„Kein Zettel, nicht eine Nachricht hat sie uns hinterlassen, nichts!“
Er ist ein Wichtigtuer, der Herr Himmelzelt. Vor allem, wenn er seine Abendgarderobe anlegt: „Erst das durchsichtige rosa Unterhemd, dann sein knallrotes Kleid, das ja schon fast peinlich ist, und am Ende dann immer dieses theatralische Überwerfen seines schwarzen Mantels.“ Schnuppe kann die selbstverliebten Auftritte von Herrn Himmelzelt einfach nicht leiden, und jetzt hat er sich auch schon wieder einen neuen Mantel zugelegt.
Der verlorene Stern, Schaltzeitverlag, illustriert von Larisa Lauber
Dabei geht es um etwas viel Wichtigeres: Esmeralda ist verschwunden! Deshalb sind ihre besten Freunde, Schnuppe, sie ist „der schnellste Stern im Universum und Blinker der kleinste“, zu Herrn Vollmond gerast: Der „saß wie immer rund und gemütlich in seinem dick gepolsterten Sessel und hatte ein Auge auf den Nachthimmel geworfen.“ Dass Esmeralda fehlt, war ihm noch nicht aufgefallen. Und das Gerücht, dass sie womöglich von „dieser furchteinflößenden Bande, die sich die ‚schwarzen Löcher‘ nannte“, entführt worden ist, war ihm auch noch nicht zu Ohren gekommen. Wie immer haben Schnuppe und Blinker den ganzen Tag geschlafen. Und Esmeralda wohl auch. Dass sie nicht an ihrem Platz ist, haben sie erst gemerkt, als sie „in den neuen Mantel von Herrn Himmelzelt geschlüpft“ sind: „Um ihm den letzten Schliff zu geben, den noch fehlenden Schimmer.“ Das Allerschlimmste aber ist, dass sie rein gar nichts wissen: „Kein Zettel, nicht eine Nachricht hat sie uns hinterlassen, nichts!“
Alle Sterne helfen bei der Suche nach der kleinen Esmeralda, selbst Frau Sonnenschein: „Natürlich mit ausgeknipstem Licht und großem Schlapphut, sie durfte zu so später Stunde und bei ihrem Bekanntheitsgrad kein großes Aufsehen erregen.“ Und sogar Herr Himmelzelt beteiligt sich und spendiert Wolken „aus seinem Notfallköfferchen, die jeder Stern über seinen leeren Platz schob.“
Die ganze Nacht sind sie auf Achse, aber Esmeralda ist und bleibt verschwunden. Jetzt glauben wirklich alle, dass sie von den „schwarzen Löchern“ verschluckt wurde, und steigen müde in ihre Sterntaschen. Fast alle: Schnuppe, Blinker und Frau Sonnenschein geben so schnell nicht auf und suchen weiter und weiter und weiter. Und tatsächlich: Endlich finden sie Esmeralda hinter einer kleinen Wolke, „mit hängenden Spitzen, schluchzend und schrecklich traurig“: Weil sie sich so entsetzlich unnütz vorkommt. So überflüssig in dem weiten Sternenmeer. So hässlich mit ihren kurzen, dicken, viel zu grünen Spitzen. Da nimmt Frau Sonnenschein sie in ihre ausgeknipsten Strahlenarme und erklärt der kleinen zitronengesichtigen Esmeralda, dass sie wichtig ist, genauso wie sie ist. Dass sie ihren festen Platz im großen Ganzen hat, sonst ist es unvollständig. Unausgeglichen…
Es ist eine schöne Geschichte mit Happy-End, die uns Kathrin Schadt geschenkt hat. Anrührend und mit viel Fantasie erzählt, in einem schönen, melodiösen Ton und einer bilderreich eingängigen Sprache geschrieben. Vor allem macht sie Mut: Allen, ob groß oder klein, wenn sie sich manchmal verloren fühlen in dieser unüberschaubaren Welt. Ihren sicheren Platz gerade nicht finden, an ihrem Weg zweifeln. Alles für sinnlos halten. Dann kann sie trösten, die kleine Geschichte vom verlorenen Stern, deren Text mal mit weißer Schrift in den dunklen Nachthimmel geschrieben ist, mal schwarz auf weiße Seiten. Und die von Larisa Lauber farbenprächtig illustriert ist, lebendig und fantasievoll. Dass Herr Himmelzelt (der grammatisch richtig eigentlich „Himmelszelt“ heißen müsste) ein Angeber ist, sieht man schon auf den ersten Blick, lesen muss man dabei nicht können: einen Zylinder auf dem Kopf mit rotwangigen Backen, einem gezwirbelten Schnurrbart und penibel gescheiteltem Wellenhaar, wirft er sich mit eitler Geste seinen Nachthimmelmantel über – natürlich vor dem Spiegel. Und alle seine Auftritte sind von einem bombastischen Theatervorhang gesäumt.
Der verlorene Stern, Schaltzeitverlag, illustriert von Larisa Lauber
Jeder der kleinen Menschenkindersterne mit leuchtenden Spitzenkragen bekommt durch unterschiedliche Gegenstände eine eigene Persönlichkeit: Schnuppe hat einen Pferdeschwanz, und ihre Sterntasche ist mit einer bunten Girlande geschmückt, Blinker mit seinem blauen Käppi hat eine Kuscheleule, ein Mobile und ein Schlafliedmond. Da gibt es das Sternenmädchen mit rosabeschleiften Zöpfen und Blumen, einen Sternenjungen mit Buch, einen anderen, der genüsslich Tee trinkt. Frau Sonnenschein und Herr Vollmond strahlen Wärme und Liebe aus.
Das wollte auch Kathrin Schadt, als sie die Geschichte geschrieben hat, damals in Thailand als junge Frau: Sie wollte ihrer Lehrerkollegin zu Weihnachten eine Freude machen, sie trösten.
Das Buch ist in vier Sprachen erschienen, auch als E-Book und sogar mit einem Ausmalheft zu bekommen.
Fixpoetry 2014
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