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Kritik

Den Finger in die pixelnde Wunde

Juli Zeh befragt in ihren Essays den Zustand unserer Gegenwart
Hamburg

Ganz einfach ist es nicht. Bevor man sich befragt, was man von ihr hält (und das ist durchaus eine Art Haltungs-Akquise unter den Literaturkonsumenten dieser Jahre), bewundert man ihre Schreibkraft, die Wucht, mit der Juli Zeh Werk um Werk produziert. Nicht zuletzt ist der Erfolg dieser Autorin auch aus dem Fleiß gegründet, der ein Begleiter ihrer „Manie“ (so frei nach Zeh), aber vor allem auch ihrer Unerschrockenheit in nahezu jeder Bewandtnis seit jeher ist.

Dreihundert Seiten stark ist die Auswahl ihrer publizistischen und essayistischen Arbeiten der Jahre 2005 bis zum Sommer 2014 – sie reihen sich, wohl auch ein Kompendium zum vollzogenen runden Geburtstag, in ein mehrtausendseitiges Gesamtwerk, das mit „Adler und Engel“ 2001 seinen furiosen Auftakt hatte und dem weitere Romane, Manifeste, Stücke und Hörspiele folgten. Besonderheit des Zeh’schen Werks ist dabei immer die Einmischung geblieben, die studierte Juristin hinterfragt damit immer wieder die Grenzen der Möglichkeiten, wägt ab und führt ins Feld, ja, und in „Nachts sind das Tiere“ kulminiert das sogar darin, an Angela Merkel zu schreiben und, vielmehr noch, sich wundern, dass diese Ersuchen um Auskunft eben – ohne Auskunft bleiben.

Man kann das Verstiegenheit nennen, oder ein Agieren unter dem Diktat des „Größenwahns“, den der Künstlerberuf unabdingbar mit sich bringt. Es wird auch ein Maß an öffentlicher Sorge und Bewusstheit des möglichen Stands, nachzufragen, enthalten. Im momentanen (und besorgniserregenden, da ist Juli Zeh beizupflichten) Welt-Zustand und in der Entwertung so vieler Dinge, die bereits als allgemein und verbindlich erschienen, wäre es indes ein Wunder, wenn Antwort einträfe, die sich über die abwägend leeren Wort-Hülsen, deren bloße Anwesenheit, erhöbe …

Der Grund dieses Insistierens indes ist hochwichtig, und die Autorin formuliert diese Gründe aus der Sorge heraus, dass ihre und die nachfolgenden Generationen im ‚Furor der Unübersichtlichkeit‘ leicht untergehen könnten. Die Weichen für den ‚Gegen-Furor‘, der ein völliges Durchsichtig-Werden der saumseligen Jahrgänge verhindern hülfe, müssten bereits gestellt sein – davon jedoch sind wir weitest entfernt. Juli Zeh führt das Beispiel des Internets und der sichtbarer werdenden Spionagegebärden durch die Neuen Medien vor – ihre Ansätze dazu widersprechen sich nur scheinbar. Sie werden anhand der Aushöhlung des Freiheitsgedanken des Netzes, plattitüd durch das Anhäufen von Werbekompost, sublim durch das Errichten digitaler Horchposten, plausibel.

Daneben legt die Wahlmärkerin den Finger in weit mehr als die pixelnde Wunde – um Menschenrecht und -würde geht es in „Nachts sind das Tiere“, die Hoffnung auf Brüssel, wenn Berlin versagt, um den Aasgeruch von Folterlegitimierern, um die „Festung Europa“ und die kleingenuschelte, aufgebauschte, (je nachdem) „Krise“. Sie konstatiert dabei, juristisch beklopft und hinterfragt, eine gewaltige und tatsächliche Krise – die an den Grundrechten schneidet, die ein Abbild dessen sein mag, wohin wir geraten, wenn wir nicht wachsam sind. Von daher ist die Arbeit dieser überaus erfolgreichen, jungen und zugleich tief ernsthaften Autorin nicht hoch genug einzuschätzen.

Einige Texte stoßen ein wenig aufgrund ihres Fonds auf, die gelassene Betrachtung der sich in Hickhack und kruder Bedeutungsferne verhaspelnden und bereits verlöschenden Piraten etwa, die als Korrektiv in der deutschen Politiklandschaft hätten eine wichtige Rolle spielen können und dieses Feld lieber für die Populisten räumen. Oder das dekadente Gebrabbel im Ablicht eines Fernsehstudios, bei dem sich ein Trüppchen Frauen über Dinge beharkt (besser: behärkelt), die heute selbstverständlich sein sollten. Dass sie nicht selbstverständlich sind, ist schlimm genug – und ob ein Fernsehstudio, durch das am folgenden Morgen der nächste geföhnte Wellensittich vor das Bohlen’sche Talentauge getrieben wird, eine Grundlage für Ernsthaftigkeit ist, sei dahingestellt.

Dennoch: Ein kluges, zuweilen ein wenig aufschäumendes, schaumschlägerisches, nichtsdestotrotz ein wichtiges Buch, das an einigen Stellen bereits (wer redet noch von Philipp Rösler?) aus der Zeit gefallen und (sein Wert schmälert sich dadurch kaum) historisch zu nennen ist. Und wer weiß, wofür dereinst unsere Erinnerung daran gut ist. Auf eine Antwort von „Mutti“ wird Juli Zeh wohl auch weiterhin zu warten haben. Letztlich enttäuscht, beantwortet sich Juli Zeh diese Erwartung selbst im schönsten Text des Buchs, dem Titel-Essay, der an die Volten ihrer vielgeehrten Erzählkunst anschließt: „Ich stehe und schaue, während Zeit vergeht. Antworten bekomme ich keine. Aber die Fragen schweigen.“ Wie einfach es letztendlich ist. Und schließlich: wie kompliziert.

Juli Zeh
Nachts sind das Tiere
Schöffling & Co
2014 · 296 Seiten · 22,95 Euro
ISBN:
978-3-89561-440-8

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