Wortwechsel zwischen Echo und Dank
„[...] und verlieren kein Wort
über den Schmerz, der rast.“„In jedem Glückskeks ein Epitaph.“
Die zitierten Verse bilden den Anfang und das Ende von Ulrich Kochs neuem Gedichtband, „Selbstgespräch mit niemand“, in dem der Leser sich durch zwei Jahrzehnte Dichtung lesen kann, chronologisch angeordnet sind ausgewählte Gedichte von 1995 bis 2014 versammelt. Eine Art Bestandsaufnahme.
Die frühen Gedichte experimentieren mit der Form, versuchen dies und das. Spielen mit Reim, Wortpaaren und Bildern. Was bereits da ist, ist die unbeirrbar eigensinnige Beobachtung, ein Blick, der beständig unter die Oberfläche gleitet. Hinein in die Traurigkeit, in einen leisen, melancholischen Humor, der es fertig bringt selbst über erlittene Demütigungen zu lächeln, schulterzuckend über Missverständnisse hinwegzugehen:
VERLAUFEN (1995)
Schon angezählt
auf die Welt gekommen,
aber : von wem, darauf
kam ich nicht. Kein Gesicht,
das länger blieb
als vom Abschied verlangt.
Vielleicht liegt die Stärke von Kochs Gedichten darin, das eigene Werk nicht zu überbewerten, demütig zu bleiben gegenüber der Sprache und dem, was man selbst abbilden und formulieren kann.
Inger Christensen hat geschrieben: „Das ist vielleicht das Optimale: demütig nach etwas zu suchen von dem man ahnt, dass es richtig sein muß. Ganz tief in etwas zu leben. Vielleicht ist das Schreiben von Dichtung von diesem Zustand nicht so weit entfernt.“
Ich habe das Gefühl die Gedichte von Ulrich Koch basieren auf einer Haltung, die dieser sehr nahe kommt. Und sie beweisen, welch reiche Früchte die Demut derjenigen hervorbringen kann, die sich nicht für den Nabel der Welt halten und trotzdem weitermachen. Um schließlich einen Beitrag zur „Geheimnisvermehrung“ durch gute Gedichte zu leisten, von der Novalis vor langer Zeit geschrieben hat.
Ich erinnere mich an ein Bild von Oskar Zwintscher „Der Tote am Meer“, von 1913. Eine in ein langes Gewand gehüllte Frau betrachtet einen nackten, leblosen Männerkörper am Strand. Während der Mann mit dem Sand zu verschmelzen scheint, setzt sich das Blau des Horizonts in der Kleidung der Frau fort. Die Frau trauert nicht, ihr Blick verrät auch keine Neugier. Mir erschien er andächtig. Eher in sich und das Wunder des Lebens als in den toten Körper versunken.
Das allein, sowie ihre Verhüllung durch die Kleidung und die vor der Brust verschränkten Arme, genügten aber nicht, um das Geheimnis zu erklären. Fast schien dieses Bild auszusagen, dass es nicht der Tod ist, der rätselhaft ist, sondern vielmehr das Leben.
Ganz ähnlich geht es mir mit Kochs Gedichten. Sie öffnen den Blick für die vergessenen Geheimnisse des Lebens. In Gedichten, die nichts weiter tun, als mit einfachen Worten die Besetzung von fünf Zugwaggons zu beschreiben, oder den Menschen als toten Baum darzustellen, der harzt. Es gibt Listen voller Adjektive, ganz einfache Bestsandsaufnahmen, die durch treffende Bilder vom Geheimnis der Liebe, von einer plötzlichen Erkenntnis erzählen.
Während die Wissenschaft nicht aufhört, sich darum zu bemühen, auch das letzte Geheimnis zu erklären (kürzlich las ich, wie mittels der Messung von Gehirnströmen die Anwesenheit von Schutzengeln erklärt wurde), geht Ulrich Koch dankenswerterweise in die entgegengesetzte Richtung und verzaubert, was uns längst selbstverständlich und alltäglich erscheint.
„Es ist die Art und Weise,
auf die nichts geschieht.“
Heißt es im Gedicht „Mittage im August“.
Nach der Lektüre von Kochs Gedichten lese ich diesen Satz anders, denn er lehrt die traurige Schönheit zu sehen, in der dieses Nichts sich entfaltet.
Seinen einmal in einem Porträt von Martin Brinkmann für die „Zeit“ formulierten Anspruch, „ein gutes Gedicht müsse auf unwiderstehlich sanfte Art und Weise traurig machen“, löst er mit jedem seiner Gedichte ein. ´
Immer deutlicher laufen die Gedichte am Zahlenstrahl der Jahre entlang gelesen, auf das Elementare zu, immer deutlicher ist dieser Satz aus dem Elementaren Gedicht n° 1 spürbar: „Ich möchte ungeschehen machen, worauf ich so lange warte.“ Dieses melancholische Denken in Widersprüchen ist an die Stelle der sehr genauen Beobachtung alltäglicher Situationen getreten. Die eigene Stimme hat sich immer weiter entfaltet.
Sie sind leiser geworden, die Gedichte, und eindringlicher. Koch sucht nicht den Schmerz in seinen Gedichten, aber er weicht ihm auch nicht aus.
„Ein abgrundtiefes Geheimnis ist der Mensch“, stellt Augustinus fest. Wenn man etwas schreiben will über Gedichte, die einen Zeitraum von zwanzig Jahren umfassen, liegt es nahe, nach einer Entwicklung zu fragen. Und im Falle Ulrich Kochs zu antworten: Die Abgründe sind tiefer geworden im Laufe der Jahre, aber gleichzeitig ist die Fähigkeit gewachsen, über die Geheimnisse zu staunen. Je tiefer die Abgründe werden, umso besser gelingt es Koch Worte zu finden, die geeignet sind, sie zu überbrücken. Worte, die die Sprache öffnen, zum Trost.
Einer der Schlüsselsätze in Ulrich Kochs Rede zur Entgegennahme des Hugo Ball Preises ist für mich der, in dem er behauptet, die Vergänglichkeit so schlecht zu vertragen, zuweilen so schlecht, schreibt er, „dass ich den Glauben verliere und zu hoffen beginne.“
Was für ein Glück für seine Leser, dass diese Verwandlung von jedem seiner Gedichte ausgeht.
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