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Kritik

Willkommen in der Echtzeit mit wunderbarem Schlusssatz

Paul Auster und J.M. Coetzee im Dialog
Hamburg

Schade, dass Paul Auster - wie ich nach dieser Lektüre weiß - keine Rezensionen zu seinen eigenen Büchern liest, über die hier würde er sich bestimmt freuen... so naiv-plauderhaft möchte ich mal anfangen, weil mir heute überhaupt nicht nach ernsthaftem Buchbesprechen ist. Aber ein Briefwechsel ist auch nicht so ein "ernsthaftes" Buch. Ich liebe Briefwechsel. Ich muss sie in regelmäßigen Abständen lesen und zwar immer dann, wenn ich mich nicht ganz versenken will (zu meinen liebsten zählen der zwischen Bernard Shaw und Lord Alfred Douglas, Arno Schmidt und Alfred Andersch).

Ähnlich wie beim Lesen von Essays kann ich mich hier als aktive Leserin erleben, mache mir dieselben Gedanken, bin mal auf der einen, mal auf der anderen Seite, nehme eine dritte Position ein, schweife ab. Der Spannungsbogen wird nicht vom Plot, sondern von der Komplexität der Gedanken, die sich diese beiden großen Gegenwartsautoren machen, bestimmt.

Themen sind u.a.: Freundschaft, im Vergleich zu Liebe, in Bezug auf Kindheit, Mann, Frau, worauf gründet sie, Erfahrungen, Bedeutungen, Geschichten, individuelle Semantiken. Ebenso spannend: Sport, Sport im Fernsehen, der "organisierte Sport", Epochen eines Autorenlebens, diskrete Mathematik.

Heute Morgen gehe ich mit einer befreundeten Journalistin frühstücken und lese ihr daraus vor:

"'Zeitungsmann und Reiseschriftsteller konzentrieren sich auf die Oberfläche der Dinge. Ihre Aufgabe ist es, für ihre Leser Bilder aus Worten zu machen, alle optischen Eindrücke einzeln für sich zu betrachten und einen treffenden Ausdruck dafür zu finden; Du hingegen betrachtest mehrere Dinge gleichzeitig [...] und versuchst hinter den Sinn des Ganzen zu kommen [...]'"

Diese Aussage Austers bezieht sich auf eine Bemerkung  Coetzees, der meint, kein guter Reiseschriftsteller zu sein. Jedoch skizziert Coetzee sehr anschaulich das Phänomen, dass in Indien Tiere gleichberechtigt neben dem Menschen existieren, also z.B. einfach auf der Straße herumlaufen, und auch die wahnsinnige Geschicklichkeit der Inder ('die Intelligenz ihrer Hände'), die ihnen nichts nutzt gegen ihre Armut, ist eine Beobachtung, die in Erinnerung bleibt."

Ich hoffe, meine Journalisten-Freundin mit dem Zitat aus der Reserve zu locken, aber sie kontert ruhig: "Da muss man unterscheiden: Korrespondenten wie ich, die vor Ort leben und die Sprache beherrschen sind etwas ganz anderes, als rasende Reporter, ganz zu schweigen von diesen korrupten Reisejournalisten."

"Da gibst du mir das Stichwort: 'Sprache beherrschen' - es geht in dem Buch auch um Sprachskepsis. Skepsis gegenüber der eigenen Wahrnehmung. Zitat Coetzee: 'Ich reise, aber ich schreibe keine Reisebücher. [...] Hast Du erste Eindrücke, denen du traust? Ich traue meinen nicht im Geringsten.' Das ist natürlich ein großes understatement, wenn man bedenkt, wie gekonnt er diese  treffenden Bemerkungen zu Indien macht..."

"Moment: Sprache ist das eine - Wahrnehmung..."

"...evtl. nichts anderes, seit Wittgenstein. - Coetzee stellt im Folgenden die These auf, dass ein Autor drei Schaffensperioden hat und dass die letzte Etappe meist von einer einfachen, direkten Sprache bestimmt ist. Vielleicht wieder ein Vertrauen in die Sprache nach vorangegangenem Misstrauen. Auster widerspricht ein bisschen, sie finden Beispiele in der Literatur... Überhaupt geht's um den Schreibprozess, wie, womit, Austers Schreibmaschine, wie isoliert... Auster berichtet von einem Sandwichladen, in dem er regelmäßig Kunde ist - aber nur sieben Minuten pro Tag. Er kauft sich dort etwas, verzehrt es aber anderswo. Dennoch reicht diese kurze Zeit für viele kleine Inspirationen..."

"Und wir? Haben es gewagt, uns länger als 7 Minuten in dieses Straßencafé zu setzen und werden von Inspiration geradezu erschlagen! Schau, ist das nicht die Frau, die uns gerade noch bedient hat? Jetzt parkt sie ihr Auto um, was im Parkverbot gestanden hatte, und umnebelt uns mit einer Abgaswolke. Unglaublich..."

Der Briefwechsel Auster-Coetzee enthält wunderbare Fundstücke aus dem Zentrum ihres literarischen Schaffens. Auch wenn das gerade nicht das ist, was später im Roman steht, so gehört es doch dazu. So findet man immer wieder Bezüge zum Werk: Auster schreibt von Zufällen, sperrigen Personen, Baseball (!) und hat in seinen Geschichten oft mit diesen Themen gearbeitet. Oder Coetzee, der moralische und politische Fragestellungen auseinandernimmt, bis nichts mehr übrigbleibt bis auf die Frage nach der bloßen Existenz.

Besonders berühren mich ihre Überlegungen zum Thema "Massensport / Sport im Fernsehen". Die Faszination an diesen Dingen finde ich - angesichts der diesjährigen WM - gerade mal wieder rätselhaft. Wie ist es zu erklären, dass mein Sohn niemanden in seiner Klasse erzählt, dass er eine Medaille in Badminton hat, aber die Fußballjungens anhimmelt, obwohl sie noch keine Auszeichnung haben? Das Erleben eines Fußballspiels ist eher  transzendentaler Natur. Wir suchen Helden, (Ok. Habe das jetzt begriffen, und das nächste Mal geht mein Sohn mit Thomas-Müller-Trikot zum Badminton-Turnier!) obwohl das Wort "Heldenmannschaft" laut Coetzee ein Widerspruch in sich ist, weil Held-Sein nicht erarbeitet werden kann.

Also, ich finde die beiden Männer mit ihrem langsamen Briefwechsel aufregender als so manch hektisch verlegten Roman. Der wunderbare Schlusssatz von Coetzee, der kein Schlusssatz ist: "Die Welt bringt immer wieder Überraschungen hervor. Wir hören nicht auf zu lernen."

Unsinnig die schönsten Stellen zu zitieren, über die Dauer von Revolutionen oder das wahre Amerika. Muss man gelesen haben.

Allerdings holt uns während der Lektüre auch die Echtzeit ein: Die Sorgen der beiden Autoren um die Auseinandersetzungen im Gazastreifen bestätigen sich noch während des Lesens mehrfach.

Paul Auster · J.M. Coetzee
Von hier nach da
Briefe 2008-2011
Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke und Werner Schmitz
S.Fischer
2014 · 14,99 Euro
ISBN:
978-3-596-19687-6

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