Modell Literatur
BELLA triste N° 39 - Sommerausgabe
Michael Braun hält im poetenladen seine geschätzte Zeitschriftenlese und bespricht u.a. dabei die BELLA triste N° 39:
„„Wozu sollten sich die jungen Autoren denn auch bekennen?“, fragt denn auch ein zentraler Essay in der aktuellen Sonderausgabe der institutseigenen Zeitschrift „BELLA triste“. Die Literatur, so resümiert hier der Literaturwissenschaftler Christian Schärf, begegnet den jungen Autoren um die Dreißig „als Geschäftsmodell, nicht mehr als existenzielle Herausforderung, nicht mehr als Abgrund, in dem man scheitern kann.“ Und was hätten die jungen Autoren dem allgemeinen Zeitbewusstsein auch entgegenzusetzen? Inwiefern können sie überhaupt so etwas wie eine Bewusstseinsherausforderung der Gegenwart produzieren?
Schaut man nun auf die Statements, die elf junge Autoren im Sommerheft von „BELLA triste“ abgeliefert haben, so kommen einem unwillkürlich die Erkenntnisse des immer noch aktuellen „Medizynikers“ Gottfried Benn in den Sinn, die er im August 1950 in einem Vortrag im Nordwestdeutschen Rundfunk formuliert hatte. Im Rückblick auf sein großes Vorbild Nietzsche beschrieb Benn damals die Voraussetzungen der Kunstproduktion, die Grundlagen der „Ausdruckswelt“ so: „Der Mensch ohne moralischen und philosophischen Inhalt, der den Form- und Ausdrucksprinzipien lebt. Es ist ein Irrtum anzunehmen, der Mensch habe noch einen Inhalt oder müsse einen haben. Der Mensch hat Nahrungssorgen, Familiensorgen, Fortkommenssorgen, Ehrgeiz, Neurosen, aber das ist kein Inhalt im metaphysischen Sinne mehr.“ Mit dieser Diagnose, die auch in „BELLA triste“ zitiert wird, hat Benn im Grunde auch eine aktuelle literarische Lageanalyse für das Jahr 2014 vorgelegt. Denn der junge Autor von heute schreibt ebenfalls als ein „Mensch ohne moralischen und philosophischen Inhalt“, der allenfalls alltagspragmatische Sorgen hat, aber kein großes metaphysisches Thema mehr – und leider auch nur noch Rudimente von Ausdruckskunst.
Sehr auffällig ist die Ratlosigkeit und ästhetische Schwäche, die bei den befragten Autoren in „BELLA triste“ auf der Suche nach „Bekenntnissen“ offenbar wird. Den erzählerischen Realismus scheut man aus Angst, der Gestrigkeit bezichtigt zu werden, gefragt sind dagegen „hybride Textkörper“ und „polytope Crossover-Verschaltungen“, wie Christian Schärf beobachtet hat.“
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Frank Milautzcki - Anmerkung zum Thema (Ausschnitt aus dem unveröffentlichten Essay "sophistikatered"):
Das Beantworten der Welt in der eigenen Sprache ist der verantwortliche Teil jeder Kunst. Wer sich auf die Welt traut, setzt sein Wort hinzu, wird wortgetreu, jedenfalls spricht er verantwortlich mit der Welt und beantwortet sie, zumal als Geste. Und es spricht – aus meiner Sicht – nichts dagegen, daß wir zur Sprache kommen, daß wir die überlange Phase des Badens an den Ufern des Nichts unsres Iches beenden und wieder sprechen lernen davon, was uns sonst noch so angeht in der Welt, was in uns und mit uns geschieht, wenn wir da sind auf der Welt. Befindlichkeit hat man das mal tabuisiert. Sich auf der Welt befinden, ist doch ok - was ist Übles daran?
Übel ist das, was man dem Begriff zudachte und zudenkt. Der Duden sagt uns zur Befindlichkeit: seelischer Zustand, in dem sich jemand befindet. Was aber ist ein „seelischer Zustand“? Vielleicht denken wir an unsere Gestimmtheit, den Klang, der aus uns laut wird aufgrund einer inneren Beschaffenheit (wo es schon kompliziert wird – weil jeder seine eigene innere Strukturen mit sich herumträgt)? Und was bitteschön ist die Seele, dieses esoterische Monster, außer völlig unzeitgemäß – man hat heute keine Seele mehr. Auch wenn man sagt: das tut mir in der Seele weh. Man meint damit, das verletzt meine innere Struktur.
Befindlichkeit könnte man lesen als: Zustand der inneren Struktur, als die ein Mensch sich erlebt, die Introspektion teilt ihren Befund mit – viele sehen darin ein unergründliches Geschehen in ominösem Gebiet, schemenhafte Bewegungen in der dubiosen Finsternis der Esoterik, aber tatsächlich steckt dahinter die Geste der Exoterik, die das Innere nach Außen kehren, Verständlichkeit erzielen will. Finden, was mich wie macht. Wie kann zu Sprache kommen, was in mir drin agil ist? Darf das überhaupt zur Sprache kommen? Ist in mir drin literarisches Material?
Natürlichweise und nur. Eine Sprache außerhalb von mir gibt es nicht. Dennoch ist „Befindlichkeitslyrik“ zu einem der großen Tabus der Gegenwartsliteratur geworden. Weil alle Kritzeleien, mit denen jede Schreibkarriere beginnt, die Anfangsbefunde und Inspektionspremieren, sehr gut in den Begriff mit hinein gepackt werden können. Und wer will schon am Anfang stehen, wo es darum geht, in der Kunst etwas zu gelten! Viele zeitgenössische LyrikerInnen haben verinnerlicht, daß sie nichts mehr befinden. Daß sie nicht mehr fündig werden s/wollen – sie verweigern die Sensationen des Inneren als das lyrische Bäh, es gäbe dort ein billiges Einlassen auf darkness und spleen, das Kopfschütteln der Jurys schon vor Augen. Das sprachliche Geschehen (das zunächst immer ein inneres Geschehen ist) wird um die böse Schlacke des Ichs bereinigt, in dem Glauben Sprache gäbe es in Reinform und funktioniere nach Lehrbuch und –meinung (was dem Imitat alle Türen öffnet). Der innere Dialog (man könnte sich streiten, ob es nicht doch ein Monolog ist), das eigene Zur-Welt-Kommen wären aber das sprachliche Abenteuer und das poetische Tun. Sich Befinden und in einem inneren Dialog als Weiterreichung entwickeln (eine Sprache dafür finden), das wäre aufgespannte, mit Spannung aufgeladene Literatur, die von einem Ende bis zum anderen – dem Leser reicht. Als postmodern gilt etwas anderes: über die Sprache befinden, als geschähe sie als autonomes Etwas im Sprechenden und die Befunde weiterreichen. Die Sprache soll als Material an die Oberfläche. Was sie dort tut, darüber kann dann gesprochen werden. Das hat mit Poesie, wie sie einmal gedacht war, nur noch wenig zu tun. Sprache wird hier zum Inhalt eines Baukastens, den zu verwenden man in einem Literaturinstitut lernt.
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