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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Geschichten von Menschen aus Kiezen

Nicht immer überzeugend!
Hamburg

Der Berliner Asphalt, über den Sebastian Christ mit seinem Fahrrad oft und gerne jagt, ist meistens nass - manchmal auch gefroren und dann fällt der Erzähler hin. Auch wenn Biographismus schon längst überholt ist und die Einheit von Autor und Erzähler aufgebrochen, glaube ich, dass es dem realen Autor Christ wehgetan hat, als er hinfiel und dass er die Notwendigkeit sah, das in einer Prosa-Miniatur festzuhalten.

Das Bild, welches die gerade bei mikrotext erschienene Sammlung von durchnummerierten Prosa-Miniaturen von Berlin zeichnet, ist kein überraschendes. Die kleinen Texte, 20 an der Zahl, liefern uns eine grobe Skizze einer Stadt, über die viel geschrieben wird, nicht erst seit Döblins „Alexanderplatz“ und vor allem in den letzten Jahren. Ist Berlin jetzt vorbei? Zu viel Hype? Noch arm und sexy oder gentrifiziert und ausverkauft? Wir sind in einem Berlin nach dem Tacheles (dessen letzte Bewohner Christ mit dem Fahrrad aufspürt), im Berlin der globalen Aufmerksamkeit und der Hipster.

Christ belehrt uns nicht über Touristen oder zieht lautstark über Hipster her. Er erspart uns die ausgetretenen Argumente und zieht stattdessen vor uns sein eigenes Berlin vorzustellen, in aller Bescheidenheit, mit seiner Perspektive, seinem Alltag und seinen Nachbarn. Das Wort Hipster fällt tatsächlich nur ein einziges Mal (und das ist auch gut so).

Viel Kluges steckt in Christ‘s Text, aber weniges, was man - als ebenso Wahlberliner - nicht auch ohne die Lektüre des Textes bereits als Binsenweisheit empfindet. Spannender ist also die Frage: Welches Bild ergibt sich vom Erzähler? Wie stilisiert er sich selbst und welches Bild wirft er damit auf die Stadt?

Einer der gerne Rad fährt, Shisha raucht, mit dem Habibi vom Café neben an per du ist und jemand der sehr aufmerksam durch die Welt läuft. Jemand mit Empathie. Jemand mit einem guten Gedächtnis und Sinn für die kleinen Geschichten, die in der Großstadt passieren. Jemand, der in Berlin angekommen ist, will man sagen, weil er sich hier auskennt, die Berliner Schnauze gelernt hat und sich nichts draus macht auch mal hinzufallen.

Leider fehlt der Textsammlung auf Dauer die Raffinesse, denn an Christs Stil gewöhnt man sich schnell. Die Geschichten sind zu leise, die Tonalität der Texte versucht sich an einer Nachdenklichkeit, die mit kleinen Details den Charmeur mimt, aber im Grunde genommen gelingt der Flirt mit dem Gedächtnis des Lesers nicht. Was es wert war aufgeschrieben zu werden, in Fiktion überzugehen, bleibt beim Lesen leider nicht immer hängen. Manche der Mini-Erzählungen krachen hart auf den Berliner Asphalt. Sie lassen den Leser kalt, nicht weil sie vom Alltag erzählen, sondern weil sie es nicht schaffen dessen Schönheit in Literatur zu überführen.

Wissenswertes gibt es hier und da, interessante Anekdoten findet man durchaus, aber alles in allem keine Lektüre, die man in einem runterlesen sollte.

Texte, die man auf dem Smartphone zwischen zwei U-Bahn-Stationen lesen kann. Oder Texte für Menschen, die kein Bild von Berlin haben?

Vielleicht hätte es mehr dieser Texte gebraucht, um zu überzeugen, um ein Bild aufzubauen, auf das man sich einlassen will. Mit mehr Strichen wäre das Portrait der Stadt und des fahrradaffinen Alltagschronisten konkreter, aber eigentlich sind es ja die Lücken, die man selbst ausfüllt, die zur Ästhetik beitragen. Zu wenig Poesie des Alltags findet man hier im Berliner Asphalt, zu viel das dann doch belanglos scheint. Vielleicht war es ja wirklich mein Fehler, die kurzen Texthappen herunter zu lesen. Vielleicht sind es doch mehr Gebrauchstexte, die ihre Redundanz verlieren, wenn man sie nicht sofort in Zusammenhang setzt.

Als Berliner bin ich neugierig auf die Perspektive der anderen Menschen in dieser Stadt auf diese Stadt. Christs Berlin ist mir sympathisch, aber die kleinen Texte sind näher am Essay - im Sinne des Versuchs - als an Großstadt-Prosa. Es muss nicht immer der große Wurf sein, aber weil der Text sich selbst in Berlinweisheiten verliert, muss man ihn daran messen. Er tappt zwar nicht in die Klischeefalle, aber ganz überzeugen können die Texte nicht, weil sie sich an einer Literarizität versuchen, die zu oft scheitert, die man zu oft verzeihen muss. Es sind die vom Text selbst gesteckten Ziele, mit denen er nicht mithalten kann und das ist schade, weil der Text doch an der Oberfläche nicht mehr will, als vom Berliner Alltag erzählen, tief drin jedoch den benjaminschen Flaneur auf dem Rennrad versucht. Aber wie der Flaneur eben läuft und das Rennrad eben rennt, passen Modus und impliziter Anspruch nicht ganz zusammen. Allerdings kann ich mir jetzt vorstellen in Moabit zu wohnen und weiß jetzt, dass es auch beim Shisha-Café eine zu beachtende Expertise gibt. Literatur muss halt nicht immer auf allen Ebenen überzeugen.

Sebastian Christ
Berliner Asphalt
Geschichten von Menschen in Kiezen
Mikrotext
2014 · 100 Seiten auf dem Smartphone · 1,99 Euro
ISBN:
978-3-944543-16-1

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