht aus. Warum auch: Nur weil er seine Figuren liebt, schonen muss er sie deshalb noch lange nicht.

Die durch eine knappe Bibliographie sowie eine Diskografie von wichtigen Platten und häufig verwendeten Samples ergänzte Ausgabe dürfte den Startschuss für mehr geben: Kurz bevor Grandmaster Flash & the Furious Fives Überhit »The Message« veröffentlicht wird, endet Piskors Erzählung fürs Erste. Was danach kommt, wissen wir zwar aus der Popgeschichtsschreibung oder können es in einem Standardwerk wie Jeff Changs Can’t Stop Won’t Stop. A History of the Hip-Hop Generation nachlesen, in Hip Hop Family Tree aber erwachen die Protagonist_innen dieser gleichermaßen aufregenden wie durchwachsenen Anfangstage auch wirklich zum Leben.

In den achtziger Jahren wird Rap zum »CNN for black people«, wie es Public Enemy-Mitglied Chuck D. einst gesagt haben soll, und später zur cash cow, wie sie uns heute mit viel bling bling behangen, purple drank schlürfend entgegentritt. Am Anfang aber war der Sound, die sound systems, DJ Kool Herc, Afrika Bambaataa, die Sugarhill Gang und Grandmaster Flash. Die block parties, die cyphers, die Clubs, b-boys und -girls, die MCs, das Graffiti und die pure Leidenschaft. Hip Hop Family Tree ist ein mehr als schöner Tribut an all das.

Ed Piskor
Hip Hop Family Tree
Die frühen Jahre des Hip Hop
Aus dem Amerikanischen von Stefan Pannor Der Moderator, Musiker und Hip-Hop-Experte Falk Schacht stand der Publikation beratend zur Seite
Metrolit
2014 · 120 Seiten · 22,99 Euro
ISBN:
978-3-8493-0090-6

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