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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Sprung zwischen zwei Zeiten

Hamburg

Eine unsichtbare Zange umklammert diesen Roman, eine gleich zu Beginn angedeutete Rahmenhandlung an einer Staatsgrenze, die aber nicht weiter ausgeführt wird. Erst im weiteren Text erschließt sich, daß Ole, der Inhaber einer etwas heruntergekommenen Bar, sich einst als Jugendlicher aus der DDR mit anderen jungen Leuten in der Tschechoslowakei zusammengefunden hatte, um am ersten offiziellen Konzert der westdeutschen Band „Die toten Hosen“ im westböhmischen Pilsen teilnehmen zu können. Eine Liebesbeziehung mit einem tschechischen Mädchen flackerte damals auf, sowie der gemeinsame Wunsch, dem „real existierenden Sozialismus“ den Rücken zu kehren. „Republikflucht“ war seinerzeit ein Straftatbestand, der mit Gefängnis geahndet wurde. An der stark gesicherten Staatsgrenze kam es, wie es kommen musste. Das Unternehmen mißglückte und das Mädchen verlor dabei ihr Leben.

Die Handlungen, Szenen und Abfolgen des gesamten Romans sind vornehmlich Ole gewidmet, der Jahrzehnte nach diesem Fiasko an der Grenze sein Glück als Kneipier in einer ostdeutschen Kleinstadt versucht.

In einer durchaus geschickten choreographischen Anordnung wird die Verknüpftheit einer farblosen Wirklichkeit von heute mit den Erlebnissen wilder Jugendjahre herausgestellt. Vielleicht ist dies die einzige Erkenntnis, der sich Ole langsam aber unausweichlich zu stellen beginnt: man kann seiner Vergangenheit nicht entfliehen!

Ob es die blaugrünen Augen des tschechischen Mädchens sind oder Erinnerungen an das untergegangene Land DDR, in welchem neben den Seelen auch der Alltag zu zerbröckeln schien. „Allen war alles egal, den Agitationsbannern, roten Flaggen und endlosen Optimismussprüchen zum Trotz, vor denen man sich nicht retten konnte. Die einzige Losung, die Ole bis heute in Erinnerung behielt, befand sich auf der im Krieg zerschossenen Fassade der städtischen Irrenanstalt: Wir sind stolz darauf, was die Partei aus uns gemacht hat“.

Oles damaligem Gefährten und jetzigen Freund Frank scheint dieser Sprung zwischen zwei Zeiten zu mißglücken. Er besucht zwar die Helsinki-Bar regelmäßig, wirkt aber durch seine eigenbrötlerischen Ideen zunehmend skurriler auf die übrigen Stammgäste. Seine Vision, eine allumfassende weltgeschichtliche Verbundenheit sämtlicher Vorkommnisse in einer Art Spiel darzustellen, mit dem dann auch noch Geld verdient werden könnte, scheitert kläglich. Unfreiwillig dekonstruiert sich dieses Vorhaben, markante Persönlichkeiten der Menschheit auf dem Feld eines Tischfußballs, eines Kickers, gegeneinander antreten zu lassen, zugleich als einer der Fehlgriffe des Autors. Zu konstruiert wirken derlei Kopfgeburten. Auch das immer wiederkehrende Motiv von Sprengungen im Untergrund der Stadt erschüttert höchstens die Qualität derartigen Schreibens.

Verbittert stirbt Frank in seinen besten Jahren, wobei freilich ein allgegenwärtiger Konsum von Nikotin, Rauschmitteln und Alkohol ihren Anteil daran hatten. Auch Ole und die anderen Figuren der Helsinki-Bar wirken, als verweigerten sie sich den Herausforderungen einer Existenz als erwachsene Menschen. Kennzeichnend sind eine Abfolge zerbrochener Bindungen und eine geradezu erschreckende Gleichgültigkeit gegenüber jenen Kindern, welche aus diesen Beziehungen zuweilen hervorgegangen sind. Als Ole seine fast schon erwachsene Tochter nach längerer Zeit wieder einmal anruft, lässt sich das vor Verlegenheiten strotzende Gespräch in einem Satz zusammenfassen: „Was machst du so, alles Mögliche, wie läuft’s in der Schule, gut, wie geht es Mama, frag sie doch selbst, brauchst du etwas, Geld passt immer, möchtest du dich vielleicht auf einen Kaffee treffen, jetzt gerade nicht, melde dich doch, wenn’s passt, klar, mach ich, na, dann mach’s gut, du auch“.

Überhaupt werden sowohl die knappen Dialoge aber auch innere Monologe von einer zuweilen arg in Mitleidenschaft gezogenen Sprache beherrscht. Der Slang hat sich verselbständigt und stellt schon längst keine Provokation für irgendwelche Spießer mehr dar. Vielmehr wirft ein verkommener Jargon ein bezeichnendes Licht auf seine Anwender. Der Armut im Gefühlsleben wie auch im Geiste entspricht eine dürftige Sprache. Für eine differenzierte Wahrnehmung fehlen die Worte und nicht von ungefähr finden sich kaum Spuren von Lebensfreude in diesem Roman.

Statt großer Literatur dominieren vereinzelte Stimmungsbilder. Es mag sein, daß dieser Roman die spezifische Stimmungslage einer am Punk ausgerichteten Generation der spätsozialistischen Phase in der DDR und der ČSSR authentischen Ausdruck verleiht. Auch die sich anschließende politischen Wende 1989/1990 und die darauf folgenden Jahre mögen in ihren Irrungen und Wirrungen intuitiv authentisch wiedergegeben sein. Fehlende kritische Spiegelungen oder gar Reflexionen lassen den Leser allerdings zuletzt eher ratlos zurück.

Jaroslav Rudis
Vom Ende des Punks in Helsinki
Aus dem Tschechischen von Eva Profousová
Luchterhand, Random House
2014 · 352 Seiten · 14,99 Euro
ISBN:
978-3-630-87431-9

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