Der Gentleman unter den Rockstars
Am 21. September feierte Leonard Cohen seinen 80. Geburtstag und kein Feuilleton versäumte es, ihm ausgiebig und teilweise überschwänglich zu gratulieren. Cohen selbst beschenkte sich und seine Fans zu diesem Jubiläum mit seinem 13. Studioalbum Popular Problems. Hierzulande hielten es einige seiner Musikerkollegen überdies für eine gute Idee, dem Kanadier mit deutschsprachigen Coverversionen seiner größten Hits ihren Tribut zu erweisen. Poem – Leonard Cohen in deutscher Sprache heißt der Sampler, den der Gewürdigte hoffentlich niemals zu hören bekommt.
Verlage: Maro Knesebeck Schirmer Mosel
Angemessenere und weitaus weniger peinliche Würdigungen finden sich hingegen in den aktuellen Programmen einiger Verlage. Thomas Kraft nähert sich in einem im Maro Verlag erschienenen Essay mit dem schlichten Titel Cohen der Biografie, vor allem aber dem Menschen Leonard Cohen an. Die Verlage Knesebeck und Schirmer/Mosel feiern den Dichter und Musiker indessen mit großformatigen Bildbiografien, die sich deutlich voneinander unterscheiden.
So setzt der Band Leonard Cohen – almost young (Schirmer/Mosel) auf 160 Seiten fast ausschließlich auf bekannte und weniger bekannte Aufnahmen, die mit kurzen Erklärungen vor allem den künstlerischen Werdegang und die öffentliche Wahrnehmung Cohens illustrieren. Lediglich ein einleitender Text von Jens Sparschuh und ein Anhang mit biografischen Eckdaten sind der exzellenten Auswahl an Fotografien beigegeben. Sparschuh erzählt kurz von einer Pilgerreise, die er zu Cohens Elternhaus nach Montreal unternommen hat. Ein „Zielphoto“ wäre ihm peinlich gewesen, nicht aber die Mystifizierung Cohens, die hier und da in den Text einbricht. Zu einem Foto aus seiner Zeit als buddhistischer Mönch schreibt Sparschuh: „Der schwarze Hund, der sich auf das Photo von 1995 verirrt hat und den der grauhaarige Novize Leonard füttert, wirkt wie ein vierbeiniger Abgesandter aus einer anderen Welt.“
Obwohl Cohen sich in den 90ern eine längere Auszeit in einem zen-buddhistischen Kloster nahe Los Angeles nahm, und auch wenn es in seinen Songs immer wieder um religiöse Themen geht, kann er wohl kaum als Medium für Jenseitiges angesehen werden. Gerade das angesprochene Foto zeigt Cohen so irdisch, so diesseitig, dass es, obwohl es ihn im Mönchsgewand zeigt, kaum zur geistigen und geistlichen Überhöhung taugt. Der kahlrasierte Cohen im Schneidersitz füttert einen Hund. Sein Blick geht klar und aufgeweckt zum Betrachter, der schmale Mund verrät ein Lächeln. Zwar wird er 1996 von seinem Zen-Lehrer Roshi als Mönch ordiniert, zum spirituellen Leben taugt Cohen aber nicht. Auch im Kloster bleibt er der Künstler, der unaufhörlich schreibt und komponiert, um nach einer Auszeit wieder zu überraschen.
Besonders eindrucksvoll sind in diesem Zusammenhang die Schwarz-Weiß-Portraits der späten 80er Jahre, auf denen Cohen im schwarzen Mantel wohl der eleganteste Melancholiker jener Jahre ist. Der Imagewechsel und das erste große Comeback seiner Karriere sind nicht geplant, umso größer die Überraschung, dass er plötzlich ein jüngeres Publikum anspricht. Er ist jetzt nicht mehr der folkige Singer/Songerwriter mit Locken und Klampfe, sondern der dunkle Poet, der seine immer tiefer gehende Stimme von kalten Synthie-Klängen begleiten lässt.
Leonard Cohen – almost young bleibt in all seinen Abbildungen stets sehr nah an seinem Protagonisten und vermittelt so ein persönliches, dennoch nie indiskretes Portrait einer außergewöhnlichen Künstlerkarriere. Ganz anders funktioniert hingegen Harvey Kuberniks Bildbiografie Leonard Cohen – Everybody knows, die auf mehr als 220 Seiten erzählt, was eben nicht jeder über den Kanadier weiß. Das gilt jedoch weniger für private Details, sondern vor allem für die Entstehungsbedingungen seiner Bücher und Alben. Angefangen in seiner Zeit als Student mit ersten Gedichtveröffentlichungen, über die Zeit auf der griechischen Insel Hydra und dem legendären Chelsea Hotel in New York, bis hin zu den späten Aufnahmen in seinem Heimstudio in Los Angeles lässt Kubernik vor allem zahlreiche Wegbegleiter zu Wort kommen und nimmt sich selbst als Autor fast ein wenig zu sehr zurück. Entstanden ist so jedoch eine sehr facettenreiche Darstellung Cohens, die tiefschürfend und respektvoll zugleich versucht, die Entstehungsbedingungen und Inhalte seines Werkes zu ergründen.
Kuberniks Band kommt für eine Bildbiografie dementsprechend ambitioniert daher, wirkt teilweise etwas überladen und manchmal eher wie ein Lexikon oder eine abgedruckte TV-Dokumentation. Doch keine Sorge, Cohen selbst kommt erfreulich oft selbst zu Wort. Aus zahlreichen Interviews, die Kubernik über Jahrzehnte mit ihm geführt hat, werden immer wieder Zitate mit Selbsteinschätzungen Cohens eingestreut. „Ich stand immer am Rand. Ich war gern dort, wo die Bohemiens sich trafen, aber akzeptiert wurde ich nie von ihnen. Ich kam für sie von der falschen Seite der Gleise. Ich war zu sehr Mittelschicht. Ich hatte nicht die richtige Legitimation, um in den Bohemien-Cafés am zentralen Tisch zu sitzen. Vielleicht lag es an den Maßanzügen?“ (1975)
Cohen als etablierter Außenseiter? Bei aller für ihn typischen Selbstironie trifft es dieses Bild wohl am besten. Und einige Fotos in Kuberniks Band unterstützen es. Ob mit Dave van Ronk, Joan Baez, Lou Reed oder Andy Warhol, Cohen sitzt oft am Rand oder fehlt auf den ikonischen Gruppenfotos ganz. Und das obwohl er fester Bestandteil der New Yorker Szene der 60er und 70er Jahre war. Vielleicht hängt es mit seiner anfänglichen Scheu und den Selbstzweifeln als Musiker zusammen. In Kanada war Cohen ein bekannter Dichter und Schriftsteller. Als Musiker musste er sich in jenen Jahren erst noch beweisen. Das galt vor allem für die Bühne, auf der er wegen seines starken Lampenfiebers zunächst nicht überzeugen konnte. Darum ließ er sich von einem Freund eine Maske anfertigen, die er fortan auf der Bühne tragen wollte, was letztendlich aber nie geschah.
Mit der Maskenanekdote beginnt auch Thomas Kraft sein schmales Buch über Cohen, das zwar zahlreiche Ereignisse aus seinem Leben wiedergibt, aber weit davon entfernt ist eine klassische Biografie zu sein oder sein zu wollen. Kraft geht es nicht darum ein Künstlerleben nachzuerzählen, sondern darum, der Person Leonard Cohen nahe zu kommen. Sein Text scheint angetrieben von der Frage: Was macht diesen Mann so faszinierend? Eine Antwort muss sicher lauten: sein Facettenreichtum. Und der bezieht sich, wie schon angedeutet, nicht nur auf den Dichter und Musiker Cohen. Denn wer hätte gedacht, dass sich hinter dem eleganten, zurückhaltenden Gentleman, der Cohen immer war, zeitweise ein Kriegsenthusiast verbarg?
1961, so berichtet Kraft, flog Cohen nach Havanna, um sich der Revolution Fidel Castros anzuschließen. Nach der amerikanischen Invasion in der Schweinebucht wurde Cohen als Konterrevolutionär festgenommen und konnte nur durch Zufall fliehen. Er gab zu, nicht mehr als ein Tourist gewesen zu sein, der sich von der mythischen Vorstellung des spanischen Bürgerkrieges angezogen fühlte und hier sein eigenes Abenteuer suchte. „Doch gut zehn Jahre später wurde Cohens Abenteuerlust erneut geweckt. Er meldete sich umgehend freiwillig, als am 6. Oktober 1973 Israel von Ägypten und Syrien angegriffen wurde.“ Der erhoffte Fronteinsatz blieb Cohen versagt, stattdessen spielte er im Rahmen der Truppenbetreuung mehrere Auftritte vor israelischen Soldaten.
Es sind diese und viele andere Episoden aus Cohens Leben, an denen Kraft den Leser teilhaben lässt. Doch anstatt das Rätsel um seine Faszination zu lösen, scheint dieser Text es noch mehr zu verdichten. Denn das allseits bekannte Label von Sex, Drugs and Rock’n’Roll passt auch auf diesen großen Einzelgänger der Musik. Seine Frauengeschichten sind legendär, sein Drogenkonsum war mehr als reichlich, seine Konzerte bewegten bis zu 600.000 Menschen auf einmal. Und dennoch ist und bleibt Cohen immer der etwas anachronistische Gentleman-Rockstar, mit dem kein anderer sich vergleichen kann. Umso mehr lohnt sich die Lektüre und Betrachtung der besprochenen Bücher, um sich ein umfassendes und zugleich ganz persönliches Bild dieses außergewöhnlichen Künstlers zu machen.
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