Fallen und wieder aufsteigen
Als der Nigerianer Wole Soyinka 1986 den Literaturnobelpreis bekam, war vielerorts das Erstaunen groß. Wole wer? Und: Nigeria? Hinter vorgehaltener Hand wurde mancherorts noch gefragt: Können die da überhaupt schreiben?
Können sie, konnten sie damals auch schon. Selbst wenn der Literaturnobelpreis für Soyinka der erste für einen Afrikaner war.
Die ersten Übersetzungen der Werke des 1934 geborenen Soyinka erschienen noch in der damaligen DDR, in den Achtzigern wurde dann der schweizerische Ammann Verlag – inzwischen auch schon Geschichte – die deutschsprachige Heimat des Autors. Dort erschien beispielsweise der Roman »Aké«, Soyinkas Kindheitsbeschreibung, dort erschienen die anderen Romane und auch die Gedichte: »Samarkand und andere Märkte« heißt die markante Sammlung mit Lyrik des vielseitigen, umtriebigen Autors (der übrigens auch ein glänzender Theaterstückverfasser ist), schon 2004 erschienen, aber in diesem Jahr, in dem Soyinka 80 geworden ist, aktueller denn je. Im Titelgedicht, das Soyinka seinem ägyptischen Kollegen Nagib Machfus gewidmet hat, ist von »Gottes Banditen« die Rede:
Sie weihen die noch vom letzten Dschihad triefende Klinge. / Sie gräbt sich den Weg durch eines alten Mannes Hals
Das bezieht sich auf den Mordversuch, den ein islamistischer Attentäter vor ziemlich genau 20 Jahren in einem Kaffeehaus am Nilufer an Machfus verübt hat: Er erlitt schwere Stichverletzungen am Hals, konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden (er starb dann erst 2006, im 95. Lebensjahr).
Soyinka stammt aus wenig begüterten Verhältnissen, sein Vater war Lehrer und gehörte zum Volk der Yoruba. Der Sohn konnte aber studieren, in Ibadan und in England. Später wurde er selbst Literaturprofessor, in Nigeria und in den USA. Er hat sich zeit seines Lebens politisch engagiert, vor allem für die Demokratie. Er ist ein vehementer Kritiker von Diktatoren und von religiösen Eiferern, und dafür ist er auch ins Gefängnis gewandert.
Bei Soyinka kann, wer behauptet zu wissen, was gut ist für die Welt, nicht auf Nachsicht hoffen. In »Sarmakand« geht der Dichter außer mit Islamisten auch mit Heckenschützen vor US-Abtreibungskliniken und mit jüdischen Orthodoxen ins Gericht, die Leute, die den Sabbat nicht achten, steinigen. Hinduistische Fanatiker haben einst eine Moschee zerstört, weil sie am Geburtsort ihres Gottes Rama erbaut worden sein soll. Soyinka schreibt trocken:
Ein Gott ist nirgendwo geboren.
Es ist ein Fest, Soyinka bei seinen wortgewaltigen und oft scharfzüngigen, manchmal augenzwinkernden Streifzügen durch Suks und Basare zu begleiten. Einfach ist es nicht – denn Soyinka ist, seiner englischen Bildung entsprechend, ein hochartifizieller Autor, der zu intellektuellem Vokabular neigt. Was die Übersetzung von Klaus Laabs natürlich mitmacht, obwohl sie mitunter etwas holpert. Das wiederum kann man aber ganz gut überprüfen, denn der »Samarkand«-Band ist zweisprachig. Was dem Buch dennoch gutgetan hätte, wäre ein Glossar gewesen. Anspielungen auf vergangene Diktaturen, Zitate von vergessenen Bürgerrechtlern, plötzlich auftauchende nigerianische Gottheiten – wer soll sich als Laie da durchfinden?
Dennoch handelt es sich um ein wertvolles Buch. Gerade für jemanden, der sich nicht auskennt. Denn Soyinka beherrscht den Blick des Einheimischen wie den Blick des Fremden auf die Kultur seiner Väter.
Wer den Roman »Aké« kennt, hat den seltsamen Effekt erlebt, den es hervorruft, wenn man als Westler liest, wie jemand in einem Dorf in den Tiefen Afrikas Radiomeldungen von einem Kriegsbeginn in den Tiefen Europas hört, bei dem ein gewisser Herr Hitler eine Rolle spielt. Plötzlich alles sehr fern, sehr fremd. Und Afrika ist einem plötzlich sehr nah und vertraut. Aké kehrt auch in »Samarkand« wieder – beziehungsweise: Soyinka kehrt in dem Gedicht »Turmuhr« zurück. Da erinnern dann die lahmen Zeiger
an unser aller Rendezvous mit der Gebrechlichkeit. / Fallen, aufsteigen, fallen und wieder aufsteigen, bis zum / letzten Wägen der Erde, das kein Verschieben duldet.
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