Poesie in ihrer Vielfalt
Jean-Paul-Sartre hätte wahrscheinlich seine Freude an dem Band gehabt. Hat er sich doch seit den vierziger Jahren mit ähnlichen Fragen beschäftigt: Warum schreibe ich, für wen und was bedeutet Schreiben für mich?
Fragen, die naturgemäß sehr unterschiedlich beantwortet werden können, und genau mit dieser Vielfalt arbeitet Norbert Langes Anthologie. Denn, so schreibt er in einem Nachwort, es ging ihm nicht um die jeweilige „poetologische Positionsbestimmung“ der beteiligten Autoren und Autorinnen, sondern um deren Beschreibung der eigenen Arbeit. Und weil er ihnen deshalb unterschiedliche Anfragen geschickt hat, entspricht „Metonymie“ dem Anspruch des Herausgebers der „Offenheit und Diversität“.
Im ersten Beitrag gewährt uns Elke Erb einen Blick in die Entstehung eines Gedichtes. Anhand von sich ändernden Versen und Notizen innerhalb von sechs Jahren, lässt sie uns an ihrer Arbeitsweise teilhaben. „Das poetologische Thema ist: Eine spontane und überraschende Verbindung“.
Auch der Text der Anthologie ist ein Gedicht: Ulf Stolterfoht präsentiert „Djane Husserl, Sprechakt 1: über das lesen in geschlossenen räumen“.
Zwischen diesen beiden Beiträgen kann der Leser sich in unterschiedlichste Facetten der Poesie vertiefen. Wie kommen Orangen in das Gedicht? fragt beispielsweise rückblickend Crauss und lässt sämtliche Anregungen (vor allem Bilder) Revue passieren.
Mit der Bedeutung der Vielsprachigkeit für das eigenen Schaffen beschäftigt sich Léonce W. Lupette und Uljana Wolf schreibt über „Erasure“-Texte. Dies ist ein schöner Essay, zeigt er doch, wie Sprache durch „v/erwischen, übertreten“ stets neu gelesen werden kann. Dazu passen die Ausführungen von Brigitte Oleschinski über Lichtkunstobjekte im öffentlichen Raum. Auch sie ändern (unfreiwillig) ihre Aussage, allein durch die Tatsache, dass manchmal einzelne Buchstaben wegen eines Defekts nicht mehr beleuchtet werden. Was Poesie im alltäglichen Raum bewirkt, zeigt auch Volker Sielaff, der sich für „eine Poetik am Bau“ ausspricht.
Wie sollten Texte vorgetragen werden? Welche Möglichkeiten gibt es neben der üblichen „Wasserglaslesung“? Sabine Hänsgen beschreibt als Beispiel die poetische Performance des 2007 verstorbenen Dichters Dimitrij Alexsandrovič Prigov aus der Sowjetunion, bei dem es in seinen „Schrei-Rezitationen“ „zu einer Überlagerung schriftlicher, visueller und tonaler Effekte“ kommt. Auch Stan Lafleurs Beitrag ist ein Plädoyer dafür, sich mit den vielen Möglichkeiten des Vortrags lyrischer Texte zu befassen und Martina Hefter begibt sich auf die Suche, wie man Gedichten durch Vortrag, Lesung oder Tanz am ehesten gerecht wird.
„Beinahe so lange wie es Kunst gibt, werden aus einer Kunstgattung Rückschlüsse auf andere Künste gezogen.“ Mit diesem Satz leitet Bertram Reinecke seine Überlegungen über das „Musikhören als Katalysator poetologischer Reflexionen“ ein. Den Zusammenhang zwischen Musikalität und Text setzen Julia Trompeter und Xaver Römer in „Überriesen. Text als Partitur“ fort. Ihnen geht in ihren Sprechduetten um die Musikalität der eigenen Stimmen: „ Entscheidend für das Gefallen ist der eigene Resonanzraum, indem sich eine Erzählstimme fängt.“
Dass die Kunstgattung „Film“ sich gleichfalls produktiv auf die Entstehung von Texten auswirken kann, zeigt Martin Lechner in „Dunkel erinnerte Filme“. „Hören und Sehen im Juni“ nennt wiederum Georg Leß seinen siebzehn Seiten langen Essay „über das heimliche Verhältnis zwischen Gedicht und Horrorfilm.“ Darin führt er unzählige Beispiele von Filmen (aber auch literarischen Texten) auf, die ihren Weg in die Lyrik gefunden haben.
Knapp dreißig Autoren und Autorinnen sind in der Anthologie vertreten, die – wie es auf der Rückseite des Bandes heißt – aufgefordert wurden, „über das unfertige, im Entstehen Begriffene zu schreiben, das eigene Denken offenzulegen sowie von Erfahrungen innerhalb und außerhalb des Schreibens zu berichten“. Das Ergebnis dieser Sammlung, eine Mischung zwischen Gedichten und Essays, ist eine sehr informative und anregende Anthologie, die den Wunsch des Herausgebers erfüllt, über erweiterte Möglichkeiten des poetischen Schreibens nachzudenken.
Mit Beiträgen von: Konstantin Ames, Hartmut Abendschein, Crauss, Elke Erb, Mara Genschel, Sabine Hänsgen, Martina Hefter, Angelika Janz, Birgit Kempker, Barbara Köhler, Simone Kornappel, Thorsten Krämer, Stan Lafleur, Martin Lechner, Georg Leß, Swantje Lichtenstein, Léonce W. Lupette, Brigitte Oleschinski, Jinn Pogy, Bertram Reinecke, Johann Reißer, Monika Rinck, Xaver Römer, Volker Sielaff, Ulf Stolterfoht, Barbara Felicitas Tax, Mathias Traxler, Julia Trompeter und Uljana Wolf.
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