Stickige, durchgedrehte Welt.
Ein literarisches Love Child zwischen „ganz high und ganz low“? Die Reihe Penser Pulp macht vor, wie’s geht. Genre-Grenzen sprengen, den „inneren Zusammenhang der Zwischenreiche“ sichtbar machen – so beschreibt Herausgeber Thomas Wörtche das Anliegen der Reihe, die 2013 im Diaphanes Verlag startete. Und man könnte meinen, Nathan Larsons „2/14“ sei nur geschrieben worden, um zu illustrieren, was Wörtche gemeint haben könnte.
Larsons Roman, Teil eins einer Trilogie, ist ein Hybrid an allen Fronten: Cyberpunk, Psychogramm, Krimi Noir, Politthriller. Umstandslos werden wir hineingeworfen in ein relativ klassisches, jedoch nicht näher erklärtes postapokalyptisches Szenario. Die einzige Gewissheit: An einem 14. Februar wurde New York City von den „Valentinstag-Begebenheiten“ verwüstet, einer Reihe von Anschlägen, deren Motivation und Ausmaß im Dunkeln liegen. Drei Börsencrashs und diverse Epidemien später ist die Bevölkerung im Stadtgebiet New York City auf 800 000 Menschen dezimiert.
In Anlehnung an „9/11“ ist „2/14“ zum makabren Mythos geworden, mit dem Unterschied, dass hier keine „Achse des Guten“ die Ordnung der Welt wieder hergestellt hat. Es gibt überhaupt sehr wenig Sinnhaftes, geschweige denn so etwas wie Moral. Die selbsternannten Verwalter der Stadt sind gierig und korrupt; Horden arbeitsloser Ukrainer aus dem Baugewerbe warten zusammen mit den Überresten der Brooklyn Bridge auf den „Großen Wiederaufbau“. Wie im untergegangenen Pompeji scheint die Zeit auf unheimliche Weise eingefroren – in den Auslagen der Nobelgeschäfte am Central Park stehen Mannequins in Prada-Skianzügen wie Mahnwachen aus einer anderen Welt. Während fast alle anderen Geschäfte geplündert wurden, blieben Skibekleidung, Wollmützen und Handschuhe unangetastet, denn eine Hitzewelle fegt durch die leeren Straßen („Atmen ist wie heißes Flüssigplastik inhalieren“). So viel zum düsteren Setting, das Fans von Filmen wie „Blade Runner“, „Brazil“ oder „Strange Days“ sofort in den Bann schlagen dürfte.
Ebenso wie Larsons (Anti-)Held, der sich perfekt einfügt in das fragmentierte, sinnentleerte Szenario. Auf den ersten Blick erscheint Dewey Decimal als klassischer Hardboiled-Detektiv: Als letzter Verwalter der New York Public Library sortiert er den dortigen Bestand; nebenbei verdingt er sich als Auftragskiller für den korrupten Staatsanwalt Daniel Rosenblatt. Dass Dewey kein Gewissen hätte, lässt sich nicht behaupten. Doch zumindest handelt er nicht nach gängig akzeptierten Moralvorstellungen. Wie auch? Er hat ja nicht einmal eine in sich geschlossene Identität. Sein Name stammt nur daher, dass er die Bücher seines Bereichs nach dem Dewey-Decimal-System ordnet. Wie er früher hieß, wer er einst war, daran erinnert er sich nur bruchstückhaft.
Zum Beispiel glaubt er, einst Ehemann und Vater gewesen zu sein. Er glaubt allerdings auch, dass Teile seiner Erinnerung in einem Militärkrankenhaus gelöscht und dafür andere implantiert wurden. Es wäre also auch möglich, dass nichts von dem, was er erinnert, echt ist.
Manchmal hat er Aussetzer; dann sieht er Panzerfahrzeuge in einer mondähnlichen Wüstenlandschaft herumfahren. Vielleicht war er einst Soldat. In welchem Krieg, bleibt unklar. „Vermutlich hat man mir in den National Institutes of Health mehrere Sprachen in mein Hirn heruntergeladen“, sinniert er relativ unaufgeregt auf die Frage hin, warum er fließend Ukrainisch spricht. Und diese hartgesottene Lakonie bringt Dewey dann schon wieder in die Nähe eines Raymond-Chandler-Helden.
