Die Fabrik
Textilfabrik in den 50er Jahren
Neu erschienen bei Maro: Miquel Martí i Pol – La fàbrica, übersetzt von Johannes Hösle.
Im Zentrum dieser 1959 entstandenen Gedichte Martí i Pols steht die Fabrik, der »große Bauch, der mittels winziger Gezeiten funktioniert, völlig gleichgültig, formlos, pulsierend und schroff.« Der Alltag, die Sorgen und Träume der Frauen und Männer, die im »gewaltig schnarchenden, trostlosen Ungetüm« tagtäglich schuften, bekommen durch seine rhythmische Lyrik eine Stimme: Mal melancholisch, mal pragmatisch, mal anklagend. Dennoch verliert sie sich nicht in dramatischem Gejammer. Die Atmosphäre der Fabrik wird für den Leser durch seine schnörkellosen Verse und seine scharfsinnigen Beobachtungen spürbar.
V
Am fünften Tage war es schon als seien wir
unter Maschinen geboren. Die Hände waren
so hart wie irgend Hände und wir schrien
lauter um ohne Scheu zu fluchen.
Auf der Straße war Sonne und das winzige
bißchen Himmel, das man am Fenster sah,
war ohne Sinn und fern wie eine Spiegelung der Luft.
(aus: Die Schöpfung, übersetzt von Johannes Beilharz)
Die ihm vertrauten Schicksale, deren unbekannte und meist der Vergessenheit anheimfallende Lebensläufe der Arbeiter und Arbeiterinnen schildert Martí i Pol unverwechselbar, war er doch einer von ihnen.
Miquel Martí i Pol (1929–2003) ist einer der bekanntesten und meistgelesensten Dichter Kataloniens. Aus einfachen Verhältnissen stammend begann er bereits im Alter von 14 Jahren in einer Textilfabrik zu arbeiten. Um 1970 erkrankte Martí i Pol an Multipler Sklerose, die ihm in kurzer Zeit mündliche Artikulation und Bewegungsabläufe derart erschwerte, dass er schon bald auf Rente gesetzt wurde.
Martí i Pols Werke wurden in mehr als 15 Sprachen übersetzt und gehören in Katalonien bis heute zur Schullektüre. 1999 wurde er für den Literaturnobelpreis nominiert.
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