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Kritik

Glossen über Gedichte

Dieter Lamping schreibt Glossen zur Lyrik für literaturkritik.de. Nun sind seine Nebenbemerkungen gesammelt erschienen – und machen Lust auf mehr.
Hamburg

Die Klage, Lyrik nehme in der öffentlichen Wahrnehmung nicht den Raum ein, der ihr gebührt, ist nicht neu. Und sie ist eben auch falsch. Denn Gedichtetes überschwemmt den öffentlichen Raum geradezu – allerdings nicht in der Form oder in der Qualität, die es sich der passionierte Lyrikleser wünscht. Sie kommt als Werbespruch daher („Mach es wie die meisten…“) oder als Popsong, in jedem Fall sind Verse allenthalben. Von einer Krise der Lyrik zu sprechen, nur weil sie im Literaturbetrieb nachrangig ist, zeugt also eher von Eigenwerbung der Lyriker und deren Gewährsleuten, als von einer einigermaßen belastbaren Anamnese.

Womit die Arbeit und das Interesse allerdings erst anfangen. Denn immerhin hat die Lyrik gewichtige Feinde, die nicht eben zurückhaltend sind, wenn es darum geht, gerade die lyrische Alltagsware des Literaturbetriebs niederzumachen.

Mit einer solchen Schimpfkanonade auf die Lyrik beginnt Dieter Lamping seine gesammelten Glossen zur Lyrik, die seit einigen Jahren in unregelmäßigen Abständen auf literaturkritik.de erscheinen. Genauer gesagt, er referiert eine solche.

Die Website, die vom Marburger Germanisten und Kritiker Thomas Anz initiiert wurde, hat sich seit einigen Jahren als kritisches Literaturforum etabliert, das bunte Blüten treibt. Besondere Aufmerksamkeit verdienen aber die Glossen Lampings, die Anz Lamping abgerungen hat – wie der Zöllner dem Weisen bei Brecht. Ein ziemender Verweis, der ihm nachgesehen sein soll.

Lampings Glossen lohnen nun, eben weil sie nicht einfach nur Werbung für Lyrik machen, sondern weil sie sich auf höchst unterhaltsame Weise mit einigen Phänomenen und Merkwürdigkeiten beschäftigen, die sich im Lyrischen finden lassen.

Zum Beispiel eben, dass die Lyrik mit dem Lied schon früh eine enge Verbindung eingegangen ist, die aber heute keine wirkliche Beachtung mehr findet, zumindest unter Lyrikkennern und in der literaturwissenschaftlichen Forschung.

In diesen Zusammenhang gehört selbstverständlich Alfred Döblins langatmige Verächtlichmachung der Lyrik, die er sich Ende der 1940er Jahre von der Seele schrieb. Das steht in einer schönen Tradition, nicht nur wegen des Deutschunterrichts, der immer so viel schlechter wegkommt als der Physikunterricht, bei dem doch auch alle Schüler immer gestöhnt haben. Und hinterher ärgert man sich, dass man nicht besser aufgepasst hat. Außerdem gibt es mehr Deutsch- als Physikstudenten, was mal einer erklären soll. Aber auch die lernen ja Lyrik kaum kennen, wenn man sich die Lehrprogramme der Universitäten anschaut.

Nun, einer der Vorgänger Döblins war bekanntermaßen Bert Brecht, über dessen Lyrik-Jurorschaft 1927 für die „Literarische Welt“ Lamping auch eine seiner Glosen schreiben sollte. Mich würds freuen.

Dabei hat Lamping ja so recht: Einmal den diversen Zwangsveranstaltungen entronnen, darf sich jeder glücklich schätzen, der Lyrik lesen mag (nicht muss). Dass dies – das Lyrik-Verständnis eingegrenzt – nicht allzu viele Leute sind, sei dahingestellt. Hans Magnus Enzensberger, den Lamping zum bekanntesten und wichtigsten Lyriker der Gegenwart zählt (nicht Grünbein???? Erstaunlich), hat in einem seiner Essays ja eine Enzensberger-Konstante errechnet (fürs Mathematische hat er ja ein Faible, wie man weiß), mit der er auch eine Kulturen, Zeiten und Konjunkturen übergreifende Zahl von etwa 1354 Lesern eines einigermaßen gehaltvollen Lyrikbandes konstatiert.

Das ist immerhin schon etwas, was eben auch bedeutet, dass man sich in einer exklusiven Gesellschaft befindet, liest man Lyrik. Wann könnte man das schon sagen? Und das ist auch noch billig zu haben, bestenfalls Kennerschaft wird man sich aneignen müssen, und Gelegenheiten schaffen.

Daran wird’s vielleicht am ehesten scheitern. Kein Wunder, dass Haiku angeblich ins Netz abgewandert sind, wie Lamping bemerkt. Schnell geschrieben und schnell gelesen passen sie gut dahin.

Was man außer einem exklusiven Kreis anzugehören noch von der Lyrik hat, damit hat sich, so Lamping, Joseph Brodsky beschäftigt, und ist dabei auf einen Gedanken gekommen, der jedem Lyrikfreund genehm sein müsste: Lyriklektüre schafft sicheren Geschmack, und das wiederum schärft das moralische Urteilsvermögen, was wiederum immerhin freier, wenngleich nicht glücklicher mache. Das letztere mag stimmen, aber das mit dem schärferen moralischen Urteilsvermögen ist mit Sicherheit falsch. Aber dennoch, ein hübscher Gedanke, der hilfreich sein mag.

Dieter Lamping
Der Nobelpreis für Lyrik
Glossen über Gedichte
Literatur Wissenschaft.de
2014 · 78 Seiten · 9,90 Euro
ISBN:
978-3-936134-42-1

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