“Gib mehr Wein mir, denn das Leben ist nichts.”
“Ich bin eine Anthologie.
Schreib in solcher Vielfalt,
Daß niemand, sei der Gedichte Wert
Groß oder gering, sagen wird,
Daß als Dichter ich nur einer bin.So muß es sein – jedermann
Kann einer sein, weil er einer ist.
Ein Dichter muß mehr
Als einer sein, um einer sein zu können.“
Wenn von einem Dichter, der von sich behauptet, eine Anthologie zu sein, ein Band erscheint, der „Er selbst“ genannt wird, weil darin diejenigen Gedichte zusammengestellt sind, die er unter keinem seiner zahlreichen Heteronyme verfasst hat, scheint mir das schon ein wenig paradox zu sein. Und somit wiederum passend für Fernando Pessoa, den neben dem Zweifel, der Fähigkeit in vielen unterschiedlichen Stimmen zu sprechen, auch die lebenslängliche Beschäftigung mit den Paradoxien des menschlichen Daseins kennzeichnet.
Sicher haben auch andere Dichter das Paradoxe des Lebens ausgedrückt, aber ich kenne keinen anderen Dichter, der die Widersprüche in seinen Gedichten derart entfaltet, der dem Leser und sich selbst den Zweifel und das Fehlen von Eindeutigkeiten so kompromisslos zumutet. Pessoa löst die Widersprüche weder auf, noch erklärt er sie. Er hält sie aus.
Mit einem Denken, das „ein unterirdischer Fluss“ ist, in dem sich Gegenwart und Vergangenheit vereinen, zu Musik werden, die mit der Kindheit spielt, sie als grünen Hund einem gelben Jockey zuwirft und als weißer Ball in den Köpfen der Leser verschwindet.
Wie soll man nüchtern berichten über Gedichte Pessoas, über diese Mischung aus Fado und Philosophie?
Wenn die ganze Welt, wie Pessoa behauptet, ein offenes Buch ist, das ihm in einer unbekannten Sprache zulächelt, was gibt es dann zu sagen über seine Art dieses Buch zu lesen, seine Versuche diese unbekannte Sprache zu verstehen, oder zu versuchen, sich dem fremden Klang zu überlassen, der Musik und Magie der Worte?
Immer wieder bleibt nur das Zitat: „Der Traurigkeit der Schritte“ (Tagebuch im Schatten) „in einer menschenleeren Stadt“.
Pessoas kreisrundes Denken ist mehr als Zweifel und geht über den Widerspruch hinaus:
„Der Irrtum hat sich geändert“, schreibt er. Oder:
„ungeduldig blieb ich der, der ich bin.“
Eine Ausweglosigkeit, die mit Sprache weder zu heilen noch zu bezeichnen ist. Nur zu umkreisen in Liedern vom Nichts.
„Sein ist ein Gefängnis.
Ich sein ist nicht sein.
Ich lebe auf der Flucht,
Aber lebe, lebe, lebe.“
Immer wieder umkreist Pessoa den Antagonismus zwischen Denken und Sein, die Unmöglichkeit, sich selbst zu erkennen, als einer, als etwas Feststehendes. In seinen Gedichten ist diese Unmöglichkeit stets begleitet von der unstillbaren Sehnsucht, eins zu sein mit allem und einfach nur zu sein.
Nicht zufällig taucht immer wieder der Fluss auf, das Fließende der ständigen Veränderung, die ein Leben ausmacht, die Festschreibungen immer wieder verflüssigt.
Die einzige Möglichkeit den Fluss des Lebens und das Bedürfnis nach Identität, nach einem haltgebenden Rahmen, in Einklang zu bringen, ist vermutlich das Einverständnis mit der beständigen Wandlung. Und damit, dass diese stetige Veränderung gleichzeitig eine unaufhaltsame Annäherung an den Tod ist. Etwas, das Pessoa klar erkennt, das ihn aber nicht im Geringsten daran hindert immer wieder das Leben zu besingen.
In den in seinem letzten Lebensjahr (1935) entstandenen Gedichten geht es zunehmend um Erinnerungen, um die Erinnerung an die Mutter im Gedicht „Un soir a lima“, und allgemein um diesen Kern der Erinnerung, der das Erinnern so schmerzhaft macht:
„Damals wusste ich nicht, dass ich glücklich war.
Heute, da ich es nicht mehr bin, weiß ich es wohl.“
So benennt Pessoa den Stachel der Erinnerung, weil wir uns scheinbar immer nur an das Versäumte erinnern. Und an das Unwiederbringliche.
Aber auch hier spürt Pessoa die Widersprüche auf:
„Nichts anhaben kann dein kalter Fluß dem,
Der sich wärmt an der Erinnerung.“
Bis zuletzt kreisen Pessoas Gedichte um die Unfassbarkeit des Denkens, die Illusion einer Identität, die genau so notwendig wie unmöglich ist.
„Alles ist vielleicht
Seine eigene Kehrseite
Und das Gegenteil von allem, was wir denken.“
Pessoa bettet das Nichts des Lebens immer wieder in Gedichte, die berauschend und gefährlich sind wie Wein. Man wird süchtig von seinen Gedichten und verliert den Boden unter den Füßen, denn den vermeintlichen Tatsachen hat Pessoa bis zuletzt den Zweifel und den Widerspruch entgegen gesetzt.
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