Vom Wassereis
Übersichtskarte des Mondes 1898 (Lithographie)
„Eine Binsenwahrheit wird interessant, wenn sie gut geschrieben ist, nicht propositional interessant natürlich, aber poetisch interessant, und das ist doch alles, was man letztenendes von der Poesie erwarten darf. Wir sollen uns nicht alle in den Ästhetizismus flüchten, aber der Verdacht bleibt bestehen, dass das Eigenständige, das die Literatur leisten kann, im Grund sprachlich ist. Sie ist in der Lage, Justierungen an herkömmlichen Ausdrücken vorzunehmen und ihnen neuen Lack überzuziehen, und gelingt es ihr nicht, ist sie eben matt und schal. …
Leider finden sich bei Grünbein wenige Sätze oder nur schon Wortgruppen, die davon zeugten, dass hier besonders interessant mit der Sprache gearbeitet wurde. Ein, zwei Hyperbata fallen auf, manchmal ein Aufprall der Ernsthaftigkeit im Bathos, aber insgesamt stößt einen doch beinahe nichts in interessante Richtungen; es mangelt an den kleinen Wendungen, durch die dem Bestehenden Neues abgewonnen werden kann, und an Verknüpfungen, die nicht auf Anhieb offensichtlich gewesen wären. Einige Metaphern sind geglückt, bestimmt, und schlecht ist keines der Gedichte, dafür sind sie viel zu professionell konstruiert. Aber zuletzt wird in diesem Band gedanklich wie sprachlich, philosophisch wie poetisch, nur das Hergebrachte repetiert. Daraus erwächst kein Trost und kein interessanter Platz für die Literatur.
Ich hätte gerne kleine Überrumplungen durch Verben, Nomen, leicht schräg über Hügel gleitende Präpositionen. Eine Imperfektion am richtigen Ort, ein umgebautes Idiom hie und da, daraus fliegen doch die Funken, mit deren Hilfe wir unsere Würste braten. Die Aufgabe der Dichtkunst ist, das Wassereis zu sein, das vom Stiel rutscht, ins Dekolleté.“
Samuel Meister über Durs Grünbein, Cyrano oder Die Rückkehr vom Mond, Suhrkamp 2014 auf seinem Blog larmoyanz.
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