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Kritik

Ein Land als Sackgasse

Glen Chapron und Loic Dauvillier erzählen in der graphic novel „Das Attentat“ einen Roman von Yasmina Khadra nach
Hamburg

Das Glas steht auf dem Kantinentisch. Ruhig gießt Amin Jaafari Wasser hinein. Unterhält sich mit seiner Kollegin über ein Ferienhaus, das er sich kaufen will. Plötzlich wackelt der Tisch, das Glas, das Gebäude. Das Wasser im Glas schlägt Wellen, der Himmel färbt sich rot. Alle stürzen zu den Fenstern: In der Ferne steigt eine riesige bedrohlich-düstere Wolke auf. „Überhaupt nicht gut“, sagt Amin. Und seine Kollegin meint: „Wir gehen mal besser schnell nach unten.“

Und dann kommen die Schwerverletzten einer nach dem anderen ins Krankenhaus in Tel Aviv, in dem Amin Jaafari Chirurg ist. Ein Selbstmordattentat in Tel Aviv, 19 Tote. Die ganze Nacht durch operiert er, kümmert sich um die Verletzten, selbst die, die sich von ihm, dem Araber, nicht behandeln lassen wollen: „Eher krepier ich“, schreit einer mit einer Bauchwunde. Als er nach Hause fährt, wird er von der israelischen Polizei angehalten, die misstrauisch ist: Ein Araber, der eingebürgert wurde? Aber schließlich wird er doch durchgewunken. Fällt todmüde ins Bett, und wird kurz danach aus dem Schlaf gerissen: Er soll wieder ins Krankenhaus kommen.

Aber da wartet nicht Arbeit auf ihn, sondern er wird verhört. Unter den Toten war seine Frau Sihem, die er bei ihrer Großmutter vermutet hatte. Und sie war keines der Opfer, sie war die Attentäterin.

Für Amin bricht eine Welt zusammen. Nie hat er auch nur vermutet, dass Sihem eine Radikale gewesen sein könnte, schon gar nicht, dass sie zu solchen Taten fähig war. Natürlich wird auch Amin verdächtigt, aber bald stellt sich heraus, dass er unschuldig ist. Dennoch ist er nicht mehr gelitten im israelischen Viertel, sein Haus wird verwüstet, er wird verprügelt, seine Kollegen reden nicht mehr mit ihm... Und natürlich will er wissen, was seine Frau zu ihrer Tat getrieben hat. Er macht sich auf die Suche nach palästinensischen Aktivisten und fragt und sucht.

In packenden Bildern erzählt die graphic novel „Das Attentat“ von Loïc Dauvillier (Text) und Glen Chapron (Zeichnungen) von einem Attentat, seiner Vorgeschichte und seinen Folgen. Sie zeichnet das zerrissene Land nicht in Schwarz und Weiß, sie zeigt vor allem Menschen, höfliche Extremisten mit guten Argumenten, andere, die einfach nur leben möchten, das Elend der Palästinenser und ihre Gewalt ebenso wie die Gewalt der Israelis und ihr Selbstverständnis... Es gibt keine Lösungen in dem Roman von Yasmina Khadra, der dem Buch zugrunde liegt, keine einfachen und keine komplizierten. Es wird, und das ist so wohltuend und auch gleichzeitig so erschreckend, einfach nur erzählt, wie das Leben ist, in Tel Aviv, in Bethlehem, in Jenin, wo Amin nach Spuren von Sehims Geschichte sucht und immer tiefer abrutscht. Wer lügt, wer erfindet, wer sich irrt, wer etwas weiß, wer die Wahrheit sagt – das alles ist nicht immer zu erkennen. Das Leben in Israel und Palästina ist wie eine Sackgasse.

Und das erzählt „Das Attentat“ in einem schnellen Tempo, Reflexionen und Nachdenken werden angedeutet und bieten einen kleinen Ruhepol, nach dem Amins Irrfahrten weitergehen. Die Bilderfolgen laufen fast filmisch hintereinander ab, wirken manchmal wie ein storyboard. Die Charaktere werden sehr schnell und eindrücklich lebendig, ihre Mimik zeigt in schnellem Wechsel Entsetzen, Angst, Depression und Aggression und vor allem Verwirrung. Einziger Nachteil ist die winzig kleine Schrift, die man oft genug Mühe hat zu entziffern.

Loic Dauvillier · Glen Chapron · Yasmina Khadra
Das Attentat
Carlsen
2014 · 160 Seiten · 18,90 Euro
ISBN:
978-3-551-78250-2

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