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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Die Hitze der Reflexion

Hamburg

Jakob Walter, der Protagonist von Lorenz Langeneggers Debütroman „Hier im Regen“ (Jung und Jung, Wien 2009) ist ein Durchschnittsmensch. Steuerangestellter. Genügsam. Mit kleinen Macken und großen aber völlig unbestimmten Sehnsüchten. Jeder von uns kennt ihn, die meisten vom Blick in den Spiegel. Grund genug, ihm auch im Nachfolgewerk „Bei 30 Grad im Schatten“ (Wien 2014) eine Stimme zu geben.

Es gibt viele Schriftsteller, die sich im Laufe der Jahrhunderte am langweiligsten aller denkbaren Szenarien – dem Leben eines öden Jedermanns – versucht haben, und die meisten sind grandios gescheitert, weil das Thema eines der schwierigsten überhaupt ist. Lorenz Langenegger ist der Versuch nun nicht nur einmal, sondern schon zum zweiten Mal geglückt. Denn sein Jedermann Walter ist so plastisch, so intensiv und real wie es eine Romanfigur nur sein kann. Schon beim ersten Versuch haderte er mit seinem kläglich-normalen Leben in Bern zwischen Ehe, Amt und Stammkneipe. Jetzt begibt er sich auf die Odyssee. Edith verlässt ihn nach zehn Jahren Zweisamkeit, Grund ist ein Streit über Nichtigkeiten, also vermutlich der häufigste Trennungsgrund weltweit. Dass Jakob und Edith nicht so wirklich zusammen passen, wurde schon in der ersten Runde deutlich, in der zweiten wird es Jakob in der Rückschau bewusst, wenn auch er es nicht so ganz wahrhaben will und verzweifelt versucht, aus ihren lakonisch-eindeutigen SMS irgendwelche Signale herauszulesen, die das Ganze eher zu einer reinigenden Unterbrechung als zu einem vernichtenden Ende machen.

Was bei anderen Autoren allenfalls der Prolog wäre, ist bei Langenegger der Kern des Romans: Jakob Walter verlässt die gemeinsame Wohnung mit einem kleinen Rucksack, wirft den Schlüssel in den Briefkasten (eine Affekt-Endgültigkeit, die nicht ganz so gemeint ist) und macht sich auf den Weg. Wohin, das weiß er selbst nicht. Bloß weg, raus aus der allzu bekannten Nachbarschaft, einen Freund besuchen, den er nicht findet und daher spontan entscheidet, per Fähre nach Griechenland überzusetzen, in drückender, schwirrender Sommerhitze. Doch was Walter dort widerfährt, genauer: Wohin ihn die Reise führt, das erfährt der Leser nicht, denn es ist nicht wichtig. Wichtig ist, was dieser Schritt mit Walter anstellt, welche Fühl- und Denkprozesse er in ihm auslöst, wie er den Blick auf sein Weltgefüge verschiebt, leicht nur, aber doch stark genug um eine neue Lebensphase einzuläuten. Die Menschen, die er trifft, und in die er sich auf unterschiedliche Weise verliebt, scheinen ihm so viel stärker und selbstbewusster, entschiedener als er selbst, dabei sind doch auch sie nur Gestrandete, er erwischt sie auf einem Übergangspunkt ihrer Leben, von denen sie ebenso wenig wissen, wo es hingeht, wie Walter.

Er kommt nicht an, ums Ankommen geht es nicht, sondern um die Situation. Um das Gefühl, das ihn in der Mittagssonne auf einem einsamen Parkplatz ereilt, da er völlig auf sich gelassen ist, glaubt, die Zeit würde stillstehen, kein Mensch in der Nähe, auch nicht der Straßenhund, der ihn auf einem Teil des Wegs begleitet. Die Reise endet nicht, da sie nur ein Teil der großen Reise seines Lebens ist. An sich ist das eine Binsenweisheit. Aber eine, die bei Lorenz Langenegger daherkommt verpackt in einen wunderbaren und kurzweiligen kleinen Roman, in dem man den Staub in der Hitze spürt und die Stiche, die Walter durchzucken, als er Dinge in die Hand nimmt, von denen er zuvor gar nicht wusste, dass er sie beeinflussen kann.

Lorenz Langenegger
Bei 30 Grad im Schatten
Jung und Jung
2014 · 144 Seiten · 17,90 Euro
ISBN:
978-3-99027-048-6

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