Der Tod als Schauspiel
Ein Mann ausgesetzt auf einer felsigen Insel schildert sein Sterben:
Das Meer stählern. Der Mond schweigsam wie ein Schmerz in der
Tiefe des Geistes. Ein Körper, hin- und hergerissen auf dem Felsen,
als eine Alge oder ein lebloser Fangarm, Frucht eines von Stürmen
zerrissenen Schoßes, ein Sumpf, voller Fleisch, blutgefüllt.
Die Inselsituation, das Robinson-Crusoe-Motiv des einsam Gestrandeten, ist in der Moderne zum klassischen Sinnbild der Vereinzelung geworden. Nicht im vielleicht ursprünglichen Sinne einer geglückten Individuation, sondern als dunkle Kehrseite all unserer zivilisatorischen Errungenschaften und dem hypertrophen Individualisierungswahn: dem existenzielle Gefühl der Einsamkeit und Verlassenheit. Eben jenem Motiv setzt der griechische Lyriker Dimitri Lyacos in seinem Band Der erste Tod noch eins drauf indem er, Antike, Mittelalter und Neuzeit gleichzeitig bemühend, sein gestrandetes lyrisches Ich einen tragischen und peinvollen Tod voller Höllenvisionen sterben lässt.
Der erste Tod eröffnet die 1992 begonnene und 2013 vollendete Trilogie Poena Damni. Der Titel spielt auf die Strafe der verdammten Seelen in der Hölle an: Sie dürfen Gott nicht schauen. Ein Motiv, das auch Dante in seiner Göttlichen Komödie in der Beschreibung der Höllenkreise aufgegriffen hat. In dieser übersteigerten Erlösungssehnsucht und der ausgestellte Leibfeindlichkeit nimmt der Band mittelalterliches Gedankengut auf. Die Idee der Staffelung des Todes, bzw. der Tode wiederum findet sich schon bei Platon und geht mit der Auffächerung des Menschen in Körper, Seele und Geist einher, die im Vollzug der Tode schrittweise voneinander getrennt werden. Somit ist der erste Tod jener, in dem der Körper von der Seele getrennt wird und der dritte und am meisten gefürchtete jener, bei dem auch die unsterbliche Seele in der Hölle ihr Ende findet. Ihren Höhepunkt und schönste Ausprägung findet diese Staffelung bei Petrarca, bei dem die drei Tode eingeteilt sind in: den Tod des Leibes, den Zerfall des Grabsteines und zu guter Letzt dem Zerfall der Bücher, die man geschrieben hat.
Auf dem Boden von Antike und Mittelalter zelebriert Der erste Tod eine morbide Religiosität, die in ihrer Ausführung – unterfüttert mit Symbolismus und Expressionismus – postmodern ist: kontrollierter Kitsch, geplante Emotionalität, nüchternes Delirium. Ein Textgeflecht voller Anspiellust und Bezugswut.
Schockierend wirkt auf den ersten Blick der Exhibitionismus mit dem der körperliche und mentale Zerfall des auf der Insel Ausgesetzten geschildert wird. Und doch spiegelt sich darin symptomatisch eben das wieder, was allabendlich in trashigen Reality-TV Sendungen zur Schau gestellt wird, in denen den Kandidaten aber auch nichts zu peinlich oder zu privat zu sein scheint, um es mit der Öffentlichkeit zu teilen. Dazu gehört auf der Kehrseite der krankhafte Voyeurismus, der uns bei der Zuschaustellung dieser Selbsterniedrigungen z.B. in einer Sendung wie dem Dschungelcamp genussvoll zusehen lässt. Es fehlt nur noch, dass auch der Tod, der qualvolle Sterbeprozess eines Individuums Einzug in unsere Reality-TV-Welt hält, die Horrorfilme Wirklichkeit werden. Dann könnte man Lyacos Band als prophetisch bezeichnen.
Den Sprung auf die Theaterbühne hat die Trilogie schon geschafft, sie wurde in Europa und den USA aufgeführt, inspirierte Oper, zeitgenössischen Tanz, Video- und Skulptureninstallationen.
Die hier zur Schau gestellte Körperlichkeit und Selbstinspektion ist eine vollkommen fleischliche, der Körper ein maroder Kerker:
ein Sumpf voller Fleisch und Blut gefüllt. Der
linke Arm an der Wurzel abgetrennt, der rechte bis zum Handgelenk,
ein verfaulter Stumpf delirierend in den Lungen des Wassers.
Das Licht, das diesen Körper vielleicht einmal beseelt hat, ist längst erloschen, ist zu einem ausgewaschen[en] Licht verkommen. Oben erscheint zwar noch die himmlische Hand, die dich jetzt mit aller Kraft zieht, das lyrische Ich aber verbleibt mitten im Erbrochenen [s]eines Unglücks.
Wohin man auch sieht, nur Blut und Leichenberge. Geschlachtete Hunde schwimmen in verwelkten Gruben. Die Erwartung auf ein Seelenheil ist umgeschlagen in einen gelähmten Gotteswahn. Körperliches und seelisches Leiden, Einsamkeit, Verzweiflung, Sterblichkeit und Vergänglichkeit, kurzum das gesamte finstre Spektrum der menschlichen Existenz wird hier verhandelt. Und der Leser trägt das Kreuz mit, bei diesem Gang nach Golgatha ohne Aussicht auf Erlösung. Ein Gang wie durch einen alptraumgleichen Splatterfilm, der nur selten durch das Funkeln vereinzelter Verse erhellt wird, durch in Brand gesetzte Augen und deren mosaikartiges Sehen.
In der letzten, der 14. Abteilung scheint die erhoffte Erlösung zum Greifen nah, hungert der auslaufende Intellekt des lyrischen Ichs danach, doch noch ein Hintertürchen aus diesem Dilemma zu finden:
.
und doch
werde ich gerettet, nicht in der Welt
noch außerhalb davon, sondern an der nicht vorhandenen Stelle des Zusammenstoßes
und der Abhebung der Welt, dort wo der Schrei empfangen wird
übernimmt die Kurbel
und die Räder
stoßen instinktiv
den Kinderwagen ins Unendliche
Ist das die Überwindung der negativen Utopie? Sie bleibt trotz des Kinderwagens als Hoffnungsträger kalt, liest sich eher wie die Unendlichkeit der Hölle. Eben weil es weder irdisch noch himmlisch geschieht, sondern nur abstrakt und verkopft. Also scheinbar nie, oder später. Also ganz zeitgemäß.
Ganz wunderbar gesetzt und gestaltet hat den Band, wie schon zuvor weitere Bände aus der sehr feinen Lyrikreihe des Verlagshaus J. Frank, Dominik Ziller. Aus dem Griechischen übersetzt hat die Dozentin Nina-Maria Wanek.
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