Auf anderen Ebenen allerdings erinnert Dewey eher an Monk, den Privatdetektiv aus der gleichnamigen Fernsehserie. Um überhaupt funktionieren zu können, hält Dewey sich streng an „das System“. Dieses folgt nicht etwa inneren Gewissheiten oder einer nachvollziehbaren Logik, sondern einem komplexen Regelwerk neurotischer Zwangsstörungen. Deweys Griff zum Desinfektionsspray Purell® – „eine kühle Brise in einer stickigen, durchgedrehten Welt“ – sowie zum Pillenfläschchen üben auf ihn eine ähnliche Wirkung aus, als würde er einen Talisman berühren oder in der Hosentasche einen Anti-Stressball kneten. Medikamente und Hygienewahn: Indem er des Durchschnittsamerikaners beliebteste Waffen im Kampf gegen die Schmuddeligkeit der Welt auf die Spitze treibt, entpuppt sich Larson als Satiriker von Saunders‘schem Format.
Das einzig Enttäuschende an „2/14“ ist die recht dünne Story, garniert mit überwiegend holzschnittartigen Nebencharakteren. Im Vergleich zur Treffsicherheit seiner sozialkritischen Seitenhiebe und der Komplexität seiner tragikomischen Hauptfigur entsteht der Eindruck, Larson hätte seine Dramaturgie ein wenig stiefmütterlich behandelt.
Eine kurze Zusammenfassung ist so gut wie unmöglich, deshalb nur ein Anriss: Dewey soll den Ukrainer Yakiv Shapsko eliminieren, trifft jedoch zunächst auf dessen Frau Yveta, die ihm gleich bei der ersten Begegnung – ganz Femme fatale – ein Loch in die Kniescheibe schießt. Trotzdem entwickelt der Killer im Lauf des Romans eine gewisse – recht vorhersehbare – Schwäche für sie. Immer tiefer wird Dewey hineingezogen in den Scheidungskrieg des zerstrittenen Paares. Sie werfen einander nicht etwa Seitensprünge oder sexuelle Einfallslosigkeit vor, nein – sie bezichtigen einander des Waffen- und Drogenschmuggels, des Völkermords und Menschenhandels.
Als wäre das nicht schon abstrus genug, kommt schließlich noch ein serbischer Warlord ins Spiel, sowie eine mumifizierte Hand, die mutmaßlich Johannes dem Täufer gehörte, sich nun aber im Besitz der serbisch-orthodoxen Kirche befindet.
Etwa ab der Hälfte des Buches überlagen und durchkreuzen sich die Mordaufträge derart, dass Dewey selbst den Überblick zu verlieren droht. Alle paar Seiten gerät er auf seinen Fluchten und Verfolgungsjagden in Sackgassen, aus denen es kein Entkommen gäbe, würde Larson nicht immer wieder den Gott aus der Maschine bemühen – FBI-Agenten platzen durch irgendwelche Türen oder schießen aus dem Nichts heraus die jeweiligen Gegner über den Haufen. Dewey selbst gesteht, „dass ich nicht weiß, auf welcher Seite ich eigentlich bin, weil ich aus allen Richtungen unter Beschuss stehe und ständig eins auf die Rübe kriege, während ich zu kapieren versuche, wer hier was ist.“ Eine treffendere Zusammenfassung der Story ist kaum denkbar. Da hilft es nur wenig, dass Dewey selbst die Stereotype selbstironisch aufgreift, wie beispielsweise in Bezug auf Yveta: „Dieses dumme alte Pulp-Klischee (…) Cherchez la femme.“
Was hilft, ist das großartige Setting, das den Plot beinahe nebensächlich erscheinen lässt. Allein, diese kollabierende Welt aus den Augen eines faszinierend unzuverlässigen Erzählers zu erleben, macht genug Spaß, um sich auf die zwei folgenden Bände zu freuen. Mal ganz abgesehen von Larsons Sprache, die fast immer ins Schwarze trifft. Sein Faible für lakonisch-coole Dialoge („Ich suche eine Frau.“ „Tun wir das nicht alle?“) passt perfekt zur abgewrackten Atmosphäre von „2/14“. Dass Rhythmus und Erzähltempo stimmen, ist übrigens kein Wunder – in seinem anderen Leben ist Larson Musiker und Filmkomponist.
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