Anzeige
Heimat verhandeln V&R böhlau
x
Heimat verhandeln V&R böhlau
Kritik

Wasser und seine Spiegelung: Sternbilder

Gedichte von César Leal erstmals auf Deutsch
Hamburg

Eine schöne zeitliche Koinzidenz erlaubt es, beim Stichwort „Brasilien“ vom ephemeren Rund des Fußballs auf direktem Weg zu den Sternenkugeln zu gelangen. César Leal (1924-2013), der brasilianische Lyriker, Journalist, Kritiker und Literatur-Professor, in seiner Heimat mit einigen Preisen geehrt, doch hierzulande wohl gänzlich unbekannt — man wiederholt sich, wenn man hinzufügt: zu Unrecht unbekannt — hat in einem Gespräch einmal behauptet, „Das Transzendente ist fundamental“, deshalb weitet er die ganz diesseitigen Phänomene in eine kosmische Dimension. Eine von Curt Meyer-Clason übersetzte Auswahl legt davon nun ein beredtes Zeugnis ab, in dem zweisprachigen Band sind die Langgedichte „Der Triumph der Wasser“ („O Triunfo das Águas“, 1958-64) und „Der Große Bär“ (Ursa Maior“, 1969), sowie die kürzeren Zyklen „Der Orientalische Saphir“ („A Oriental Safira“, 1992) und „Sternbilder“ („Constelações“, 1984) erschienen.

Im „Brief an einen Dichter“, einem Nachwort zu „Der Triumph der Wasser“, erläutert Leal die Faktur seines Textes, er schreibt, seine Absicht habe darin bestanden, „die Wasser auch als Sinnbild des ewigen Fließens vom Leben in Raum und Zeit darzustellen. Ich glaube, dass dies ein Triumph ist. Doch das Gedicht will kein schlichter Überbringer von Botschaften sein. Eher möchte es ein sprachlicher Bau sein, ein Erzeugnis der Phantasie, die kunstvoll auf verschiedenen Sprachebenen arbeitet.“ Unterschiedliche metrische Schemata, einmontierte Zitate und Photographien, versteckte Allusionen, graphische Elemente sind nur einige der Mittel, mit denen Leal eine Transzendenz durch die Sprache selbst heraufbeschwört. Der kosmologische Gesang umfasst eben auch alle zur Verfügung stehenden Mittel.

Zugleich verbindet Leal mit dem hymnischen Tonfall eine zutiefst ethische Botschaft, er gemahnt an die zerstörerischen Kräfte, die der Mensch freisetzen kann, und fordert dazu auf, Mitleid mit der condicio humana zu haben, die niemals vergessen sein darf. Die Verpflichtung des Dichters besteht darin, sich nicht rein abstrakt und theoretisch mit den Dingen auseinanderzusetzen, sondern sie fühlend und mitfühlend in das Gedicht zu integrieren, weil es keinen Gegenstand gibt, der — selbst (oder vielleicht muß man sagen: besonders) angesichts der Sternbilder — zu gering ist:

keinen

Eintrag
hast du gemacht
von der Traurigkeit
die den Hund quälte
dem die Tollwut jede Liebe
zu seinem Herrn nahm;

wenig sprachst du

vom verwundeten Reh, von den Kindern
deren Wiegen die Faust der Bomben
zerschlug;
all das ist Stoff für Dichter
all das ist Thema für Gedichte...

Paradoxerweise führt die Betrachtung der kosmischen Fernen wieder zurück in die irdische Sphäre. Die Wasser sind ein Sinnbild für Bewegung und Lebendigkeit, und die Sterne sind ein Abbild dessen, was auf Erden zu leisten sei:

... aber was dem Menschen gehört,
gründet sich immer in neuen Formen,
neuen Horizonten, unablässiger Suche
nach neuen himmlischen Feldern
um das Licht zu säen, das Licht
das die Pflanzen zum Wachsen bringt

Das Motiv der Bewegung — mit dem die sprachliche Beweglichkeit korrespondiert, die sogar noch mathematische Formeln einschließt — durchzieht alle Gedichte, es ist der „Hunger“, das unstillbare Verlangen, das den Menschen zum Sprechen und zum Singen veranlaßt, und die Sternbilder sind Sinnbilder für eine Ordnung, die alles durchwaltet, und für die Hoffnung, die zeitlichen Bedrohungen zu bewältigen.

Zwei entscheidende Mängel dürfen zum Schluß nicht unerwähnt bleiben: Die für einen Gedichtband ungewöhnliche hohe Anzahl an Druckfehlern, die den Lesegenuß erheblich eintrübt, ja, teils nahezu unmöglich macht, und das Fehlen jeglicher Hinweise auf die Entstehung der Übersetzung, die offenbar — einem im Internet zugänglichen Artikel von Mário Hélio zufolge — bereits Ende der 1990er Jahre entstanden und demzufolge aus dem Nachlaß des 2012 im Alter von 101 Jahren verstorbenen Curt Meyer-Clason publiziert wurde. Dennoch sollte man diesen hochgebildeten, farbenreichen, in angemessenem Pathos schwelgenden Band nicht missen, der brillant auf der Klaviatur moderner Stilmöglichkeiten spielt.

César Leal
Der Triumph des Wassers
Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Curt Meyer-Clason. Zweisprachig
Leipziger Literaturverlag
2014 · 200 Seiten · 24,95 Euro
ISBN:
978-3-86660-183-3

Fixpoetry 2014
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge