Der Mensch ist dem Menschen ein Wolfgang
Sabine M. Grubers neuestes Werk handelt von einem Chor – und hat seine Tücken. Diese erahnt man schon angesichts des Mottos von Theodor W. Adorno, genauer dessen Verkürzung durch die Autorin. Und diese Vorahnung erfüllt sich, wiewohl an dem Roman vieles zu gefallen vermag.
Bei Adorno also heißt es:
„Allerdings kann ich mich des Verdachts nicht erwehren, daß bereits der Chorklang als solcher, wenn er nicht mit aller kompositorischen Kraft durchgeformt ist, etwas Illusionäres in sich enthält; den fatalen Anschein einer sogenannten heilen, geborgenen Welt inmitten der ganz anderen hervorbringt. Die Tendenz dazu liegt im Chormaterial. Allzuleicht macht es den Einzelnen glauben, in Einverständnis und Harmonie von Mensch zu Mensch aufgehoben zu sein, wie sie in der Struktur der gegenwärtigen Gesellschaft nicht vorhanden sind; die Chorgeselligkeit zeitigt künstliche Wärme.”
Diese Passage aus den Musikalische Schriften Adornos ist eindrücklich gerade in der Ambivalenz, daß just die „kompositorische Kraft” den Chor vorm Ideologischen der Harmonie bewahren könne und solle. Und nun läßt sich leicht erraten, welche Formulierung gleichwohl unterschlagen wird, als Gruber dieses Zitat einleitend anführt...
Sabine M. Gruber läßt also eine Protagonistin namens Cindy – Cinderella, Cindylein –, die ein fragiles Persönchen ist, in einen Chor geraten. Der ist schön, doch seine Schönheit ist eine der Gleichschaltung. Cindy will singen. Sie müßte nicht, da spielt noch das Pädagogische hinein, wonach das Kind nichts müsse, was es nicht wolle; aber gefälligst schon wollen müsse, so der Subtext: „Du musst nicht mehr singen, wenn du nicht mehr willst”, das ist halb die Bitte, zu wollen, halb aber, weil Cindy ihren Perfektionismus anderen unterstellt, die Bitte, sie möge das Singen doch unterlassen.
Die Mutter Cindys wird so beschrieben – als indirekt vom Beleidigt- und Enttäuschtsein „befriedigt”. Nie läßt diese Mutter ein neues Bild Cindys zu, vielleicht will auch Cindy das schon nicht mehr, durchgepaust auf sie seien die Ansprüche, „mit einem harten Stift”, es „gibt keinen Spielraum.” Sie ist stets gerichtet. Manche Mütter verzeihen alles, müssen dazu aber zunächst logischerweise alles verübeln, so ließe sich sagen...
Wolfgang – ein Kater, Wolfgang Amadeus Mozart, schließlich der Chorleiter Wolf – verfolgt sie bei dem daraus resultierenden Durchs-Leben-und-Kunst-Irren; Prof. Wolfgang G. Hochreither ist jener Wolf. Während Cindy im Gesang besser wird, vielleicht auch nur freier, gerät sie in dessen gleichsam höhere Unfreiheit, von Amadeus zu „Gottlieb”, wofür das mittlere G. des Chorleiters steht, die Bedeutung der Namen ist dabei identisch...: „Dem Gott lieb oder Sei lieb zu Gott?” Diese Frage beantwortet sich bei Wolf, dessen Chor ein Rudel ist. Hoffnung ist darin Unfreiheit – ein Essay als Text im Text führt dies vor Augen. Hoffnung nämlich ist darin Erwartung, also gerade nicht Hoffnung, ja: Anti-Hoffnung: „Erwartung erzeugt Zwang, und Zwang erstickt Hoffnung.”
Wolf, dann aber: Emil. Der ist Cindys Retter, bei ihm erzittert sie, doch ist es hier nicht Macht, oder eine jedenfalls ganz andere – eine Himmelsmacht. „Wolfs Gesicht ist blass und rot gefleckt und wirkt fahl, grimmig ist seine Miene, verzweifelt und zornig”, damit auch alles allzu klar ist. Da wird der Text, wie man vorher fürchtet, vom feinen Psychogramm zum präambivalenten Szenario. Wolf ist der Böse, dem eben nicht „kompositorische Kraft” zugestanden wird, Emil ist die Sanftheit, die Cindy emanzipiert, wo sie’s nicht kann; selbst der Musik erklärt Wüterich „Wolf [...] den Krieg”: „und die Musik trägt kampflos den Sieg davon”…
So beginnt dieser Text fabelhaft und gewitzt, um zuletzt die Figuren aufzulösen: Sie sind nur mehr die Lösung, der die Handlung zustreben soll. Das ist bedauerlich. Wolf als Popanz wird also demontiert, das Eigentliche siegt, Cindy wird zur nemesis divina, indem Papier geschreddert wird, im Buch, das hier dem Text den Garaus macht, wird Text der Garaus gemacht, das ist immerhin raffiniert. Cindy aber ist gerade, wo sie sich emanzipieren soll, als Figur heteronom, mit dem Bild Grubers: durchgepaust. Man glaubt diese Freiheit nicht, was Ironie sein könnte, aber nicht sein dürfte. Dieses gar nicht schlechte Buch, man verstehe mich da nicht falsch, hätte so dennoch doch besser geraten können.
Fixpoetry 2014
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Kommentare
danke für den hinweis auf
danke für den hinweis auf diesen roman - sabine m. gruber kannte ich bisher nur von ihrem chorprobenberichtbuch mit/über nikolaus harnoncourt. der hier genannte preis ist leider "nur" für das e-book, die hardcover-version kostst 22,90 €.
Chorprobe
Danke für den Hinweis. Das konnten wir gleich ändern!
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