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Kritik

Flecken, die durch die Tapete dringen

Tomas Tranströmers sachte funkelnde Gedichte in einem Band
Hamburg

Den Umschlag dieses Buches ziert ein Profilbild des Dichters. Das Gesicht eines Greisen, die Augen, wie ein Wintervormittag, weit aufgerissen, in ein fernes Jenseits gerichtet, Mund und Nase ganz irdisch und fest.

Damit ist auch eben jener Schwellenraum umrissen, den Tomas Tranströmers Gedichte durchmessen. Zwischen Leben und Tod, zwischen Wachen und Schlaf angesiedelt, eröffnet jedes Gedicht einen magischen Raum. Eine unerwartete Lichtung, die nur von dem ge- / funden werden kann, der sich verlaufen hat. Oder einen riesigen Saal, still und leer, wo die Oberfläche des Fußbodens da[liegt], wie eine verlassene Eislaufbahn. In diesen verwunschenen Zwischenräumen, eröffnet sich ein ganz eigenes Möglichkeitsfeld poetischen Sehens und Sprechens. Eine Hellsichtigkeit, die nur in größter Dunkelheit entsteht. Eine bedeutsamen Beredsamkeit, die nur ein sehr Stiller entwickeln kann.

Tranströmer ist ein Dichter, der nicht viele Worte macht. Bereits der erste, 1954 erschiene Gedichtband 17 Gedichte enthielt, wie der Titel schon sagt, gerade mal 17 Gedichte. Tranströmer arbeitet bekanntlich sehr langsam, dafür aber umso gewissenhafter. Das somit eher schmale bisherige Gesamtwerk, 2013 im Fischerverlag unter dem Titel In meinem Schatten werde ich getragen erschienen, beeindruckt den Leser nicht durch den Umfang des Bandes, sondern dem Gewicht, das hierin jedem einzelnen dieser so fein ziselierten Verse zukommt. Der Effekt, den die Gedichte dadurch bekommen ist enorm, „die Stimmung verdichtet sich, wenn man zu wenig sagt.“, wie es Tranströmer selbst auf den Punkt bringt. Und eben in jener Wortkargheit sieht er auch die Qualität seiner Dichtung.

Man will die Koinzidenz, das Tranströmer nach einem Schlaganfall im November 1990 noch immer an den Folgen einer Aphasie leidet, kaum für Zufall halten. Denn mit inneren der Schwierigkeit der Sprachfindung korreliert seither auch die physische Sprachlosigkeit. Für ihn spricht und schreibt seit nun fast 25 Jahren seine Frau Monika Tranströmer.

Fast schon wie eine Prolepse, eine Vorausdeutung, wirkt das Gedicht Nach einem Anfall, das 1958 in dem Band Geheimnisse auf dem Weg erschien:

Der kranke Junge.
In Gesichte verschlossen,
die Zunge steif wie ein Horn.

Er sitzt mit dem Rücken zu dem Gemälde mit dem Kornfeld.
Der Verband um den Kiefer gemahnt an Einbalsamierung.
Seine Brille ist dick wie die eines Tauchers. Und alles ist ohne Antwort
und heftig , wie wenn im Dunkeln das Telephon klingelt.

Doch das Gemälde dahinter. Es ist eine Landschaft, die Ruhe spendet,
obwohl das Korn ein goldener Sturm ist.
Waschblaublauer Himmel und treibende Wolken. Darunter, im gelben
    Schwall,
segeln ein paar weiße Hemden: Schnitter – sie werfen keine Schatten.

Weit weg im Feld steht ein Mann und scheint hierher zu blicken.
Ein breiter Hut verdeckt sein Gesicht.
Er scheint die dunkle Gestalt hier im Zimmer zu betrachten, vielleicht um
    Hilfe.
Unmerklich hat das Gemälde sich langsam geweitet und öffnet sich hinter
    dem Kranken
und Versunkenen. Es sprüht und hämmert. Jede Ähre ist angezündet,
    wie um ihn zu wecken!
Der andre – im Korn – gibt ein Zeichen.

Er ist näher gekommen.
Niemand sieht es.

Trost und Hilfe erwachsen dem kranken lyrischen Ich aus der Kunst, aus den Bildern, die sowohl im wörtlichen, als auch im übertragenen Sinne das Hauptmerkmal der Tranströmerschen Lyrik sind. Hoch verdichtete, oft surreale Bildwelten, mit einer Vorliebe für Verkehrungen, Umstülpbewegungen, die so erfrischend sind, wie die Sicht eines Kindes auf die Welt. Es ist eine Dichtung, in der die Straße dem Dichter folgt, nicht umgekehrt. Frostbenagte/ Frühlingsblumen durchkämmen leise die Gegend/ auf der Suche nach jemand, der im Dunklen verschwunden ist. Und ein großes Pferd, schwarz wie Eisen frisst die Stille hier drinnen.

Leichtfüßig und treffsicher, luzid und traumwandlerisch kommen vor allem die früheren Gedichte daher. Der Bruch, oder besser gesagt, der Einbruch, den die Aphasie für sein Schreiben bedeutete, ist den späteren Gedichten anzumerken. Schlichter, lakonisch, zuweilen etwas klumpfüßiger wirken sie, als hätte hier einer wirklich Jahre nach dem richtigen Folgevers gesucht, wie seine Frau Monika den langwierigen Schreiprozess beschreibt. Das Sprechen gleicht hier mehr einem Ringen. Die Gedichte sind deutlich kürzer geworden. Es verwundert daher nicht, dass auch die kürzeste Form, das Haiku, 1996 in den Band Die Trauergondel Einzug hält:

Die weiße Sonne
in einsamen Trainingslauf zu den
blauen Bergen des Todes.

Diesseits und Jenseits mischen bei Tranströmer von jeher ineinander, und seine Gedichte sind das Schwellenland, da werden Tote /über die Grenze geschmuggelt.

Bedrohliches und Unheimliches ereignet sich in diesen Schwellenländern, das Düstere lauert gleich hinter der Tapete:

Ich las in Büchern aus Glas, sah aber nur das andere:
die Flecken, die durch die Tapete drangen.
Es waren die lebenden Toten,
die ihre Bildnisse gemalt haben wollten!

Zugleich ist aber auch immer wo Gefahr ist, (um Hölderlin zu paraphrasieren,) das Rettende nicht fern, z.B. in Form eines beruhigenden Klangs:

Bis in die Dämmerung, wenn die Mülleute kamen
und da unten mit den Blechbehältern klapperten,
den friedvollen grauen Glocken des Hinterhofs,
die mich in den Schlaf läuteten.

So ist über jeden der Abgründe, die Tranströmer beschreitet ein sicheres Versseil gespannt. Man findet hier immer beides zugleich: den Schrecken der Welt und den Trost des Gedichts.

Ins Deutsche übertragen hat die Gedichte der 1932 in Leipzig geborene Hanns Grössel, der u.a. auch Inger Christensens Gesamtwerk ins Deutsche übersetzt hat. Für seine Übersetzungsleistungen wurde er mit zahlreichen Preisen bedacht u.a. mit dem Petrarca-Übersetzerpreis 1993 und 1996 mit dem Alfred-Kerr-Preis.

Beigegeben ist dem Band zudem noch die biographische Kindheitsskizze Die Erinnerungen sehen mich und die Rede zur Verleihung des Pilot-Preises.

Tomas Tranströmer
In meinem Schatten werde ich getragen
Gesammelte Gedichte
Aus dem Schwedischen von Hanns Grössel
S. Fischer
12,99 Euro
ISBN:
978-3-596-19675-3

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