Die Revolution frisst ihre Kinder
Die achtzigjährige Banu backt Halwa, um die Süßigkeit in ihrer Teheraner Nachbarschaft zu verteilen. Sie tut das oft, denn es gibt viele Todestage zu betrauern. Ihre vier Kinder hat sie verloren und auch ihren Ehemann Lotfi-Khan. Die Tage der Revolution liegen über zwanzig Jahre zurück, auch der verheerende Krieg gegen den Irak ist Vergangenheit – doch ihre persönliche Vergangenheit lässt sie nicht los. Die politischen Wirren, die im Herbst 1977 in Iran ihren Anfang nahmen, nahmen ihr alles.
In ihrem beeindruckenden Debütroman „Schatten in Teheran“ (Sujet Verlag, Bremen 2014) zeichnet die Kölner Autorin Mitra Gaast mit leiser aber starker Stimme die Krater nach, die Politik und Krieg im Leben einfacher Menschen hinterlassen. Schon Mitte der Siebziger schließt sich Banus Sohn Raschid den ersten Studentenprotesten gegen das Shah-Regime an, und der Geheimdienst Savak wird auf ihn aufmerksam. Jahre später steht die Familie noch immer auf der schwarzen Liste. Tochter Roya wird daher die Immatrikulation an der Kunsthochschule verweigert, ihr Ehemann Peyman verschwindet spurlos. Aus den Studentenprotesten werden Straßenschlachten, und dann übernimmt das Militär. Ssimin, Banus älteste Tochter, bringt ihre beiden Söhne aufs Land. Sie sollen unbeschwert aufwachsen, sollen nichts mitbekommen vom Blutvergießen auf den Straßen der Hauptstadt. Doch auch sie wird von den Ereignissen eingeholt, von dieser Revolution, die so furchtbar schief gelaufen ist, in der sich radikale Fanatiker an der Staatsspitze die Klinke in die Hand gaben.
Doch um sie geht es nicht in Gaasts Roman. Sie hält sich nicht damit auf, die politischen Zusammenhänge und Ereignisse nachzuzeichnen wie es beispielsweise Amir Hassan Cheheltan in seiner Teheran-Triogie (C.H. Beck) macht. Sondern sie konzentriert sich ganz auf ihre Figuren. Auf Banus Sohn Amir zum Beispiel, der das Medizinstudium gerade abgeschlossen hat, als die Notaufnahme der Uniklinik sich mit den Opfern des Aufstands füllt, und der entschließt, auf die Straße zu gehen um zu helfen, während Roya über Kurdistan versucht, das Land zu verlassen. Banu sucht später nur noch eines: Hoffnung. Wo kann es noch Hoffnung geben, wenn jene, die man liebt, sinnlose Tode sterben?
Banu ist eine Figur, die man nicht mehr vergessen kann. Stück für Stück wird sie vor den Augen des Lesers lebendig; Mitra Gaast erzählt ihre zutiefst traurige und tragische Geschichte mit durchscheinender Leichtigkeit und einem Detailreichtum, der alle Sinne aktiviert in einer zutiefst poetischen, metaphernreichen Sprache. „Schatten in Teheran“ ist nicht zuletzt ein beklemmendes Plädoyer gegen Radikalismus und Krieg – und für das Leben.
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